Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Wie ist die Idee enstanden, einen Film über Igor Levit zu machen?
Als mein Film „Kulenkampffs Schuhe“ im Sommer 2018 erschien, war das eine aufwühlende Zeit für mich. Ich bekam eine Flut von Zuschauer-Zuschriften, sehr begeisterte, aber auch sehr berührende, sehr offene und auch traurige Briefe und Mails. Da wurden so viele Biografien sichtbar, die von der Kriegs-und Nachkriegszeit beschädigt oder traumatisiert waren, und das Thema des Films holte mich noch einmal ganz anders ein. Und ich dachte: Was jetzt? Was für einen Film kann ich jetzt machen, was für eine Geschichte erzählen? In dieser Phase fragte mich Thomas Kufus, mein langjähriger Produzent, ob mich ein Filmprojekt über Igor Levit interessieren würde, der gerade die kompletten Beethoven-Sonaten einspielte. Ich war gleich elektrisiert. Die Beethoven-Sonaten hatten mir in meinen Zwanzigern über eine Krise hinweggeholfen, da passierte gleich etwas in meinem Kopf. Igor Levit kannte ich aus den Medien, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nie ein Konzert von ihm erlebt. Ich fuhr nach München, wo er die „Hammerklaviersonate“ spielte. Da war’s um mich geschehen. Da war ein Geheimnis. Das wollte ich ergründen.
Was war Ihre erste Idee zu einem Film über Igor Levit?
Unsere erste Idee war, sich ganz auf die Aufnahmen der Beethoven-Sonaten zu konzentrieren, also eine Art dokumentarisches Kammerspiel zu machen. Dann aber erschien mir das zu wenig. In den Gesprächen mit Igor Levit wurde deutlich, dass er sich in einer Phase der Transformation befand. Ich hatte das Gefühl, da ist jemand, dem der Raum, der ihm zur Verfügung steht, zu eng wird. Er will und muss wachsen. So wurde schnell klar, dass wir Igor über einen längeren Zeitraum mit der Kamera begleiten wollten. Er war damit einverstanden, hat aber auch gleich eine Grenze gesetzt: Kein Film über sein Privatleben, sondern einer, der mit seiner Arbeit zu tun hat. Diese Grenze habe ich gerne akzeptiert. Diese Haltung kannte ich von meinem Film über Josef Bierbichler, und sie ist mir sympathisch.
Wie haben sich Ihre Ideen konkretisiert?
Ein wichtiger Ansatz für den Film entwickelte sich in der Vorbereitung. Durch einen wunderbaren Zufall saß ich bei einem Konzert in der Londoner Wigmore Hall in der ersten Reihe, direkt vor Igor Levit, der Ronald Stevensons „Passacaglia on DSCH“ spielte, 80 Minuten ohne Unterbrechung. Nach diesem Konzert dachte ich: Genau diese Erfahrung wünsche ich mir für den Film, Körper und Instrument als Einheit zu erfassen, die Geräusche von Igor beim Spielen zu hören, die Tasten, den Flügel, dieses absolut faszinierendes Zusammenspiel von Hirn, Körper und Instrument erlebbar zu machen. Darum hatte ich von Anfang an vor, Igor beim Klavierspielen nicht in verschiedenen Einstellungen „aufzulösen“, ich wollte keine Fragmentierung, Gesicht nahe, Halbtotale, dann Close Up der Hände... Das Thema „Körper und Instrument“ ist bei Igor auch besonders schön zu beobachten. Er ist ein sehr physischer, sehr geerdeter Pianist, so sehr „es“ auch durch ihn hindurchspielt. Ich wollte sehr bewusst anders drehen als das in der klassischen Musikszene oft der Fall ist, improvisierter, rauer, nicht so clean.
Sie kommen ohne Interviews aus, an wenigen Stellen intervenieren Sie direkt. War das Teil des Konzepts?
Ich habe von Anfang an eher intuitiv an Pennebakers Bob-Dylan-Porträt „Don’t Look Back“ gedacht: Direct Cinema, Informationen über Dylan eher über Bande spielend, indem Pennebaker nicht selbst interviewte, sondern Interviews Dylans mit Journalist:innen drehte. Dylan ist in dem Film wie ein nervöses Rennpferd, bevor er auf die Bühne tritt, und diese Szenen erzählen mir viel mehr über ihn als lange Interviews. Auch Igor hat vor einem Auftritt diese Ausstrahlung, diese Spannung: Wann darf ich endlich losgaloppieren?
