"Dokumentation: Trotzdem - Erika Pluhar. MeinLeben" vom Montag, 3.März 2014, ARD

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) - Wenn man nach Gründen sucht, was das Besondere des durch Gebühren finanzierten Fernsehens ist, so lieferte die äußerst sehenswerte Reportage von Sigrid Faltin über die österreichische Schauspielerin, Sängerin und Schriftstellerin Erika Pluhar ein eindeutiges Plädoyer.

 

"Schauspielerin, Sängerin und Schriftstellerin": Diese Aufzählung beschreibt die Reihenfolge, in der Frau Pluhar ihr künstlerisches Leben lebte und lebt. Längst dazugekommen, - und das macht die Menschenbeobachtung, die diese Dokumentation anläßlich des fünfundsiebzigsten Geburtstags Pluhars betreibt -, ist der wie eine Inszenierung gestaltete Alltag in Wien.

 

Erika Pluhar erwarb eines der älteren Häuser in Grinzing, und es wirkt, weinberankt, verwunschen. Auch unwirklich, fast wie eine Kulisse. Hier also veranstaltet die immer noch Berühmte ihr Leben, mit Haushälterin, einer strahlenden jungen Frau als Assistentin ihres Künstler-Schaffens und, nicht zu vergessen, einem jungen Mann, gewissermaßen ihrem Ziehenkel. Eigentlich Marrokkaner ("Ausländer" sagt Frau Pluhar, zu meiner Überraschung, denn es ist ein Wort, dass ich bei ihr kaum für statthaft hielt), doch hier soll es erklären, weshalb der einst von ihrer Tochter Anna entdeckte Junge von Erika Pluhar selber fast "wegadoptiert" wurde. Denn, so Pluhar, "ein Ausländer habe es in Österreich grundsätzlich schwer, vor allem, wenn er auch noch Proksch heiße". (Udo Proksch, der erste Mann Pluhars, Vater der einzigen Tochter, und wegen versuchten Versicherungsbetrugs mit Todesfolge zu lebenslänglich verurteilt).

 

Ohnehin bleibt manches ungeklärt, da es lediglich nur von Erika Pluhar erklärt werden soll. Dies die Kehrseite einer Entscheidung, auf eine den Film begleitende Kommentierung zu verzichten. Aber dadurch klug, weil eine enorm große Nähe zur Portraitierten erreicht wird.

 

Es gibt mindestens drei Überraschungen. Und eine halbe. Senta Berger, das die halbe Überraschung, Mitschülerin im Reinhardt-Seminar, wurde nur erwähnt, aber nicht befragt. Der Grund mag sein, dass ihr der Weg von München-Grünwald nach Wien nicht darstellbar erschien. Berger, die im Gegensatz zu Erika Pluhar, auf der Bühne geradezu proletarisch wirkt, wuchs wie diese in einem Gemeindebau Wiens auf, was wir als 'sozialen Wohnungsbau' bezeichnen. Gerechterweise sei erwähnt, dass es vorbildliche Wohnanlagen mit zum Beispiel begrünten Innenhöfen waren und sind. Was aber nichts an jenem Gefühl der Schmach geändert haben mag,wenn man wie Pluhars Eltern hierhin nach dem Zweiten Weltkrieg strafversetzt wurde.

 

Denn Erika Pluhars Vater war offenbar so intensiv in Lemberg engagiert gewesen, dass es nicht leicht fiel, ihn zu "entnazifizieren". So also ging es aus einer nobleren Wohngegend in den Arbeiterbezirk Floridsdorf, jenseits der Donau. - Das Zusammentreffen Erika Pluhars mit ihren beiden Schwestern dort, jetzt anläßlich des Films, war aufschlußreich. Nicht zuletzt zeigte es den sehr selektiven Umgang mit der eigenen Familiengeschichte, wohl auch mit der Wahrhaftigkeit, ein Begriff, wenn mich nicht alles täuscht, den Frau Pluhar gern verwendet.

 

Erika Pluhar ist eine großartige Schauspielerin, eine wenigstens achtbare Sängerin -wobei die Lieder von André Heller zweifellos die stärksten sind, und die Vertonungen Pluharscher Texte des früh verstorbenen Peter Marinoff besonders schön -und eine erfolgreiche Autorin: Mit teils gelungenen Erzählungen, am stärksten der Erstling "Als gehörte eins zum anderen" und "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endtstation?". Das erste ein großer Überraschungserfolg, das zweite eine Dialogfolge, die an die verstorbene Tochter Anna erinnert, die später unverändert aufs Theater gebracht worden ist. Peter Simonischek sprach die Hörfassung, wie immer gut, und Werner Schneyder ist schon jahrelang Erika Pluhars Bühnenpartner. Schneyder war auch zu Gast im Film und durfte am Küchentisch Platz nehmen, an dem - nach Frau Pluhars Aussage - nur ihr ganz besonders verbundene Gäste Platz finden dürfen. Am Tisch saß auch in einer längeren Einstellung ihr früherer Mann André Heller, und dies die zweite Überraschung, ein geradezu verblüffend entspannter, fast gütiger Zeitgenosse. Auf jeden Fall ein von Erika Pluhar bewunderter.

 

Bewundern möchte sie dagegen bis heute nicht ihren jahrelang bekämpften Ex-Direktor Claus Peymann, der wiederum die Schauspielerin immer noch reizvoll zu finden schien. Ein mir bis dato unbekannter gemeinsamer Fernsehauftritt wurde gezeigt, der den langjährigen brisanten Konflikt der beiden aufklärte. Ein wenig gehemmt schienen sie sich das Studio zu teilen, und es wurde deutlich, daß die Zwei als Paar nicht zusammenkamen, wie zwei falsch herum gehaltene Magnete. Damals erschien die Auseinandersetzung fast als von öffentlicher Tragweite, in der Nachbetrachtung privat begründbar.

 

Erika Pluhar erlebte, was sicher zum Furchtbarsten gehört: Den Tod der eigenen Tochter. Sie erstickte an einem Asthma-Anfall, während Erika Pluhar in einem Tonstudio gerade eine neue CD einspielte. Dort soll sie auch die Todesnachricht erreicht haben. "Ob man danach auch an Selbstmord denke?", wollte vor Jahren ein weniger einfühlsamer Befrager von ihr wissen. "Ich sitze hier. Das die Antwort."

 

Der Tod der Tochter hat seither ihr Leben bestimmt. Und also auch weitgehend diesen Film.

 

"Die öffentliche Frau" heißt übrigens ihr jüngstes Buch, nennt sich "Ein autobiographischer Roman" und hätte, das legt der Film nahe, auch "die sich veröffentlichende Frau" heißen können. Das Buch verkauft sich in Österreich übrigens blendend, (hat mit dem französischen Film gleichen Titels nichts gemein), was auch damit zusammenhängen mag, dass sie nach wie vor als eine "Ikone" der Frauenbewegung gilt.

 

Zu Beginn dieser Dokumentation sitzt Erika Pluhar als Sängerin auf einer Bühne. Es ertönen die ersten Takte des wunderbaren Heller-Liedes "Es war einmal". Von Frau Pluhar zig Mal gesungen. Doch jetzt, auf einmal weiß die Künstlerin den Anfang nicht. Und fragt ins Publikum hinein: "Gibt's jemanden, der weiß, was jetzt kommt?"