rbb24 chanukaDAS JÜDISCHE LOGBUCH  Mitte Dezember 

Yves Kugelmann

Berlin (Weltexpresso) -  Der beißend kalte Ostwind und Nieselregen lassen nur annähernd erahnen, was weiter östlich die ukrainische Zivilbevölkerung zu ertragen und erleiden hat. Die Sitzungsräume in Berlin sind ungeheizt, öffentliche Räume kalt. Das Grau in Grau dieser Tage wird auch das Chanukkalicht nicht durchbrechen. Gibt es eine Parallele zwischen dem Widerstand der Makkabäer und jenem der Ukrainer? Alles bekommt in diesem Jahr eine andere Bedeutung – die Lichter von Chanukka oder die Worte des «Maos Zur» (Festung bzw. Fels meiner Rettung). Die Lieder des Widerstands veränderten die Welt immer wieder.

Peter Gabriels «Biko», Bob Marleys «Redemption Song», Tracy Chapmans «Behind the Wall», Stings «Message in a Bottle», Bob Dylans «Blowing in the Wind» veränderten in den 1980er Jahren bei Live Aid oder dem Konzert für die Haftentlassung Nelson Mandelas die Welt. An diesem Nachmittag läuft der Film «Hallelujah – A Journey of A Song», die Sozialisation eines Jahrhundertsongs. Der Film erzählt vom Leidensweg des Dichters, von der Ablehnung des Songs durch die Plattenfirma, wie Bob Dylan den Song 1986 so eindringlich spielt und in Erinnerung ruft, von der Genugtuung Cohens nach dem verspäteten Durchbruch und letztlich Erfolg, vom Moment, als er das Lied abgibt an eine neue, jüngere Generation. Seine Cover-Version machte den viel zu früh verstorbenen Jeff Buckley unsterblich. Die Interpretationen von John Cale bis Brandi Carlile reizen das Potenzial des Songs extensiv aus. «Hallelujah» wird zur Hymne eines Jahrhunderts, zum meistgecoverten Lied der Popgeschichte. Das Lied vom geheimen Akkord Davids, von der grossen Liebe, von der Dekonstruktion der Wirklichkeit, des Göttlichen: «Du sagtest, ich missbrauchte den Namen / Ich kenne den Namen nicht einmal.»

Die schönsten Lieder sind jene, mit denen man weinen kann: «Und obwohl alles schieflief / werde ich vor dem Herrn des Liedes stehen / mit nichts auf meinen Lippen als einem Hallelujah.» Ein eindrücklicher Film über einen jüdischen Song und seine Entwicklung zum säkularen Widerstreit und auch zum so ganz anderen Antikriegssong. Das Lied des Zweifelns, das des «gebrochenen Hallelujah». In diesen Tagen wird es das Lied auch der Ukrainer, ist überall im Netz zu hören, wird auf den Strassen von Lemberg bis Kiew gespielt und mit «Stop the War» bebildert. Zuletzt spielt der alte Leonard Cohen den Song live im legendären Konzert 2009 in Ramat Gan. Das Publikum hat Tränen in den Augen und Cohen ruft zum Frieden auf. Der Friedenssong ist einer gegen jeden Krieg geworden. Cohen ruft zum Handeln auf, wenn er sagt: «Hoffnung ist viel zu passiv. Wir brauchen Willen.» Und so wird die achte Kerze der Chanukkia zum Licht des Widerstands – Handeln statt Wunder.


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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 16. Dezember 2022
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.