Wie muss man sich das vorstellen, mit einem Künstler zu drehen, dessen Leben über Jahre hinaus verplant ist?
Ursprünglich hatten wir Drehtermine für einen Zeitraum von einem Jahr ausgemacht, aber daraus sind dann fast zwei Jahre geworden. Wir wollten vor allem Igor Levits turbulentes Konzertleben begleiten, in allen möglichen europäischen Städten, mit dem unterschiedlichstem Repertoire. Die Drehtermine in den Konzerthäusern waren alle langfristig vereinbart, das sind ja komplizierte Wege, das Orchester muss einverstanden sein, die Dirigent:innen, die Kamerapositionen und die Mikropositionierungen müssen im Vorfeld besprochen werden ... Gleichzeitig mussten wir sehr flexibel sein, denn nicht alle Veranstalter wollten uns drehen lassen. Und bei manchen Gelegenheiten wollte auch Igor Levit nicht, was er aber immer rechtzeitig mitgeteilt hat. Wir mussten nicht ein einziges Mal einen Dreh wegen ihm absagen. Dass aus unseren geplanten Drehs in der Carnegie Hall usw. nichts wurde, hatte ja andere Gründe ...
Wie hat sich Ihr Vertrauensverhältnis zu Igor levit während der Dreharbeiten entwickelt?
Ich glaube, dass Igor von Mal zu Mal mehr Vertrauen bekommen hat, ganz intuitiv. Und ich habe ihn von Dreh zu Dreh mehr verstanden. Bei den Musikaufnahmen mussten wir natürlich mucksmäuschenstill sein. Es war beeindruckend, dass Igor sich in seiner Konzentration nicht von der Kamera stören ließ. Das ging aber oft nur in der ersten Hälfte der Aufnahmen so. Nach der Mittagspause hörte Igor dann unsere Knarzer oder nahm die Bewegung der Kamera aus dem Augenwinkel wahr, was er am Vormittag noch hatte ausblenden können. Das war dann der Zeitpunkt, wo er sagte: „So Leute, ihr müsst Schluss machen, ab jetzt stört ihr mich.“
Natürlich muss man sich das Vertrauen auch erarbeiten. Ich hatte am Anfang zu Igor Levit gesagt: Bitte während der Dreharbeiten keine Schere im Kopf, wir haben eine Schere im Schneideraum. Das habe ich immer so gehalten, auch bei meinen Filmen über Bierbichler und Adriana Altaras, denn am Ende des Tages müssen sie mit dem Film und dem Bild, das ich mir über sie mache, leben. Die Protagonist:innen haben bei mir immer die Möglichkeit, einen Rohschnitt zu sehen, und wenn sie mit einem Satz oder einer Szene überhaupt nicht einverstanden sind, kommt das raus. Das hat Igor, glaube ich, zunächst noch nicht ganz geglaubt, denn er war anfangs durchaus zurückhaltender. Aber irgendwann eben doch.
Waren Igor Levit der Aufwand und die Dimension eines Kinofilms von Anfang an bewusst?
Vermutlich nicht ... Gerade beim Dokumentarfilm ist ja das Verhältnis von gedrehtem Material und dem, was dann im Film landet, schwer zu vermitteln. Es kam dann schon mal die Frage: „Habt ihr immer noch nicht genug?“ Aber es gab eben auch viele Momente, in denen sich Igor gefreut hat, dass wir da waren. Denn, das sagt er ja auch im Film, die Einsamkeit von Solist:innen auf Konzertreisen ist nicht zu unterschätzen.
Sie räumen Igor Levits Klavierspiel in Aufführungen, Proben und Einspiel ungewöhnlich viel Raum ein. Die längste ungeschnittene Sequenz, der dritte Satz der Waldstein-Sonate, dauert über 9 Minuten – war das von Anfang an Teil des Konzepts?
