Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. September 2022, Teil 1
Redaktion
München (Weltexpresso) - Ihr Film „Freibad“ kommt am 1.September 2022 in die Kinos. Welche Erinnerungen haben Sie an Besuche im Freibad?
Ich habe glückliche Kindheitserinnerungen an Chlorgeruch, Pommes rot-weiß und Arschbomben, und dann ab der Pubertät das Gefühl mich ständig beobachtet und bewertet gefühlt zu haben, und mit einem Mal ganz schüchtern geworden zu sein. Ich weiß noch, dass ich mich mal einen ganzen Tag lang nicht umgedreht habe, weil ich mich nicht im Bikini zeigen wollte, und mir dabei einen grässlichen Sonnenbrand in den Kniekehlen geholt habe...Darum geht es auch in unserem Film: der weibliche Körper und seine ständige Beurteilung.
Der Film nimmt uns erst mal mit in eine Atmosphäre sommerlicher Leichtigkeit - Kinderlachen, Wasserplätschern, Sonnen- glitzern im blauen Becken - bis plötzlich eine Polizeimannschaft in Kampfmontur das Bad stürmt. Und schon platzt die gan- ze schwierige Welt von draußen in dieses Idyll. Was ist Ihre Grundidee für diesen Film gewesen?
Zum einen hörte ich vermehrt, dass es in Freibädern immer wieder Stress gab mit unterschiedlichen Besucher*innen und den Regeln, und dann erschien 2017 ein Artikel in der ZEIT von Ursula März, der die heftigen Konflikte im einzigen Frau- enbad Deutschlands, dem Freiburger Lorettobad, beschrieb. Ich hatte die Idee, diesen Stoff als Komödie zu erzählen und trug die Idee zu Christoph Müller bei der Constantin, der gleich sehr begeistert war. Wir haben zwei Co-Autorinnen ausgesucht, eine sehr junge Autorin, Madeleine Fricke und Karin Kaçi, eine Autorin mit migrantischer Erfahrung, und so haben wir drei angefangen, aus drei verschiedenen Frauenperspektiven diese Geschichte zu schreiben, die fast ausschließlich im Freibad spielt, fast wie ein Theaterstück. Das war ein gutes Stück Arbeit, weil ja so viele Figuren vorkommen. Zusammen mit meiner Castingchefin Nessie Nesslauer habe ich sehr früh angefangen zu besetzen, und wunderbarer Weise haben alle Schauspielerinnen sofort zugesagt. Ich halte Probenarbeit allgemein, für enorm wichtig, und hier besonders, aber sie ist in der Regel kaum durchzusetzen, weil sie normalerweise nicht bezahlt wird. Das sollte dringend geändert werden. Wegen der Pandemie mussten wir anfangs online proben, was erstaunlich gut ging. Kurz vor Drehbeginn haben wir dann mit diesem phänomenalen Ensemble das Ganze am Stück in Bikini und Badeanzug in einem großen Saal mehrmals komplett durchgespielt. Das hatte ich bei meinen Operninszenierungen ausprobiert, weil es allen Beteiligten ein Gefühl für das Ganze gibt, was beim Film ja sonst kaum stattfindet. Hier war es wirklich verblüffend, wie gut das funktioniert hat. Es hat sehr viel Vertrauen geschaffen, - auch, wie es sich anfühlt, sich den ganzen Tag in Badeanzug und Bikini voreinander zu zeigen.
Es gelingt Ihnen auch hier, die individuellen Geschichten ihrer Protagonistinnen, die unter der Oberfläche wabern, mitzudenken, mit zu inszenieren. Sind diese Hintergrundgeschichten zum Teil auch erst durch das gemeinsame Proben entstanden?
Der Subtext der Figuren war von uns natürlich geschrieben, aber viele Details sind durch den langen Probenprozess dazu gekommen. Das kann man am Ende gar nicht mehr so auseinanerdividieren, weil das ganz feinstoffliche Vorgänge sind, aber durch diesen gemeinsamen Probenprozess waren wir uns alle so nahe, dass es dann beim Dreh im Freibad keine Scheu mehr gab. Alle hatten immenses Vertrauen zueinander, auch zu mir, und die Gewissheit, dass ich sie beschützen würde in ihrer physischen und psychischen Offenheit, was, wie ich finde, eine der Hauptaufgaben der Regie ist.
