claudwikipediaSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. November 2022, Teil 12

Redaktion

Wien (Weltexpresso) - Wer Elfriede Jelinek nicht kennt, ist unsicher, was das wohl für eine Frau ist. Wenn man Ihren Film dann gesehen hat, hat man den Eindruck, dass sie weniger schwierig ist, als sie öffentlich wirkt. Erzählen Sie uns: Was ist Elfriede Jelinek für ein Mensch?

Müller: Schwierig ist sie überhaupt nicht. Sie ist eigentlich die unkomplizierteste, zugewandteste Person, die man sich vorstellen kann. Sie ist empathisch. Sie ist anderen gegenüber respektvoll. Es fällt ihr aber einfach schwer, aus dem Haus zu gehen und zu reisen. Sie hat diese Hemmschwelle, und es ist eine große Überwindung für sie. Sie konnte ja nicht mal ihren Nobelpreis persönlich abholen. Das hat sie bestimmt nicht aus einer Laune heraus gemacht oder weil es ihr Spaß macht. Sie konnte es nicht. Es ist eine Angst-Störung und es wäre gut, wenn man psychische Einschränkungen endlich mal genauso ernst nehmen würde wie körperliche. Viele nehmen es ihr ja heute noch übel, dass sie 2004 nicht nach Stockholm gefahren ist. Nach diesen ganzen Anfeindungen, denen sie nach dem Nobelpreis auch ausgeliefert war, hat sie sich nach- und nach aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Dadurch, dass sie sich nicht mehr zeigt, wird natürlich viel in sie rein interpretiert. Dabei steht in ihren Texten wirklich alles, was sie zu sagen hat, und das ist ganz schön viel.


Der Film macht Lust, die Texte zu lesen. Es ist eine Stärke, dass er vieles vermittelt; man hat das Gefühl, dass man nach dem Film mehr von Elfriede Jelinek versteht...

Müller: Es geht mir in meinen Filmen immer darum, Zugang zu einer Künstlerin oder einem Künstler und zu der Kunst herzustellen. Ich freue mich, wenn man nach dem Film sagt: 'Ich verstehe jetzt endlich was diese Person macht, was sie antreibt, warum sie gemacht hat, was sie gemacht hat. Es sollte von Anfang an ein Film über ihre Kunst werden, über die Sprache. Ich habe diese Sprache als eigenständiges Kunstwerk angesehen.

An Jelineks Texten hat mich auch ihre künstlerische Herangehensweise interessiert und ihre Einflüsse. Diese künstlerische Form, die sie entwickelt hat, basiert ja nicht nur auf Literatur. Sie schöpft aus sehr vielen unterschiedlichen Quellen. Musik, Popkultur, Mode, Wissenschaft usw. Ihre Quellen sind unerschöpflich und das war von Anfang an so. Ich wollte mit dem Film auch diesen Jelinek- Kosmos öffnen und Lust auf ihre Texte wecken.


Was fasziniert Sie an diesem Werk?

Müller: Das Radikale, das von starken Emotionen angetrieben wird. Elfriede Jelinek sagt ja selbst von sich „Ich bin eine Triebtäterin!" Sie ist getrieben und es liegt auch eine unglaubliche Kraft in diesen Texten und eine Dringlichkeit.

Ich finde es auch faszinierend, wie standhaft sie geblieben ist. Wie sie sich immer wieder allem gestellt hat, diesen ganzen Skandalen – ob es „Lust" ist, wo ihr Pornografie vorgeworfen wurde, oder „Burgtheater", dieses Theaterstück in dem sie die Nationalheiligen, die Burgschauspieler Paula Wessely und Attila Hörbiger, und deren nationalsozialistische Vergangenheit entlarvt und in dieser Wunde gekratzt hat. Sie musste das machen, auch, wenn es für sie schwerwiegende Konsequenzen hatte. Ab da war sie nämlich die „Nestbeschmutzerin".

Mich fasziniert auch ihr Humor, diese Ironie, die oft missverstanden wurde. Abgesehen davon war sie für mich auch immer eine Stil-Ikone. Sie ist absolut geschmackssicher und extrem cool. Bis heute. Ihre Leidenschaft für Mode schien ja lange nicht mit ihrer politischen Haltung vereinbar, was natürlich Quatsch ist. Früher musste man als Kommunistin glaube ich schlampig aussehen oder zumindest nicht auffallen. Sie hat sich da nie in eine Schublade pressen lassen. Mode oder Kleidung ist für mich auch eine eigenständige Sprache und die beherrscht sie genauso gut wie die Wörter oder Noten...