Ja, es ging mir darum, reale Konzert- und Probensituationen nachzuempfinden. Ich wollte, dass die Zuschauer physisch mitgehen und auch erleben und begreifen, wie anstrengend so ein Konzert ist. Musik wird eben mit dem Körper gemacht, und dass der Körper so ackert, mit Schwitzen und Stöhnen, ist ein spannender Kontrast zu der geistigen, emotionalen und manchmal auch spirituellen Erfahrung, die ich als Zuhörende erlebe und die auch Igor Levit während seines Spiels erlebt. Er ist in jeder Sekunde einerseits Gefäß dieser Musik, und andererseits wird sie gerade durch seinen Körper, sein Gehirn, seine Finger „gejagt“. Das passiert alles gleichzeitig. Da verbindet sich auch etwas, der Musizierende verbindet sich mit den Zuhörenden. Dieses geistige und physische Erleben wollte ich im Film herstellen.
Die Sequenzen mit Igor Levit und seinem Tonmeister Andreas Neubronner bilden auf gewisse Weise das Kernstück des Films. Wie ist das entstanden?
Wir haben Igor Levits intensive Zusammenarbeit mit Andreas Neubronner sehr früh mit der Kamera erlebt, bei der Tonbearbeitung der Beethoven-Sonaten in Stuttgart. In diesem engen, vollgestellten Studio mit wenig Licht entstanden Aufnahmen des Kameramanns Johann Feindt, die so intim und intensiv waren, dass klar war, dass wir von dieser Zusammenarbeit mehr zeigen möchten. Ich habe die beiden mit und ohne Kamera erlebt, da gibt es wirklich überhaupt keinen Unterschied. Sie sind so souverän und vertraut in dem, was sie tun, dass die Kamera sie nicht stört.
Wie sehr hat Sie der Aspekt des politischen und gesellschaftlichen Engagements von Igor Levit interessiert?
Diesen Aspekt kann man gar nicht trennen von seiner Person, das politische Engagement ist ihm genauso wichtig wie seine Musik. Da dieser Teil in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt durch seine Social Media-Aktivitäten, sehr bekannt ist, haben wir uns entschieden, uns auf seine musikalische Arbeit zu konzentrieren, zumal wir hier faszinierende Einblicke bekamen. Aber das Ende des Films setzt dann doch noch einmal ein deutliches Zeichen für diesen politischen Aspekt Igor Levits.
Sie waren beim letzten Konzert von Igor Levit vor dem Lockdown mit der Kamera dabei. War das Zufall?
Dass das Konzert am 10. März das letzte vor dem Lockdown sein würde, hat niemand vorausgeahnt. Dokumentarfilm ist immer stark vom Zufall geprägt. Die größte Herausforderung dabei ist ja, den Zufall, auch das Scheitern von lange überlegten Plänen, anzunehmen und das Vertrauen zu haben, dass trotzdem etwas Gutes dabei herauskommen wird. Die Pandemie und der Lockdown mitten in den Dreharbeiten haben die Dynamik des Films natürlich vollkommen verändert. Igor sagte kurz nach dem Lockdown, das kommt ja auch im Film vor: „Ich will nur noch nach Hause.“ Genauso habe ich mich auch gefühlt. Wir hatten erst einmal Funkstille, weil alles, was um uns passierte, ja viel größer war als so ein Film. Aber dann sind wir aus der Höhle herausgekrochen und haben, wie die meisten andern, eben per Facetime kommuniziert. Und es war sofort klar, dass die Pandemie im Film miterzählt werden musste, da sie offensichtlich zu einem weiteren Katalysator in Igors Transformationsprozess wurde.
Sie haben mit verschiedenen Kameraleuten bei diesem Film gearbeitet. Welchen Einfluss hatte das auf die visuelle Gestaltung?
