TARANTINOS Gangsterklassiker RESERVOIR DOGS

Sein Debüt von 1992 mit der hochkarätigen Besetzung, 4K restauriert, seit 1. Dezember in vier Formaten bei Studiocanal

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diese DVD ist ein Ereignis, ja, des Films wegen auch, aber hier muß man einfach mit dem Bonus beginnen, den Boni, wobei es mir um die mittleren geht, wo wir nämlich vier der schlimmsten Schurken mit ihren eigenen Namen, mit ihrem eigenen Leben, mit ihren eigenen Verbrechen kennenlernen. Um das daran Sensationell einschätzen zu können, muß man aber doch erst vom Film erzählen.

Eigentlich ist die Geschichte kurz. Da gibt es den Hauptgangster, einen arrivierter Geschäftsmann, Joe Cabot (Lawrence Tierney), der mit Köpfchen und seinem Sohn, dem „netten Eddie“ (Chris Penn) an seiner Seite, einen Diamantenraub plant und diesen dann von den angeheuerten, wirklich schlimmen Bösewichtern, die einander nicht kennen, ausführen läßt. Und damit sie sich während des Coups auch nicht weiter kennenlernen, verpaßt er ihnen Namen aus dem Farbenspektrum und verbietet ihnen, über ihr Leben und ihren Wohnort überhaupt miteinander zu sprechen.

Der Raub wird ausgeführt, aber es wartet schon die Polizei auf sie, was blutig ausgeht. Genial, wie wir beim Überfall überhaupt nicht dabei sind, weil das Zentrale einfach das Zwischenmenschliche ist, wie die zusammengewürfelte Schar auf den Verrat – wartete die Polizei schon vorher, oder wurde sie herbeigerufen? - und fehlende Beute umgeht. Den Verräter zu finden, ist nun das oberste Gebot, aber naturgemäß verdächtigt jeder immer den anderen und das führt zu einem gegenseitigen Abschlachten, so daß am Schluß nur noch wenige übrig bleiben. ABER, es geht in diesem Film vordergründig überhaupt nicht um die Geschichte, sondern darum, WIE sie erzählt wird. Und das ist raffiniert wie auch kompliziert. Der Film erwartet die gedankliche Leistung der Zuschauer – und ist damit so ungefähr das Gegenteil des zu Tode erzählenden Hollywoodkinos, was heißen soll, daß der Zuschauer sich nur noch in den Kinosessel setzen soll und ohne eigenes Zutun das Geschehen auf der Leinwand verinnerlichen soll. Konsumkino. Vielen gefällt’s. Mir ist es das Langweiligste überhaupt, denn wenn man nicht mehr eigene Gedanken, eigene Überlegungen, eigene Gefühle braucht, um eine Handlung und die Hintergründe in sich aufzunehmen, zu interpretieren und auch zu bewerten, langweilt mich das. Aber gerade diese eigenen Fähigkeiten fordert Filmemacher Tarantino heraus, der übrigens selbst als Mr. Brown mitspielt und gerade den Verbrecher übernimmt, der der allerdümmste, trivialste, einfach ein absoluter Idiot ist.

Tarantino gehört dann zu den Vier, die in BONUS eine Rolle spielen, wo nämlich die Psychogramme derer auf’s Korn genommen werden, die neben dem verliehenen Farbnamen auch – vgl. Info - mit dem eigenen Namen identifiziert werden konnten. Das hatte der in den Augen der Verbrecher ‚Verräter‘, in denen der Ermittler wichtige ‚Infiltrant‘ geleistet, in dem er sich, nachdem er die Mitkumpane kennengelernt hatte, durch die Verbrecheralben der Polizei durchfraß und immerhin vier Gangster identifizieren konnte. ABER auch das erfahren wir erst unter Bonus. Das Tolle ist, daß dort diese vier mit allen ihren Macken, ihrer Herkunft, ihren Verbrechen und ihrer krimineller Energie wie in einer sehr ausführlichen Psycho-Akte in Worten dargestellt sind und daß das beim Lesen dieselben Eindrücke sind, die wir von diesen Personen aus der viel kürzeren Filmhandlung durch ihr Verhalten erhalten.

Der Filmbeginn ist einfach exquisit - wie aus dem Kino! Waren eigentlich die Schauspieler 1992 schon so bekannt wie heute oder wurden sie es erst, vielleicht durch den Film?! Irre die Kaffee-Runde, wo sich die am Raub Beteiligten erst mal kennenlernen, wovon wir aber erst mal nichts wissen. Wir wundern uns über Mr. White (Harvey Keitel), der einen Führungsanspruch ausstrahlt und sich einfach frech verhält, wenn er das Buch des Nachbarn nimmt und ihm nicht nicht zurückgibt. Mr. Pink (Steve Buscemi) zahlt das Trinkgeld nicht und begründet das damit, daß die Bedienung nur dreimal Kaffee nachgefüllt hat, er erwartet bei Kaffee aber sechs Tassen. Dabei ist der Tip das, was die Frauen im Job über Wasser hält, Frauen im Job ist dann ein ernsthaftes Thema und man wundert sich über diese Gespräche. Selbst hat man erst einmal damit zu tun, die Spitzenbesetzung und ihre Positionen zu vervollständigen, wozu nach Mr. Brown und Orange, n0ch Mr. Blue (Edward Bunker) gehört. 

Wie gesagt, von heute her eine Spitzenbesetzung, wo man sich wundert, wie ein Regieanfänger diese Riege zusammenbekam. Nach dem undurchschaubaren Anfang der Wirtshausrunde geht es Schlag auf Schlag dramatisch weiter. Der blutüberströmte Mr. Orange brüllt seinen Schmerz und seine Todesangst heraus, auf dem Rücksitz des Autos, das Mr. White steuert. Er kann ihn nicht ins Krankenhaus bringen, weil dann alles auffliegt. Im vereinbarten Treffpunkt, einer aufgelassenen Industriehalle, legt er ihn auf die Rampe, beruhigt ihn und nach und nach trödeln auch die anderen ein. Wer ist der Verräter bewegt sie genauso wie die Frage, wer die Diamanten hat. Das war übrigens der Clou am Coup, daß diese Diamanten nur einen Tag lang unter den ansonsten eher wertlosen Steine ausgestellt waren. 

Nein, kein Wort mehr. Das Spektakel kann man sich gleich in einer 4 K-restaurierten Fassung und weiteren drei Formaten zu Gemüte führen.

Darsteller
Harvey Keitel: Mr. White / Larry Dimmick
Michael Madsen: Mr. Blonde / Vic Vega
Tim Roth: Mr. Orange / Fredy Newendyke
Steve Buscemi: Mr. Pink
Chris Penn: der „nette Eddie“
Lawrence Tierney: Joe Cabot
Quentin Tarantino: Mr. Brown
Edward Bunker: Mr. Blue
Randy Brooks: Detective Holdaway
Kirk Baltz: Officer Marvin Nash
Rich Turner: Anekdote erzählender Sheriff
Steven Wright: K-Billy DJ (Stimme)
Lawrence Bender: junger Polizist