Bei aller zweifellos vorhandenen extremen Unsicherheit die sie hat, wirkt Jelinek in Ihrem Film schon auch wie ein sehr selbstbewusster Mensch.

Müller: Nein, unsicher ist sie nicht. So schreibt niemand, der unsicher ist. Das scheint ein öffentliches Bild zu sein, an dem ich hoffentlich mit diesem Film kratzen konnte, daher freue ich mich, wenn Sie das so wahrnehmen.


Ist Elfriede Jelinek ein moralischer Mensch?

Müller: Sie ist vor allem ein politischer Mensch. Sie ist Feministin und war das schon, als es noch ein Schimpfwort war Sie hat einen stark ausgeprägten Sensor für Ungerechtigkeiten.

Sie mischt sich bis heute ein, wenn Menschen (oder Tiere) unterdrückt, misshandelt und gequält werden. Sie ergreift Partei und sie hat eine ungeheure und manchmal auch unheimliche Weitsicht.


Gibt es einen Moment, wo es in Jelineks Leben einen gewissen Bruch gibt? Irgendwann wird aus dem jungen Mädchen, das ihren Altersgenossinnen in den 60er Jahren ähnelt, ein Mensch der anders ist, der etwas Besonderes ist?

Müller: Elfriede Jelinek hat sicher nicht mehr und nicht weniger Brüche erlebt als andere ihrer Generation, der Nachkriegsgeneration, die unter den Nachwirkungen des Krieges zu leiden hatte. Sie stand als Kind und Jugendliche nur unter einem ganz besonderen Leistungs- und Erwartungsdruck. Sie war ja das dressierte musikalische Wunderkind.

Sie hat ja mehrere Instrumente gelernt (sie ist ausgebildete Organistin), die Schule kam dazu. Nach dem Abitur ist sie ein Jahr lang nicht rausgegangen. Sie konnte nicht rausgehen, weil sie da auch schon unter Angst-Störungen litt. Sie hat in dieser Zeit alles an Literatur aufgesaugt, was ihr in die Finger kam, was im elterlichen Bücherregal stand: Romane, aber auch Zeitschriften von E bis U, alles. Und sie hat Fernsehen geschaut.

In die Sprache hat sie sich dann später gerettet, weil Schreiben die einzige Kunstform war, die ihre übermächtige Mutter nicht gefördert hat, sagt sie. Sie hat Gedichte geschrieben und ihren ersten, experimentellen Roman „Bukolit". Sie hat sich mit allem möglichen auseinandergesetzt, und war auch von der Wiener Gruppe und den Beat Poets beeinflusst. Und dann kamen sehr früh schon die Erfolge: Mit 19 hat sie bei den Innsbrucker Jugendkulturwochen den ersten Preis für Lyrik und Prosa gewonnen. Sie war zuerst das musikalische Wunderkind, dann die junge Erfolgsautorin und dann Nobelpreisträgerin. Sicher macht das was mit einem.

Dennoch denke ich, dass es ein Mythos ist, dass Künstler*innen immer leiden müssen um gute Kunst zu produzieren.

Sie hat einmal (sinngemäß) gesagt, dass es einem Werk auch schaden, und es schwächen kann, wenn man die Biografie über das Werk stülpt. Das bezog sich auf Ingeborg Bachmann, aber auf sie trifft das auch zu.

Ich habe mich in diesem Film bemüht, jede Psychologisierung zu vermeiden und ihre Texte und Aussagen für sich stehen zu lassen.


Wie haben Sie gearbeitet?

Müller: Auf mehreren Ebenen. Zunächst habe ich mit der Editorin Mechthild Barth Archivmaterial montiert. Die vielen, vielen Fernseh- und Hörfunk Interviews, die es von ihr gab. Mir war wichtig, dass Elfriede Jelinek in diesem Film immer präsent ist. Dass man sie als Person spürt. Parallel habe ich eine Montage aus einigen, und längst nicht allen, ihrer Texte erarbeitet, die dann von den unterschiedlichen Schauspieler*innen eingesprochen wurden.