Dadurch, dass wir über so einen langen Zeitraum gedreht haben, konnte ich nicht durchgehend mit einer Kameraperson drehen. Angefangen habe ich trotzdem etwas Gutes dabei herauskommen wird. Die Pandemie und der Lockdown mitten in den Dreharbeiten haben die Dynamik des Films natürlich vollkommen verändert. Igor sagte kurz nach dem Lockdown, das kommt ja auch im Film vor: „Ich will nur noch nach Hause.“ Genauso habe ich mich auch gefühlt. Wir hatten erst einmal Funkstille, weil alles, was um uns passierte, ja viel größer war als so ein Film. Aber dann sind wir aus der Höhle herausgekrochen und haben, wie die meisten andern, eben per Facetime kommuniziert. Und es war sofort klar, dass die Pandemie im Film miterzählt werden musste, da sie offensichtlich zu einem weiteren Katalysator in Igors Transformationsprozess wurde.
Sie haben mit verschiedenen Kameraleuten bei diesem Film gearbeitet. Welchen Einfluss hatte das auf die visuelle Gestaltung?
Dadurch, dass wir über so einen langen Zeitraum gedreht haben, konnte ich nicht durchgehend mit einer Kameraperson drehen. Angefangen habe ich mit Johann Feindt, mit dem ich schon lange zusammenarbeite und dessen Kameraarbeit ich sehr bewundere. Er wird, vielleicht ähnlich wie Igor am Klavier, eins mit der Kamera. Sein Körper und die Kamera sind, wenn er dreht, nicht zu trennen. Er nimmt Dinge wahr, die hinter ihm passieren. Er weiß intuitiv, was Gesprächspartner:innen in zwei Minuten sagen werden. Er kann noch aus der schäbigsten Drehsituation Magie herausholen. Seine Art zu drehen hat sozusagen den Ton bzw. das Bild vorgegeben. Und ich hatte das Glück, dass alle anderen Kameraleute auch so intuitiv und professionell gedreht haben. Jede und jeder hat eine eigene Sternstunde im Film, die sich organisch ins Ganze eingefügt hat.
Wie sehr entsteht ein Film wie „Igor Levit – No Fear“ letzten Endes im Schneideraum?
Meine Filme entstehen vor allem im Schneideraum, sogar wenn ich vorher ein „Buch“ geschrieben habe, wie bei „Kulenkampffs Schuhe“, der als Kompilationsfilm ganz ohne selbst gedrehtes Material auskommt. Ich kann den großen Anteil der Editor:innen an meinen Filmen nicht genug hervorheben. Dieses gemeinsame Erarbeiten einer Dramaturgie, der unbelastete, unbefangene Blick auf das Material ist unerlässlich. Bei diesem Film haben wir erst einmal ein chronologisch zusammengestelltes „Best of“ des Materials gemacht – das war dann eine intensive vierstündige Fassung. Es wurde uns dabei sehr schnell bewusst, dass das Drehmaterial vor allem in seiner Länge seine Stärke entfaltet, so wie die Sequenz der Waldsteinsonate mit ihren fast 10 Minuten. Die Editorin Carina Mergens hat sich dann, oft auch allein, in die langen musikalischen Aufnahmesituationen gestürzt und sich das Material so lange einverleibt, bis sie es vollkommen durchdrungen hat. Für die Dramaturgie des Films war der Corona-Lockdown wichtig – so gerne wir darauf verzichtet hätten. Insgesamt, kann ich sagen, war die Zeit im Schneideraum überwiegend und überraschend leicht, ohne große Kämpfe oder langes Ringen um die Form. Die Musik hat Carina Mergens und mich dabei getragen, auch durch die schwierige Zeit des Lockdowns.
Welche Rolle spielten Sound Design und Tonbearbeitung?
Ich hatte das Glück, in der Postproduktion mit zwei Meistern ihres Fachs zu arbeiten, Andreas Hildebrandt im Sound Design und Matthias Lempert bei der Mischung, beide selbst Musiker und hochsensible Menschen, die Igor Levit als Person sofort verstanden haben. Sie haben meine Intentionen nicht nur umgesetzt, sondern künstlerisch auch sehr viel Eigenes in den Film gebracht. Die Ton-Ebene ist hier nicht nur Verstärkung, sondern eine ganz eigene Dimension. Der Sound verändert unsere Wahrnehmung und Verständnis des Films elementar, auf einer physischen Ebene, nicht nur unter musikalischen Aspekten.
Wie kam es zum Titel „No fear“?
