Zwischen Anspruch, Unterhaltung und Engagement: Neue deutsche Filme

 

Hanswerner Kruse

 

Berlin (Weltexpresso) - Matthias Schweighöfer (33) ist ein überaus erfolgreicher Jungregisseur. Im letzten Jahr zahlte er feierlich auf dem Eisernen Steg, der Fußgängerbrücke über den Main in Frankfurt, seinen gesamten Zuschuss für den „Schlussmacher“ an die Hessische Filmförderung zurück.

 

Während Millionen Zuschauer seine unterhaltsamen Filme lieben, haben sie bei Kritikern oder deutschen Festspielen keine Chance. Dort werden „wertvollere“ Filme mit eher geringerem Unterhaltungswert geschätzt, von denen jetzt einige in die Kinos kommen.

 

Im Wettbewerb der Berlinale liefen vier deutsche Filme, drei davon hatten junge Regisseure gemacht. Auch in anderen Festivalsparten gab es viele deutsche Werke. Medien verkündeten bereits die Wiedergeburt des „Neuen deutschen Kinos“: „Der junge deutsche Film beeindruckt vor allem durch globale, ästhetische und thematische Vielfalt“, schrieb etwa die Berliner Zeitung.

 

Zwei Wettbewerbsfilme junger Regisseure starten jetzt in einigen Kinos - „Zwischen Welten“ von Feo Aladag (42) und der mit einem Silberbär gekürte „Kreuzweg“ von Dietrich Brüggemann (38). Christian Schwochows (35) von der Berlinale abgewiesener Film „Westen“ läuft ebenfalls an.

 

Westen“ beginnt im Osten mit der Ausreise Nellys und ihrem Sohn Alexej aus der DDR. Strahlend kommt sie ins Aufnahmelager, aber das Lachen vergeht ihr. Unter den zusammen gepferchten Flüchtlingen gibt es große Aggressionen, Alexej wird in der Schule als „Ostpocke“ gemoppt, der US-Geheimdienst bedroht Nelly. Um die Wahrheit über ihren, bei einem Unfall in der DDR getöteten Mann zu erfahren, geht sie abenteuerliche Wege. Schwochow baut oft eine immense Spannung auf, aber „Westen“ ist kein Krimi, sondern eine Studie über eine starke Frau. Nelly will sich von ihrer Vergangenheit befreien, die sie jedoch immer wieder einholt - ein Thema, das auch heute viele Flüchtlinge bewegt.

 

Ein weiteres aktuelles Thema, den Krieg in Afghanistan, greift Aladag in „Zwischen Welten“ auf. Die Filmemacherin hat den authentisch wirkenden Spielfilm in Afghanistan gedreht. Er ist kein Doku-Drama, keine weitere Elegie über traumatisierte Soldaten, sondern erzählt von Menschen zwischen den Welten, die sich im Kampf gegen die Taliban kaum verstehen können. Der Dolmetscher Tarik muss Jesper, dem Kommandanten der Bundeswehr, ständig die unterschiedlichen kulturellen Werte der Afghanen „übersetzen“. Als Kollaborateure sind er und seine Schwester Nala dem Hass der Terroristen ausgesetzt, gegen die Befehle seiner Vorgesetzten versucht Jesper die beiden zu schützen.

 

Kreuzweg“ ist der künstlerisch radikalste Film, denn mit lediglich 14 starren Kameraeinstellungen zeigt Brüggemann den Leidensweg der pubertierenden Maria. Die widersetzt sich mühsam allen weltlichen Anfechtungen und hungert sich in ihrer fundamentalistisch-katholischen Familie zu Tode, um den behinderten Bruder zu heilen. Der Filmemacher bezieht sich mit seinen bedrückenden Tableaus auf die Bildstöcke der 14 traditionellen Kreuzwegstationen.

 

Kürzlich meinte ich im Gespräch mit Schauspielerin Nadja Uhl, man könne sich ihren neuen Film „Alles inklusive“ (Regie Doris Dörrie) auch als tristes, düsteres Drama vorstellen. „Ja, so ganz blaustichig“, sagte sie ironisch, „voll mit deutschen Alltagssituationen, alle grau in grau.“

 

Bei den hier besprochenen Filmen gibt es wenig zu lachen, was bei den Stoffen vielleicht auch schwierig ist. Jedoch blaustichige „Dramolette der Unerträglichkeit“ (Uhl) sind sie nicht. Ambitioniert nehmen die Regisseure aktuelle Themen auf, die sie interessant und großartig in Szene setzen - doch ihre anspruchsvollen Filme sind eben nur mäßig unterhaltsam und laufen lediglich in wenigen Kinos. Wenigstens wird man sie im TV sehen können, weil ARD, ZDF oder Arte sie co-produziert haben.

 

Dörrie reicht ihre Filme, cineastischen Gratwanderungen zwischen Humor und Tragik, nicht (mehr) bei der Berlinale ein. Der dort mit einem Silberbär prämierte britisch-deutsche Film „Grand Budapest Hotel“ kommt wiederum nicht in Mainstream-Kinos. Immerhin brachte die BZ, eine Berliner Boulevardzeitung, „Zwischen Welten“ als Fotostory. Aber bis sich die Kluft zwischen Unterhaltungs- und Arthouse-Kino verkleinert, muss Schweighöfer wohl noch über viele Brücken gehen.

 

 

 

Starttermine

Kreuzweg“ und Westen am 20. März, „Zwischen Welten“ am 27. März. „Grand Budapest Hotel“ und „Alles inklusive“ sind bereits angelaufen.

 

Hintergrund

 

Die Epoche des Neuen oder Jungen deutschen Films begann in den 60er-Jahren, als heute arrivierte Filmemacher gegen „Opas Kino“ rebellierten und sich weigerten, flache Unterhaltungsfilme zu drehen. Sie forderten ein Kino, das politische und gesellschaftliche Themen aufgreift und nicht die Köpfe verkleistert. Angesichts der Situation auf dem Filmmarkt, der von Heimat-, Lümmel- und Edgar- Wallace-Filmen dominiert wurde, war das eine notwendige Rebellion. Zum Ende der 70er-Jahre wurden die Filme von Rainer Werner Fassbinder („Lili Marleen“) oder Werner Herzog („Fitzcarraldo“) populär, Volker Schlöndorff erhielt 1980 sogar einen Oscar für seine Verfilmung des Romans „Die Blechtrommel“.