Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. Januar 2023, Teil 10
Redaktion
London (Weltexpresso) – Ende 2019 war Produzent Graham Broadbent in Argentinien unterwegs, als er eine E-Mail von Martin McDonagh erhielt, dem Autor und Regisseur, mit dem er bereits an drei Filmen gearbeitet hatte – „Brügge sehen… und sterben“ (2008), „Sieben Psychos“ (2012) und „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“ (2017). „Lies das mal durch“, schrieb McDonagh.
Auf einem Flug von Buenos Aires nach Patagonien wurde Broadbent in die Geschichte von THE BANSHEES OF INISHERIN geschleudert. McDonagh hatte eine eigene Welt erschaffen, eine fiktive Insel im Westen von Irland, wo sich zwei Freunde entfremden, was desaströse, anarchische Folgen nach sich zieht. Sie hatte all die Markenzeichen, für die der Autor bekannt ist: Sie war lustig, traurig, düster und voller Menschlichkeit. Typisch McDonagh eben.
„THE BANSHEES OF INISHERIN erzählt die Geschichte einer Insel, einer kleinen Gruppe von Menschen auf dieser Insel und zweier Freunde, die durch eine Entscheidung einer der beiden damit konfrontiert werden, getrennte Wege zu gehen“, sagt der Schauspieler Colin Farrell („The Gentlemen“, „The Lobster“, „Minority Report“), der im Film in der Rolle als Pádraic zu sehen ist. „Dem anderen Freund fällt es besonders schwer, mit der neuen Situation klarzukommen.“
Die Geschichte beginnt mit Pádraic, der froh und zufrieden über die Insel Inisherin spaziert, wo er mit seiner Schwester Siobhán lebt. Pádraic ist ein liebenswerter, freundlicher Typ, der glücklich in den Tag hineinlebt. „Ziemlich genau so wie der echte Colin Farrell“, merkt Martin McDonagh an.
Jeden Tag treffen sich Pádraic und Colm pünktlich um zwei Uhr, um auf ein Bier in das einzige Pub auf der Insel zu gehen. Das ist ihre tägliche Routine. An diesem besonderen Tag ändert sich allerdings alles. Colm, gespielt von Brendan Gleeson („Harry Potter und der Feuerkelch“, „Jeder stirbt für sich allein“, „Gangs of New York“), ignoriert Pádraic, als der nach ihm ruft.
„Colm verhält sich sehr merkwürdig und fängt an, Pádraic aus dem Weg zu gehen“, sagt Gleeson. „Colm macht die Tür nicht auf. So beginnt die Reise. So fängt alles an – dass einem guten Freund die Tür nicht geöffnet wird. Aus keinem erkennbaren Grund.“
Pádraic ist erst einmal überrascht, dann geschockt, und schließlich bricht ihm das Herz. Er ist außerdem verwirrt, weil Colm ihm keinen besonderen Grund für den Abbruch der Freundschaft genannt hat. Diese beiden Männer waren, wie wir annehmen, ihr ganzes Leben lang beste Freunde.
Warum hat Colm seine Freundschaft mit Pádraic beendet? Hat Pádraic irgendetwas gesagt? Oder getan? Ist Colm depressiv? Sollte er Colms Wünschen entsprechen und sich zurückziehen? Oder sollte er versuchen, Colms Meinung zu ändern und sich selbst zu ändern? Nach sechs Minuten ist die Handlung des Films in Bewegung.
„Pádraic kann nicht verstehen, warum Colm nicht mehr mit ihm befreundet sein will und ist nicht bereit, das zu akzeptieren. Ähnlich fühlt man sich, wenn man in einer Beziehung verlassen wird. Man denkt: „Hast du mich überhaupt jemals gemocht oder habe ich mir nur eingebildet, wir seien ineinander verliebt?‘“, sagt McDonagh. „Es ist interessant zu sehen, mit wem sich das Publikum identifiziert. Kann es die harte Entscheidung von Colm, dem Freundschaftsbrecher, verstehen oder stellt es sich auf die Seite des netten Kerls, dessen Herz gebrochen wurde?“
Aber Colm hat seine Gründe. „Er will seine Zeit nicht länger verschwenden“, erklärt McDonagh. „Er will sich voll und ganz seinen künstlerischen Unternehmungen widmen: Musik oder Nachdenken. Pádraic ist das Nebenprodukt dieser Entscheidung. Bis zu diesem Punkt lief alles immer locker. Aber Colm ist 15 oder 20 Jahre älter als Pádraic. Colm erkennt für sich, wie kostbar die Zeit ist und sieht Pádraic als Zeitverschwendung an.“
Kerry Condon beschreibt die Charakterisierung als „kluge Weise, mit den Gefühlen zu spielen, die jeder in Bezug auf ein verliebtes Paar, Kummer und Zurückweisung hat, aber weil es um zwei Freunde geht, schwingt auch ein komisches Element mit.“
„Colm entscheidet, sich der Kunst und Kreativität als nunmehr wichtigste Sache in seinem Leben zu widmen, und das hat höllische Konsequenzen“, meint Brendan Gleeson. „Pádraic entscheidet wiederum, weiter nett zu sein, und er muss seinerseits mit höllischen Konsequenzen leben. Der Irische Bürgerkrieg war eine Tragödie – das ist der Kontext hier. Indem wir untersuchen und zu verstehen versuchen, wie die Dinge außer Kontrolle geraten, können wir uns dem vielleicht widersetzen und einen anderen Weg nehmen. Ich hoffe, der Film wird Menschen daran erinnern, dass es eine dauerhafte Wirkung hat, wenn man bösartige oder schädigende Entscheidungen trifft.“
„Soll man sich komplett einem Leben als Künstler widmen“, überlegt Martin McDonagh, „und dafür Freunde und Geliebte und Familie links liegen lassen? Ist Arbeit das Wichtigste im Leben? Ist es egal, wem als Folge Schmerzen oder Schaden zugefügt wird? Das ist eine Debatte, die weder von mir noch von meinem Film beantwortet wird. Ich glaube nicht, dass man sich selbst peinigen muss oder eine düstere oder hasserfüllte Person sein muss, um ein Künstler zu sein, nicht einmal, um düstere Kunst zu erschaffen. Aber ich denke auf jeden Fall, dass der Film versucht, dieser Bredouille auf den Grund zu gehen.“
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