In einer Phase, in der Igor Levit aufgrund seines politischen Engagements besonders heftig attackiert wurde, hatte er das als Überschrift zu seinem Twitter Account gesetzt: „No Fear“. Der Hass, den er erfuhr, kulminierte ja sogar in sehr konkreten Morddrohungen. Keine Angst zu haben bzw. sich nicht einschüchtern lassen, ist für ihn existenziell. „No Fear“ beschreibt aber auch seine Haltung gegenüber neuen musikalischen Projekten. Da kann es für ihn gar nicht herausfordernd genug sein. Nach dem Motto: „Wo die Angst ist, ist der Weg.“
Foto:
©Verleih
Info:
IGOR LEVIT - NO FEAR
von Regina Schilling, D 2022, 118 Min.
Dokumentarfilm / Start: 06.10.2022
Was war Ihre erste Idee zu einem Film über Igor Levit?
Unsere erste Idee war, sich ganz auf die Aufnahmen der Beethoven-Sonaten zu konzentrieren, also eine Art dokumentarisches Kammerspiel zu machen. Dann aber erschien mir das zu wenig. In den Gesprächen mit Igor Levit wurde deutlich, dass er sich in einer Phase der Transformation befand. Ich hatte das Gefühl, da ist jemand, dem der Raum, der ihm zur Verfügung steht, zu eng wird. Er will und muss wachsen. So wurde schnell klar, dass wir Igor über einen längeren Zeitraum mit der Kamera begleiten wollten. Er war damit einverstanden, hat aber auch gleich eine Grenze gesetzt: Kein Film über sein Privatleben, sondern einer, der mit seiner Arbeit zu tun hat. Diese Grenze habe ich gerne akzeptiert. Diese Haltung kannte ich von meinem Film über Josef Bierbichler, und sie ist mir sympathisch.
Wie haben sich Ihre Ideen konkretisiert?
Ein wichtiger Ansatz für den Film entwickelte sich in der Vorbereitung. Durch einen wunderbaren Zufall saß ich bei einem Konzert in der Londoner Wigmore Hall in der ersten Reihe, direkt vor Igor Levit, der Ronald Stevensons „Passacaglia on DSCH“ spielte, 80 Minuten ohne Unterbrechung. Nach diesem Konzert dachte ich: Genau diese Erfahrung wünsche ich mir für den Film, Körper und Instrument als Einheit zu erfassen, die Geräusche von Igor beim Spielen zu hören, die Tasten, den Flügel, dieses absolut faszinierendes Zusammenspiel von Hirn, Körper und Instrument erlebbar zu machen. Darum hatte ich von Anfang an vor, Igor beim Klavierspielen nicht in verschiedenen Einstellungen „aufzulösen“, ich wollte keine Fragmentierung, Gesicht nahe, Halbtotale, dann Close Up der Hände... Das Thema „Körper und Instrument“ ist bei Igor auch besonders schön zu beobachten. Er ist ein sehr physischer, sehr geerdeter Pianist, so sehr „es“ auch durch ihn hindurchspielt. Ich wollte sehr bewusst anders drehen als das in der klassischen Musikszene oft der Fall ist, improvisierter, rauer, nicht so clean.
Sie kommen ohne Interviews aus, an wenigen Stellen intervenieren Sie direkt. War das Teil des Konzepts?
Ich habe von Anfang an eher intuitiv an Pennebakers Bob-Dylan-Porträt „Don’t Look Back“ gedacht: Direct Cinema, Informationen über Dylan eher über Bande spielend, indem Pennebaker nicht selbst interviewte, sondern Interviews Dylans mit Journalist:innen drehte. Dylan ist in dem Film wie ein nervöses Rennpferd, bevor er auf die Bühne tritt, und diese Szenen erzählen mir viel mehr über ihn als lange Interviews. Auch Igor hat vor einem Auftritt diese Ausstrahlung, diese Spannung: Wann darf ich endlich losgaloppieren?
Wie muss man sich das vorstellen, mit einem Künstler zu drehen, dessen Leben über Jahre hinaus verplant ist?
