Regina Schilling
Berlin (Weltexpresso) - Als Kind habe ich das Klavierspielen geliebt, aber das Üben und den Unterricht gehasst. So wurde das eine sehr kurze Episode in meinem Leben. Aber ich erinnere mich gut daran, was mit den Melodien passierte, die ich spielte. Sie verwandelten sich in Geschichten. Es gab Gefahren, Abenteuer, und es gab Rettung in letzter Minute. Ich glaube, ich verstehe Igor Levit, wenn er sagt, mit der Musik erzähle er Geschichten, Geschichten über Menschen.
Auch ich bin eine Geschichtenerzählerin. Was mich immer wieder interessiert in meinen Filmen, ist die Frage: Woher kommt die Kunst? Aus der Biografie? Ist sie eine „göttliche Gabe“? Wie verhält sich das bei Igor Levit? Im Alter von 8 Jahren mit seiner jüdischen Familie aus Russland nach Deutschland gekommen, hat er die ersten Jahre seiner Kindheit faktisch vergessen. Aber seine Hände erinnern sich daran, dass er bereits mit drei Jahren Klavierunterricht erhalten hat. Was ist der Schlüssel zu der unglaublichen emotionalen und künstlerischen Intensität seiner musikalischen Interpretation? Wie verwandelt Levit Musik in einen Seelenzustand? Wie lebt es sich mit einer so großen Begabung, die so viele Menschen glücklich macht, für die Begabten selbst aber vielleicht zur Verpflichtung, zur Last werden kann? Verspürt Igor Levit manchmal den Drang, aus seinem über Jahre im voraus verplanten Leben auszubrechen, die Freiheit zu suchen? Wieviel Freiheit steckt in der Musik?
Wir drehten von Mai 2019 bis Dezember 2020 und durften Igor Levit begleiten, zu Konzerten, Proben und Aufnahmen. Sprachen anfangs vor der Kamera über seinen Werdegang und seine Zukunftspläne. Und wir rasselten mit ihm gemeinsam in die Krise, in den Corona-Lockdown. Sie bescherte ihm viele dunkle Stunden, sie öffnete ihm aber auch neue Möglichkeiten. Die Musik hat ihn gerettet, so sagt er. Und so wurde auch unser Film ein anderer. Es wurde ein Film über die Musik und die Arbeit an der Musik, auch über den Körper und das Hören, über die Verbindung, die sich zwischen Musizierenden und Zuhörenden herstellt. Manche der Fragen, die ich mir anfangs stellte, sind hier, jenseits der Sprache, vielleicht am besten beantwortet.
Foto:
©Verleih
Info:
IGOR LEVIT - NO FEAR
von Regina Schilling, D 2022, 118 Min.
Dokumentarfilm / Start: 06.10.2022
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IGOR LEVIT - NO FEAR
von Regina Schilling, D 2022, 118 Min.
Dokumentarfilm / Start: 06.10.2022