Nachttipp von Donnerstag, 13. auf Freitag 14. Oktober 2022 beim WDR
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) - Icare ist neun Jahre alt. Er wurde von seiner Mutter zu Hause immer nur Zucchini genannt, deshalb ist das der Name, den er mag und auf den er hört. Er lebt allein mit seiner alkoholkranken Mutter, die ihre Zeit Dosenbier trinkend vor dem Fernseher verbringt. Da sie nie Zeit für den Jungen hat, spielt er meistens allein in seinem Zimmer auf dem Dachboden. Gerade hat er einen Drachen gebastelt, auf den er seinen seit vielen Jahren abwesenden Vater als Superman gemalt hat, der nach Aussage seiner Mutter mehr ″die jungen Hühner mochte″.
Durch einen tragischen Unfall, an dem der Junge nicht ganz schuldlos ist, stirbt seine Mutter und er wird von dem netten Polizisten Raymond in das Waisenhaus "Haus der Springbrunnen" der Direktorin Madame Papineau gebracht.
Zucchini muss versuchen, in der neuen Umgebung Freunde zu finden, und auch lernen, sich durchzusetzen. Am Anfang hat er große Probleme, vor allem da ihn der vorwitzige und schlaue Simon, der Anführer der Kinder, regelmäßig hänselt, beim Essen, im Schulunterricht und sogar in der Nacht. Nachdem er sich aber gegen Simon einmal durchsetzen konnte, werden die beiden gute Freunde und Simon erzählt ihm, weshalb die anderen Kinder im Heim sind. Da sind z.B. Béatrice, deren Mutter abgeschoben wurde, Ahmed, dessen Vater im Gefängnis sitzt, oder Alice, die von ihrem Vater missbraucht wurde. Simons Eltern selbst sind drogensüchtig und haben den Jungen vernachlässigt.
Eines Tages ändert sich aber alles für Zucchini. Mit Camille kommt ein neues Kind ins Heim. Der Junge verliebt sich sofort in das aufgeweckte und selbstbewusste Mädchen. Doch auch Camille hat eine dunkle Vergangenheit, ihr Vater hat ihre Mutter und sich selbst umgebracht. Vor allem will sie unter keinen Umständen zu ihrer Tante zurück, die sie schlecht behandelt, dies aber nach außen hin nicht merken lässt.
Während Zucchini regelmäßig von Raymond besucht wird, der darüber nachdenkt, ob er den Jungen nicht als Pflegekind annehmen will, müssen die Kinder einen Weg finden, damit Camille nicht bei ihrer Tante bleiben muss...
Die schweizerisch/französische Koproduktion "Mein Leben als Zucchini" ist ein Stop-Motion-Animationsfilm. Der Film beruht auf dem Roman Autobiographie d'une courgette von Gilles Paris, der in Deutschland erstmals 2004 unter dem Namen Autobiografie einer Pflaume erschienen ist (das Pendant zum französischen courgette ist im Deutschen Pflaume oder Gurke). Der Albrecht Knaus Verlag hat 2016 zum Start des Films eine Neuauflage des Buches unter dem Namen Mein Leben als Zucchini veröffentlicht. Das Drehbuch des Films wurde von Céline Sciamma verfasst, Regisseur ist Claude Barras. Die Premiere des Animationsfilms war 2016 in Cannes.
"Mein Leben als Zucchini" steckt mit den liebevoll animierten Puppen mit ihren großen Köpfen voller Charme und Poesie, obwohl in dem Film eine durchaus leidvolle Geschichte erzählt wird. Eigentlich geht es um alleingelassene, oftmals missbrauchte Kinder und ihre Suche nach Freundschaft, einer Zukunftsperspektive und vor allem Liebe. Diese ernsten Themen werden von den Machern des Films trotz des Animations-Charmes keineswegs beschönigt. Die Puppen sind bis ins kleinste Detail wundervoll gestaltet. Durch ihre Frisuren und ihre coolen Kostüme wird jedem Kind und jedem Erwachsenen eine besondere, individuelle Note verliehen.
An einigen Stellen wurde der Film im Vergleich zum Buch vor allem bei den Hintergrundgeschichten der Kinder etwas entschärft. Dies geschah sicher auch deshalb, damit der Film für die Zielgruppe - Kinder im Grundschulalter - ansehbar und auch verständlich ist.
Trotzdem enthält "Mein Leben als Zucchini" einige wunderbare kindliche Diskussionen, die auch dem erwachsenen Publikum Vergnügen bereiten werden, z.B. wenn die Kinder darüber nachdenken, wie das wohl mit dem Sex und dem Kinder kriegen vor sich geht. Gleichzeitig findet nach der Geburt des Kindes der Betreuerin Rosie aber auch eine der traurigsten Unterhaltungen statt, wenn die Kinder bemerken, unter welchen Bedingungen Rosie ihr Kind auf jeden Fall behalten und nicht ins Heim abschieben wird.
Der Film wurde von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) zu Recht mit dem Prädikat "besonders wertvoll" ausgezeichnet, da der Film wichtige und zentrale Botschaften vermittelt, die sich gerade für das jüngere Publikum im Grundschulalter für die Identifikation mit den kleinen Helden anbieten. Auch die FBW Jugend Filmjury empfiehlt den Film und gibt ihm 4,5 von 5 Sternen, da man gut die Gefühle der Charaktere nachvollziehen kann.
Der Animationsfilm wurde auch international vielfach ausgezeichnet, u.a. beim Europäischen Filmpreis 2016 als Bester Animationsfilm. Bei den Golden Globe Awards und der Oscarverleihung 2017 wurde er als Bester animierter Spielfilm nominiert, daneben wurde er von der Schweiz als bester fremdsprachiger Film ins Oscar-Rennen geschickt.
Regisseur Claude Barras und sein Team haben mit "Mein Leben als Zucchini" einen farbenfrohen, verspielten und warmherzigen Animationsfilm geschaffen, der wunderbar phantasievoll und schwungvoll schwierige Themen behandelt und gerade deshalb für Kinder im Alter von 6 - 11 Jahren geeignet ist, aber auch die Erwachsenen werden an dem Film ihre Freude haben. "Mein Leben als Zucchini" ist auch zu später Stunde im Fernsehen unbedingt sehenswert.
Foto 1: Die Kinder des Waisenhauses (ohne Camille) © Polyband Medien GmbH
Foto 2: Camille und Zucchini © Polyband Medien GmbH
Foto 3: Zucchini und Simon © Polyband Medien GmbH
Info:
Mein Leben als Zucchini (Schweiz, Frankreich 2016)
Originaltitel: Ma vie de courgette
Genre: Animation, Stop-Motion, Drama, Literaturverfilmung
Filmlänge: 66 Min.
Regie: Claude Barras
Drehbuch: Céline Sciamma, nach dem Buch Autobiographie d'une courgette von Gilles Paris (2002)
Deutsche Sprecher: Linus Püttmann, Louisa Fuchs, Felix Lange, Helmut Gauß u.a.
FSK: ab 0 Jahren
″Mein Leben als Zucchini″ wird in der Nacht von Donnerstag, 13.10.2022 auf Freitag, 14.10.2022 um 00:00 Uhr beim WDR gezeigt.