Ursprünglich hatten wir Drehtermine für einen Zeitraum von einem Jahr ausgemacht, aber daraus sind dann fast zwei Jahre geworden. Wir wollten vor allem Igor Levits turbulentes Konzertleben begleiten, in allen möglichen europäischen Städten, mit dem unterschiedlichstem Repertoire. Die Drehtermine in den Konzerthäusern waren alle langfristig vereinbart, das sind ja komplizierte Wege, das Orchester muss einverstanden sein, die Dirigent:innen, die Kamerapositionen und die Mikropositionierungen müssen im Vorfeld besprochen werden ... Gleichzeitig mussten wir sehr flexibel sein, denn nicht alle Veranstalter wollten uns drehen lassen. Und bei manchen Gelegenheiten wollte auch Igor Levit nicht, was er aber immer rechtzeitig mitgeteilt hat. Wir mussten nicht ein einziges Mal einen Dreh wegen ihm absagen. Dass aus unseren geplanten Drehs in der Carnegie Hall usw. nichts wurde, hatte ja andere Gründe ...
Wie hat sich Ihr Vertrauensverhältnis zu Igor levit während der Dreharbeiten entwickelt?
Ich glaube, dass Igor von Mal zu Mal mehr Vertrauen bekommen hat, ganz intuitiv. Und ich habe ihn von Dreh zu Dreh mehr verstanden. Bei den Musikaufnahmen mussten wir natürlich mucksmäuschenstill sein. Es war beeindruckend, dass Igor sich in seiner Konzentration nicht von der Kamera stören ließ. Das ging aber oft nur in der ersten Hälfte der Aufnahmen so. Nach der Mittagspause hörte Igor dann unsere Knarzer oder nahm die Bewegung der Kamera aus dem Augenwinkel wahr, was er am Vormittag noch hatte ausblenden können. Das war dann der Zeitpunkt, wo er sagte: „So Leute, ihr müsst Schluss machen, ab jetzt stört ihr mich.“
Natürlich muss man sich das Vertrauen auch erarbeiten. Ich hatte am Anfang zu Igor Levit gesagt: Bitte während der Dreharbeiten keine Schere im Kopf, wir haben eine Schere im Schneideraum. Das habe ich immer so gehalten, auch bei meinen Filmen über Bierbichler und Adriana Altaras, denn am Ende des Tages müssen sie mit dem Film und dem Bild, das ich mir über sie mache, leben. Die Protagonist:innen haben bei mir immer die Möglichkeit, einen Rohschnitt zu sehen, und wenn sie mit einem Satz oder einer Szene überhaupt nicht einverstanden sind, kommt das raus. Das hat Igor, glaube ich, zunächst noch nicht ganz geglaubt, denn er war anfangs durchaus zurückhaltender. Aber irgendwann eben doch.
Waren Igor Levit der Aufwand und die Dimension eines Kinofilms von Anfang an bewusst?
Vermutlich nicht ... Gerade beim Dokumentarfilm ist ja das Verhältnis von gedrehtem Material und dem, was dann im Film landet, schwer zu vermitteln. Es kam dann schon mal die Frage: „Habt ihr immer noch nicht genug?“ Aber es gab eben auch viele Momente, in denen sich Igor gefreut hat, dass wir da waren. Denn, das sagt er ja auch im Film, die Einsamkeit von Solist:innen auf Konzertreisen ist nicht zu unterschätzen.
Sie räumen Igor Levits Klavierspiel in Aufführungen, Proben und Einspiel ungewöhnlich viel Raum ein. Die längste ungeschnittene Sequenz, der dritte Satz der Waldstein-Sonate, dauert über 9 Minuten – war das von Anfang an Teil des Konzepts?
Ja, es ging mir darum, reale Konzert- und Probensituationen nachzuempfinden. Ich wollte, dass die Zuschauer physisch mitgehen und auch erleben und begreifen, wie anstrengend so ein Konzert ist. Musik wird eben mit dem Körper gemacht, und dass der Körper so ackert, mit Schwitzen und Stöhnen, ist ein spannender Kontrast zu der geistigen, emotionalen und manchmal auch spirituellen Erfahrung, die ich als Zuhörende erlebe und die auch Igor Levit während seines Spiels erlebt. Er ist in jeder Sekunde einerseits Gefäß dieser Musik, und andererseits wird sie gerade durch seinen Körper, sein Gehirn, seine Finger „gejagt“. Das passiert alles gleichzeitig. Da verbindet sich auch etwas, der Musizierende verbindet sich mit den Zuhörenden. Dieses geistige und physische Erleben wollte ich im Film herstellen.
