elfriedSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. November 2022, Teil 13

Claudia Müller

Wien (Weltexpresso) - Warum hat Österreich so viele extreme künstlerische Positionen hervorgebracht: Die Aktionisten, Thomas Bernhard, VALIE EXPORT und viele andere, die dann als „Nestbeschmutzer" bezeichnet wurden? Mit dieser Frage habe ich mich schon oft und unter anderem in meinem Film über die Künstlerin VALIE EXPORT beschäftigt. Liegt es an der Geschichtsvergessenheit, der repressiven Gesellschaft, der Autoritätshörigkeit, die hier besonders ausgeprägt ist?

Diese Antworten allein reichen nicht aus, um sich einer Künstlerin wie Elfriede Jelinek zu nähern, die immer wieder und unermüdlich den Boden umgräbt, unter dem die Leichen der Geschichte, die Schuld, vergraben liegt.

Als in Deutschland lebende und aufgewachsene Autorin blicke ich mit Distanz, aber auch einer neugierigen Faszination auf die emotional aufgeladene Heftigkeit, mit der man Elfriede Jelinek vor allem in Österreich begegnet. Auf den Hass, der ihr entgegengebracht wurde.

Waren es zunächst die Tabubrüche und die schonungslose Offenheit, die sie auch gegen sich selbst richtet, so hat sich mein Interesse vom Inhalt auf die Form verlagert. Auf die Person, die hinter ihr Werk zurücktritt, sich mehr oder weniger „opfert“. Die um Formen ringt, Unsichtbares sichtbar zu machen. Die durch ihre Sprachkompositionen Gefühle von Dringlichkeit erzeugen kann.

Da ich mich seit einigen Jahren in meinen Filmen vorwiegend mit bildender Kunst beschäftigt habe, ist meine Herangehens- oder Sichtweise von den künstlerischen Strategien, die ich aus diesem Bereich kenne, geprägt. Elfriede Jelinek ist für mich nicht eindeutig „Schriftstellerin“, „Theaterautorin“, „Autorin“ usw. Da sie die Sprache ausstellt, sie exponiert, sie so benutzt, wie eine Malerin ihre Farben, ist „Künstlerin“ die einzig passende Beschreibung und auch meine Haltung, mich ihr in diesem Film anzunähern.

Betrachtet man die „Zutaten“, die Themen und Quellen, die Jelinek immer wieder heranzieht, um sie in Textwerke zu verweben/montieren/collagieren, ergibt sich eine Klarheit, mit der man das jeweilige Werk aus einer anderen Perspektive betrachten kann, die sich auch auf das Medium Film übertragen lässt: Es geht immer wieder darum, sich aus einer festgelegten Perspektive zu lösen. Die Begriffe und Erwartungen zu hinterfragen.

Die Kinoleinwand bietet die Möglichkeit, die Sprache von Elfriede Jelinek „auszustellen“ – so, wie sie es selbst beschreibt. Mit dem Film schaffen wir visuelle Räume von Landschaften und Orten, die ihre Texte jedoch nicht illustrieren, sondern Flächen bieten, in denen die Sprache sich ausbreiten kann. Die Ambivalenz des Schönen und des Schrecklichen, die in der vielgepriesenen österreichischen Natur so nah beieinander liegen. Die Bedrohung, die hinter der „schönen“ Fassade der Alpenlandschaft lauert, die Ausbeutung der Natur, die Enge der Alpentäler, die Leichenberge, die unter den „schönen“ Wiesen vergraben sind und die Jelinek in vielen ihrer Werke als Zombies wiederauferstehen lässt, werden durch eine heile Welt kontrastiert. Einem Bild, das jährlich tausende von Touristen in diese „schöne“ Landschaft lockt.  

Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Regie: Claudia Müller
Drehbuch: Claudia Müller

Abdruck aus dem Presseheft