Ein besonderes Doku-Drama am Samstag, 12. November bei ARD Alpha
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) - Als im Februar 1943 Berlin als "judenrein" erklärt wird, leben immer noch ungefähr 7000 jüdische Mitbürger in der Stadt im Untergrund. Zu diesen gehören auch Hanni Lévy (Alice Dwyer), Cioma Schönhaus (Max Mauff), Eugen Friede (Aaron Altaras) und Ruth Arndt (Ruby O. Fee).
Die Waise Hanni Lévy hat sich die Haare blond färben lassen, wandert tagsüber durch Berlin und hofft irgendwo übernachten zu können. Sie fällt in einem Kino der Kartenverkäuferin Frau Kolzer (Naomi Krauss) auf, da sie immer wieder die gleichen Filme besucht. Die nimmt Hanni mit zu sich nach Hause und lässt sie im Zimmer ihres Sohnes, der als Soldat an der Front ist, bis zum Ende des Krieges wohnen.
Ruth Arndt und ihre Familie verstecken sich getrennt voneinander. Während ein Teil ihrer Familie bei Frau Gehre (Steffi Kühnert) unterkommt, lebt Ruth zusammen mit ihrer Freundin Ellen Lewinsky (Victoria Schulz) bei Frau Liebhold (Irene Rindje). Die beiden jungen Frauen geben sich als Kriegswitwen aus und arbeiten tagsüber als Serviermädchen bei dem Wehrmachtsoffizier Wehlen (Horst Günter Marx), der mit Waren vom Schwarzmarkt rauschende Feste feiert, und der vermutlich weiß, wer da für ihn arbeitet.
Der zwanzigjährige Cioma Schönhaus lebt unerkannt bei seiner Vermieterin, die ihn auch nicht anmeldet. Er trifft eines Tages auf die jüdische Spionin Stella Goldschlag (Laila Maria Witt), doch durch Glück kann er entkommen. Später fälscht er zusammen mit seinem Freund Ludwig Lichtwitz (Sergej Moya) und dem Elektriker Werner Scharff (Florian Lukas) Pässe für die Untergrundgruppe des Oberregierungsrats Dr. Franz Kaufmann (Robert Hunger-Bühler), mit denen dutzende Juden außer Landes geschafft werden. Mit dem verdienten Geld kann er sich sogar ein Boot kaufen, bis die Gruppe auffliegt und er mit einem letzten gefälschten Wehrpass quer durch Deutschland in die Schweiz fliehen kann.
Eugen Friede ist der Jüngste der Vier. Seine Mutter ist Jüdin, die durch seinen christlichen Stiefvater geschützt ist. Sein Stiefvater versucht ihn während der ganzen Zeit im Untergrund zu unterstützen. Zuerst lebt er bei einer deutschen Familie und kommt dort sogar der Tochter Ruth des Hauses näher. Tagsüber trägt er die Uniform der Hitlerjugend eines Freundes. Doch dann muss er weiterziehen und schließt sich der Widerstandsgruppe von Hans Winkler (Andreas Schmidt) in Luckenwalde an, die in Berlin und Umgebung nachts Flugblätter gegen die Nazis verteilt und bei dem später auch Werner Scharff unterkommt.
Während der ganzen Jahre sind die vier, die sich nicht kennen und auch nicht begegnen werden, auf ihren Einfallsreichtum und auf Hilfe von Menschen angewiesen, die unter Lebensgefahr bereit sind, ihnen Unterschlupf zu gewähren, ihnen von ihrem Essen abzugeben oder bei Gefahr nach einer neuen Bleibe zu suchen...
Regisseur und Drehbuchautor Claus Räfle hat in diesem Film nicht nur die Geschichte von vier Überlebenden erzählt, sondern er lässt in einer Parallel-Montage die vier auch selbst als alte Menschen zu Wort kommen. Dies gibt dem Doku-Drama, mit dem der Regisseur bereits 2007 begonnen hat, einen zusätzlichen interessanten Aspekt. Dabei gehen die Spielszenen und die Interviews teilweise ineinander über, was den Geschichten eine erschreckende Authentizität verleiht.
Die vier Zeitzeugen berichten dabei von ihrem Leben, ihrem Schicksal und im Detail auch von ihren Erlebnissen als Unsichtbare. Neben den Interviews wurden auch immer wieder Archivbilder in die Spielhandlungen eingebunden. Dies lässt uns auch einen authentischen Blick auf das Berliner Alltagsleben während dieser Kriegsjahre werfen.