Die Sequenzen mit Igor Levit und seinem Tonmeister Andreas Neubronner bilden auf gewisse Weise das Kernstück des Films. Wie ist das entstanden?
Wir haben Igor Levits intensive Zusammenarbeit mit Andreas Neubronner sehr früh mit der Kamera erlebt, bei der Tonbearbeitung der Beethoven-Sonaten in Stuttgart. In diesem engen, vollgestellten Studio mit wenig Licht entstanden Aufnahmen des Kameramanns Johann Feindt, die so intim und intensiv waren, dass klar war, dass wir von dieser Zusammenarbeit mehr zeigen möchten. Ich habe die beiden mit und ohne Kamera erlebt, da gibt es wirklich überhaupt keinen Unterschied. Sie sind so souverän und vertraut in dem, was sie tun, dass die Kamera sie nicht stört.
Wie sehr hat Sie der Aspekt des politischen und gesellschaftlichen Engagements von Igor Levit interessiert?
Diesen Aspekt kann man gar nicht trennen von seiner Person, das politische Engagement ist ihm genauso wichtig wie seine Musik. Da dieser Teil in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt durch seine Social Media-Aktivitäten, sehr bekannt ist, haben wir uns entschieden, uns auf seine musikalische Arbeit zu konzentrieren, zumal wir hier faszinierende Einblicke bekamen. Aber das Ende des Films setzt dann doch noch einmal ein deutliches Zeichen für diesen politischen Aspekt Igor Levits.
Sie waren beim letzten Konzert von Igor Levit vor dem Lockdown mit der Kamera dabei. War das Zufall?
Dass das Konzert am 10. März das letzte vor dem Lockdown sein würde, hat niemand vorausgeahnt. Dokumentarfilm ist immer stark vom Zufall geprägt. Die größte Herausforderung dabei ist ja, den Zufall, auch das Scheitern von lange überlegten Plänen, anzunehmen und das Vertrauen zu haben, dass trotzdem etwas Gutes dabei herauskommen wird. Die Pandemie und der Lockdown mitten in den Dreharbeiten haben die Dynamik des Films natürlich vollkommen verändert. Igor sagte kurz nach dem Lockdown, das kommt ja auch im Film vor: „Ich will nur noch nach Hause.“ Genauso habe ich mich auch gefühlt. Wir hatten erst einmal Funkstille, weil alles, was um uns passierte, ja viel größer war als so ein Film. Aber dann sind wir aus der Höhle herausgekrochen und haben, wie die meisten andern, eben per Facetime kommuniziert. Und es war sofort klar, dass die Pandemie im Film miterzählt werden musste, da sie offensichtlich zu einem weiteren Katalysator in Igors Transformationsprozess wurde.
Sie haben mit verschiedenen Kameraleuten bei diesem Film gearbeitet. Welchen Einfluss hatte das auf die visuelle Gestaltung?
Dadurch, dass wir über so einen langen Zeitraum gedreht haben, konnte ich nicht durchgehend mit einer Kameraperson drehen. Angefangen habe ich trotzdem etwas Gutes dabei herauskommen wird. Die Pandemie und der Lockdown mitten in den Dreharbeiten haben die Dynamik des Films natürlich vollkommen verändert. Igor sagte kurz nach dem Lockdown, das kommt ja auch im Film vor: „Ich will nur noch nach Hause.“ Genauso habe ich mich auch gefühlt. Wir hatten erst einmal Funkstille, weil alles, was um uns passierte, ja viel größer war als so ein Film. Aber dann sind wir aus der Höhle herausgekrochen und haben, wie die meisten andern, eben per Facetime kommuniziert. Und es war sofort klar, dass die Pandemie im Film miterzählt werden musste, da sie offensichtlich zu einem weiteren Katalysator in Igors Transformationsprozess wurde.
Sie haben mit verschiedenen Kameraleuten bei diesem Film gearbeitet. Welchen Einfluss hatte das auf die visuelle Gestaltung?