Lassen Sie uns über Ihren Film als Parabel sprechen: eine Parabel über Freiheit, über Regeln, über falsche Überzeugun- gen, über Toleranz, über Selbstbestimmtheit, über kulturelle Unterschiede. Ihre Filmdialoge sind vollgepackt mit den kleinen alltäglichen Rassismen, Sexismen und Diskriminierungen – und jede für sich in diesem Bad würde behaupten, absolut tolerant zu sein, aber man wird ja wohl noch sagen dürfen...und da fängt es dann an. Wie schwer empfinden Sie es persönlich, wirklich tolerant zu sein, andere Arten des Lebens und Denkens zuzulassen?
Ich bin sehr dankbar für den Prozess, der seit etwa fünf Jahren in Gang gekommen ist, meinen eigenen Rassismus zu hinterfragen, und „critical whiteness“ als Denkansatz und Lernmöglichkeit zu sehen. Ich habe immer schon Filme gemacht, die sich um Ausgrenzung gedreht haben, um Rassismus, Homophobie, um Marginalisierung, und Gleichberechtigung. Diese Themen haben mich immer beschäftigt, und ich selbst habe mich lange für antirassistisch gehalten, beispielsweise indem ich in Geschäften versucht habe, in der jeweiligen Landessprache zu grüßen und sehr stolz auf meine kosmopolitische Art war, bis ich mir irgendwann auf die Schliche gekommen bin und kapiert habe, dass ich mit meiner vermeintlich zugewandten Art permanent ausgegrenzt habe. Ich versuche dazu zu lernen und empfinde die Empörung von manchen, dass diese Art von neuer Fragestellung, neuem Bewusstsein und Aufmerksamkeit übertrieben sei und zu weit gehe, als rückwärtsgewandt und aggressiv. Ich kann doch nicht bestimmen, was verletzt und was nicht, sondern sollte mich schon fragen, wie weit ich latent Mikroaggressionen und Rassismen von mir gebe. Also genau das, was in unserem Film manche Figuren ständig machen, die sich selbst aber für total tolerant halten. Die Regeln für unser Zusammen- leben müssen von allen zusammen neu verhandelt werden, und das wollten wir in unserem kleinen Mikrokosmos, dem Freibad, möglichst komisch erzählen. Keine macht hier alles richtig, sie giften und streiten miteinander, prügeln sich sogar auch,- aber immerhin sie sind miteinander im Kontakt. Niemand hat hier zu 100 Prozent die Wahrheit gepachtet.
Man spürt oft die Hilflosigkeit, die sich hinter flotten Sprüchen und markigen Zuweisungen verbirgt. Nehmen wir das ungleiche Freundinnenpaar Eva und Gabi (wunderbar gespielt von Andrea Sawatzki und Maria Happel), die kommentieren oft böse, spitz, empört das Geschehen um sie herum, und doch spürt man ihr Gefan- gensein in den eigenen Ängsten. Angst vor dem Alter, Angst vor Unsichtbarkeit, Angst nicht mehr sexy zu sein, Angst vor Einsamkeit. Beobachten Sie diese Altersangst bei vielen Frauen?
Ja klar, sie bezieht sich sehr stark auf den Körper und die Ausgrenzung allein durchs Alter, wofür man doch gar nichts kann. Vor Ausgrenzung und Einsamkeit fürchtet sich hier nicht nur Eva, die eine emanzipierte Frau ist, Feministin, allein lebt, aber natürlich doch auch irgendwo dazugehören möchte. Das ist für uns alle, und für jede Figur hier im Film die Frage – wo und wie kann ich dazu- gehören? Nirgendwo dazuzugehören, produziert Ängste. Umzudenken, aufeinander zuzugehen, anstatt sich voneinander zu isolieren, ist mühsam. Erfordert Mut. Um da einen neuen gemeinsamen Nenner zu finden, muss man bereit sein, sich zu öffnen, zu reden, zu streiten, auszutarieren, was für alle akzeptabel ist. Es geht hier auch sehr stark um Freundschaft und die Sehnsucht nach Liebe.
Fortsetzung folgt