Mir ging es auch darum eine visuelle Sprache zu entwickeln, die Jelineks Sprachduktus aufgreift. Wir haben Super 8- Aufnahmen aus den 50er und 60er Jahren, die unsere Produktionsleiterin Hanne Lassl in Filmclubs in der Steiermark ausgegraben hat, mit neu-gedrehten Super 8 Aufnahmen kombiniert und denen ganz ruhige Passagen, in denen man nur auf den Text konzentrieren kann, gegenübergestellt. Formal ist dieser Film zum Teil auch experimentell.


Was kommt zum Archivmaterial an Neuem hinzu?

Müller:
Es ist ja ein Film über Sprache und die größte Herausforderung bestand darin Bilder zu finden, die die Texte nicht illustrieren, sondern ihnen Raum geben. Trotzdem eine Atmosphäre schaffen. Fast alle ihre Texte sind in Österreich angesiedelt. In Wien und in der Steiermark. Und zwar nicht nur in der die pittoresken, schönen Steiermark, sondern auch in der industriellen, kargen. Da sind wir – die Kamerafrau Christine A. Maier und unser Team, hingereist. Es war mitten in der Pandemie – das war für uns ideal, weil alles sehr leer war. Da haben wir dann vor allem Landschaftsaufnahmen gemacht. Ruhige Kamerafahrten, fast wie schwebend. Diese Bilder geben den Texten Raum und ermöglichen es dem Publikum, sich auf die Sprache zu konzentrieren.


Die Entscheidung, die Texte von Jelinek durch Schauspieler*innen und zwar durch diese Schauspieler*innen lesen zu lassen – stand ja schon am Anfang oder kam sie später?

Müller:
Ich wollte, dass im Film sowas wie ein Sog entsteht. Dass die Sprache immer präsent ist. Dass Elfriede Jelineks Sprachrhythmus sich wie ein Fluss durch den Film zieht. Das heißt, die Texte die wir in dem Film hören, sind voll und ganz Texte von Elfriede Jelinek – es handelt sich um eine Textmontage aus vielen unterschiedlichen Texten. Wichtig war mir auch, dass sich im Film ihr Humor, der in den Texten liegt, vermittelt.

Diese Ironie. Die unterschiedlichen Stimmen der Schauspieler*innen: Sophie Rois, Stephanie Reinsberger, Sandra Hüller, Ilse Ritter, Maren Kroymann, Martin Wuttke – bringen ihren Humor gut zur Geltung und auch die Vielstimmigkeit.


Was hat Sie besonders überrascht, was sehen Sie ganz anders, als vorher?

Müller:
Mein Respekt vor ihrer Kunst ist noch mehr gewachsen, als ich in ihre Texte eingetaucht bin. Ich kannte die öffentliche Person, und die ganzen Interviews. Und ich habe gesehen, dass sie offenherzig ist, dass sie den ganzen Journalist*innen in Interviews eigentlich alles auf den Teller legt, aber oft missverstanden wurde. Ich glaube, manche bauen sich gerne selbst ein Bild einer Person zusammen und können mit dieser Direktheit nicht umgehen und verstehen auch ihren Humor nicht. In diesem Film wollte ich sowohl ihre Aussagen, als auch ihre Texte „ausstellen". So, dass sich jeder selbst ein Bild machen kann. Ansonsten war es für mich eine interessante und erhellende Zeitreise, in der ich noch mal viel über den Umgang mit Frauen in der Literatur gelernt habe. Wie sie behandelt und klein gehalten wurden.


Gibt es denn etwas, von dem Sie sagen würden: Jemand der Jelinek nicht gut kennt, sollte diesen Text lesen?

Müller:
Ich denke, vorbereiten muss man sich jedenfalls nicht, um den Film anzuschauen. Man muss weder ihre Texte kennen, noch Germanistik studiert haben.