Dadurch, dass wir über so einen langen Zeitraum gedreht haben, konnte ich nicht durchgehend mit einer Kameraperson drehen. Angefangen habe ich mit Johann Feindt, mit dem ich schon lange zusammenarbeite und dessen Kameraarbeit ich sehr bewundere. Er wird, vielleicht ähnlich wie Igor am Klavier, eins mit der Kamera. Sein Körper und die Kamera sind, wenn er dreht, nicht zu trennen. Er nimmt Dinge wahr, die hinter ihm passieren. Er weiß intuitiv, was Gesprächspartner:innen in zwei Minuten sagen werden. Er kann noch aus der schäbigsten Drehsituation Magie herausholen. Seine Art zu drehen hat sozusagen den Ton bzw. das Bild vorgegeben. Und ich hatte das Glück, dass alle anderen Kameraleute auch so intuitiv und professionell gedreht haben. Jede und jeder hat eine eigene Sternstunde im Film, die sich organisch ins Ganze eingefügt hat.
Wie sehr entsteht ein Film wie „Igor Levit – No Fear“ letzten Endes im Schneideraum?
Meine Filme entstehen vor allem im Schneideraum, sogar wenn ich vorher ein „Buch“ geschrieben habe, wie bei „Kulenkampffs Schuhe“, der als Kompilationsfilm ganz ohne selbst gedrehtes Material auskommt. Ich kann den großen Anteil der Editor:innen an meinen Filmen nicht genug hervorheben. Dieses gemeinsame Erarbeiten einer Dramaturgie, der unbelastete, unbefangene Blick auf das Material ist unerlässlich. Bei diesem Film haben wir erst einmal ein chronologisch zusammengestelltes „Best of“ des Materials gemacht – das war dann eine intensive vierstündige Fassung. Es wurde uns dabei sehr schnell bewusst, dass das Drehmaterial vor allem in seiner Länge seine Stärke entfaltet, so wie die Sequenz der Waldsteinsonate mit ihren fast 10 Minuten. Die Editorin Carina Mergens hat sich dann, oft auch allein, in die langen musikalischen Aufnahmesituationen gestürzt und sich das Material so lange einverleibt, bis sie es vollkommen durchdrungen hat. Für die Dramaturgie des Films war der Corona-Lockdown wichtig – so gerne wir darauf verzichtet hätten. Insgesamt, kann ich sagen, war die Zeit im Schneideraum überwiegend und überraschend leicht, ohne große Kämpfe oder langes Ringen um die Form. Die Musik hat Carina Mergens und mich dabei getragen, auch durch die schwierige Zeit des Lockdowns.
Welche Rolle spielten Sound Design und Tonbearbeitung?
Ich hatte das Glück, in der Postproduktion mit zwei Meistern ihres Fachs zu arbeiten, Andreas Hildebrandt im Sound Design und Matthias Lempert bei der Mischung, beide selbst Musiker und hochsensible Menschen, die Igor Levit als Person sofort verstanden haben. Sie haben meine Intentionen nicht nur umgesetzt, sondern künstlerisch auch sehr viel Eigenes in den Film gebracht. Die Ton-Ebene ist hier nicht nur Verstärkung, sondern eine ganz eigene Dimension. Der Sound verändert unsere Wahrnehmung und Verständnis des Films elementar, auf einer physischen Ebene, nicht nur unter musikalischen Aspekten.
Wie kam es zum Titel „No fear“?
In einer Phase, in der Igor Levit aufgrund seines politischen Engagements besonders heftig attackiert wurde, hatte er das als Überschrift zu seinem Twitter Account gesetzt: „No Fear“. Der Hass, den er erfuhr, kulminierte ja sogar in sehr konkreten Morddrohungen. Keine Angst zu haben bzw. sich nicht einschüchtern lassen, ist für ihn existenziell. „No Fear“ beschreibt aber auch seine Haltung gegenüber neuen musikalischen Projekten. Da kann es für ihn gar nicht herausfordernd genug sein. Nach dem Motto: „Wo die Angst ist, ist der Weg.“
Foto:
©Verleih
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IGOR LEVIT - NO FEAR
von Regina Schilling, D 2022, 118 Min.
Dokumentarfilm / Start: 06.10.2022