Die vier Schauspieler Alice Dwyer, Ruby O. Fee, Max Mauff und Aaron Altaras haben ihre Rollen überzeugend gespielt. Sie passten auch hervorragend zu ihre realen Vorbildern: Hanni Lèvy (geb. Weissenberg) geboren 1924, gestorben 2019 lebte in Paris und trat immer wieder als Rednerin auf. Ruth Gumpel (geb. Arndt), die mit ihren ebenfalls untergetauchten Freund und ihrer Familie nach dem Krieg nach Amerika ausgewandert ist, wurde 1922 geboren und starb 2012 in der Nähe von San Francisco. Cioma Schönhaus, geboren1922, hat es kurz vor Kriegsende in die Schweiz geschafft und ist dort 2015 gestorben. Eugen Herman-Friede, geboren 1926, gestorben 2018, wurde noch kurz vor Kriegende verhaftet, die Befreiung Berlins rette ihm das Leben. Er wurde nach dem Krieg Journalist in der DDR, musste von dort aber 1948 fliehen und lebte zuletzt in der Nähe von Frankfurt/M. Von den ungefähr 7000 in Berlin versteckten Juden haben nur etwa 1500 den Krieg und den Terror des Nationalsozialismus überlebt. Ruth Arndt, Hanni Lévy, Cioma Schönhaus und Eugen Friede waren vier davon.
Insgesamt ist "Die Unsichtbaren - Wir wollen leben" ein spannendes und aufrüttelndes Doku-Drama, das von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) das Prädikat besonders wertvoll erhalten hat. Es lohnt sich unbedingt, sich das sehenswerte Doku-Drama im Fernsehen anzusehen, denn es wirkt sicher noch lange nach.
Zusatz 1: Der bekannte deutsch-israelische Schauspieler Michael Degen hat 2002 seine Kindheits- und Jugenderinnerungen als deutsch-jüdischer Junge, der zusammen mit seiner Mutter während des Krieges in Berlin untergetaucht ist, unter dem Titel Nicht alle waren Mörder: Eine Kindheit in Berlin veröffentlicht. Er hat darin ähnliche Begebenheiten beschrieben, wie es die vier jungen Leute in "Die Unsichtbaren - Wir wollen leben" erlebt haben: Dass sie durch die Hilfsbereitschaft und zum Teil durch den Widerstand anderer Menschen überlebt haben. Die ARD hat das Buch 2006 als einen Fernsehfilm mit dem gleichen Titel unter der Regie von Jo Baier verfilmt. In diesem Film hat übrigens Aaron Altaras die Rolle des 11jährigen Michael Degen gespielt. In "Die Unsichtbaren" spielt er jetzt Eugen Friede. Der Fernsehfilm ist leider nur noch antiquarisch auf DVD zu erwerben und zuletzt 2013 in Free-TV gezeigt worden.
Zusatz 2: Im Oktober 2022 ist der Spielfilm ″Der Passfälscher″ in Deutschland in die Kinos gekommen. Hier hat Drehbuchautorin und Regisseurin Maggie Peren das Leben von Cioma Schönhaus nach dessen Buch: Der Passfälscher. Die unglaubliche Geschichte eines jungen Grafikers, der im Untergrund gegen die Nazis kämpfte (2004) verfilmt. Cioma Schönhaus wird in diesem Film von Louis Hofmann gespielt.
Foto 1: Alice Dwyer als Hanni Lévy © Tobis Film GmbH
Foto 2: Max Mauff als Cioma Schönhaus © Tobis Film GmbH
Foto 3: Andreas Schmidt als Hans Winkler und Aaron Altaras als Eugen Friede © Tobis Film GmbH
Info:
Die Unsichtbaren - Wir wollen leben (Deutschland 2017)
Genre: Doku-Drama
Filmlänge: ca. 106 Min.
Regie: Claus Räfle
Drehbuch: Claus Räfle, Alejandra López
Darsteller: Max Mauff, Alice Dwyer, Ruby O.Fee, Aaron Altaras, Florian Lukas, Andreas Schmidt, Robert Hunger-Bühler, Victoria Schulz u.a.
FSK: ab 12 Jahren
Das Doku-Drama ″Die Unsichtbaren - Wir wollen leben″ wird am Sa. 12.11.2022 um 20:15 Uhr bei ARD Alpha zu sehen sein.