Natürlich ist „Die Klavierspielerin" ein guter Einstieg in das Werk. Ich habe mit 17 oder 18 als erstes „Die Liebhaberinnen" gelesen. Da habe ich sofort gespürt, dass da mehr ist, als die Beschreibung von Arbeiterinnen in der Provinz. Ich habe dieses unterschwellige Gefühl in diesen Texten vermittelt bekommen: die Wut, die darin steckt, wie Frauen behandelt werden, wie sie ausgebeutet werden, wie Männer mit ihnen umgehen, wie Moral und Engstirnigkeit in der Provinz dargestellt werden, das hat mich total mitgerissen. Und ich habe diesen Rhythmus von Anfang an gespürt. Es geht um Näherinnen und man hört diese Nähmaschinen im Hintergrund, den Takt die Monotonie...

Ich glaube, der beste Trick ist, Jelinek-Texte laut zu lesen. Dann gerät man irgendwann in diesen Flow der Sprache, versteht den Duktus. Auf ihrer Homepage finden sich auch noch Schätze.


Kannten Sie Jelinek eigentlich vorher?

Müller:
Ich kannte sie nicht persönlich. Es gab aber schon einen sporadischen E-Mail-Kontakt. Ich hatte schon lange den Wunsch, einen Film über sie zu machen, aber mir war klar, dass sie keine Interviews mehr gibt. Das habe ich auch respektiert.

Einen Film über eine lebende Künstlerin zu machen, die nicht vor die Kamera geht, ist aber nicht so leicht. Da besteht natürlich auch immer die Gefahr, dass es wie ein Nachruf zu Lebzeiten wirkt. Das wollte ich unbedingt vermeiden. Ich glaube durch die Art der Montage und auch durch das neue Interview mit ihr ist das gelungen.

Ich wollte von Anfang an einen Werk-Film machen. Dem hat sie zugestimmt. Persönlich kennengelernt habe ich sie erst später.


Obwohl sie keine Interviews gibt, hat sie Ihnen durchaus Fragen beantwortet...

Müller:
Ja, immer wieder per E-Mail. Meist ging es um inhaltliche Fragen. Mein Wissen speiste sich ja aus alten Interviews, die bearbeitet waren, und Artikeln über sie, also 2nd- Hand Wissen. Später, als der Rohschnitt schon fast fertig war, haben wir noch ein Gespräch aufgezeichnet mit Fragen, die sich noch ergeben haben.

Christine A. Maier und ich haben in München dann auch noch einen kleinen Dreh mit ihr gemacht.


Jelinek hat den fertigen Film gesehen. Wie hat sie reagiert?

Müller:
Der Film hat ihr sehr gut gefallen. Für sie war es natürlich auch interessant diese ganzen alten Aufnahmen von sich noch mal so zusammengefasst zu sehen.

Auch, wie ich mit ihren Texten umgegangen bin, die ja zum Teil sehr assoziativ montiert sind, fand sie gut.

Sie ist da ja sowieso ganz locker, auch, was die Montage ihrer Texte fürs Theater betrifft. Insgesamt glaube ich, dass ich als Nicht- Österreicherin vielleicht einen anderen und distanzierteren Blick auf diese ganze Kultur dort habe. Es fasziniert mich immer wieder, wie sehr man sich dort über Kultur und ihre Macher*innen aufregen kann. Wie sehr sie ihre Künstler*innen lieben und hassen. Das Paradoxe ist ja, dass Elfriede Jelinek einerseits in Österreich als Nestbeschmutzerin angesehen wird, andererseits auch eine Art Nationalheilige ist.
Eine Heilige ist sie für mich nicht.


Das ist Ihr allererster Kinofilm nach vielen Arbeiten fürs Fernsehen... Wie kommt das? Hat Sie das vorher nicht interessiert?

Müller:
Es hat mich schon interessiert, aber es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen. Zuerst gab es da für mich auch gar keinen Unterschied – ich habe erst jetzt gemerkt, dass ich einen viel größeren künstlerischen Freiraum hatte, experimenteller vorgehen konnte. Der Prozess war auch länger, ich hatte Zeit, bestimmte Dinge zu überdenken und an der Dramaturgie zu arbeiten. Das alles habe ich total genossen. Es war eine sehr erfüllende und bereichernde Arbeit und ich bin fast etwas wehmütig, dass es vorbei ist. Auf jeden Fall habe ich jetzt Blut geleckt. 

Foto:
Claudia Müller
©wikipedia

Info:
Stab
Regie: Claudia Müller
Drehbuch: Claudia Müller

Abdruck aus dem Presseheft