Wiedergesehen, Wiedergelesen, Wiedergehört, Teil 8
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Kurzes Überlegen: kann man so was am ...bringen, die Besprechung eines Films von einer KZ-Überlebenden, die in Auschwitz halbnackt die SS-Chargen abends mit „Wenn ich mir was wünschen dürfte…“, das einst die antifaschistische Marlene Dietrich sang, bedient, darüber hinaus aber einem SS-Mann zu willen ist, schlimmer, von ihm gerne und ausgiebig geliebt wird, geschlagen auch, , und dann 12 Jahre später in Wien als die Frau eines amerikanischen Dirigenten, der in der Staatsoper dirigiert, ihren Folterer und Liebhaber im Nachtportier des Hotels erkennt – er sie auch….
Der Film der anerkannten Liliane Cavani kam 1973 in Italien und 1976 in Deutschland , produzierte einen Skandal, kam bei uns 2021 als DVD heraus ohne nennenswerte Resonanz und in den eindrücklichen EXTRAS der DVD – und ehrlich gesagt, haben wir uns deshalb zur Besprechung entschlossen – fällt an einer Stelle der Satz: „Wahrscheinlich kam der Film zu früh heraus…“, soll sagen, die Menschen waren noch nicht so weit, das Grauen, die Verbrechen der Nazi-Deutschen differenzierter wahrzunehmen, denn nichts im Leben ist nur Schwarz-Weiß, es gibt Graubereiche, die man erst wahrnehmen kann und will, wenn die Richtung klar ist. Und die Richtung war für die engagierte Filmemacherin Liliane Cavani klar: Nie wieder Faschismus, aber geschichtliche Wahrheiten erzählen. Ihr eminentes Wissen um die KZ-Strukturen – enorm für das Jahr 1973, wo ja auch in Italien lieber geschwiegen wurde – hatte sie sich durch eine große Anzahl von NS- Fernseh- und Dokumentarfilmen hervorgetan. Es gab niemanden, der einen solchen Überblick über den Alltag in den KZs hatte, weil – das wird sie ebenfalls in den Extras süffisant anmerken – diese Deutschen einen für sie verderblichen Hang zum Filmen hatten und auch in den KZs alles auf Zelluloid bannten, was dort vor sich ging. Wir kennen alle u.a. die erschütternden und furchtbaren
Szenen von nackten Juden und Jüdinnen, die in die Gaskammern strömen und so viele weiteren Aufnahmen, auf die diese Menschenvernichter auch noch stolz waren.
Genug, Liliane Cavani traute sich was, der Film selbst ist hervorragend gemacht, mit eindrücklichen Schauspielern, die eine Präsenz auf der Leinwand entwickeln, daß sie uns einwickeln, aber die aufgestellten Nackenhaare blieben; ich mußte mit meinem Widerstand beim Filmeschauen leben. Aber jetzt mit Abstand und wie gesagt, nach dem stundenlangen Sehen der Extras, finde ich den Film richtig gut. Schwelgerisch beginnt es in einem Spitzenhotel in Wien 1957, wo Lucia (Charlotte Rampling) im Nachtportier Max (Dirk Bogarde) ihren einstigen SS-Bewacher und ungewollt/gewollten Liebhaber erkennt. Auch er erkennt sie auf den ersten Blick. Was nun? Sie erzählt ihrem Mann nichts und während wir die beiden bei ihren erst spröden, dann zunehmend zugewandten beobachten, läuft nebenbei eine ganz andere Geschichte, die so was von politisch ist und für die Nachkriegszeit zutreffend.
Es gibt in Wien eine Vereinigung, die aus den Nazi-Verbrechern besteht, alles Männer, die überlebt haben und systematisch alle die umbringen, die Zeugen für ihre Verbrechen sein könnten. Auch Max ist dabei. Das Perfide dieser Gruppe ist, daß sie das Ganze als eine Art psychoanalytischer Gruppenarbeit firmieren, denn nur, wenn man sich von seinen Sünden frei macht, kann man entlastet sehr gut weiterleben. Allein diese Gruppe, diese Gestalten, ihre widerlichen, verlogenen Aussagen ist das Schauen dieses Films wert. Die Anführer dieser Gruppe sehen nun mit Entsetzen, wie sich Max von ihnen zunehmend distanziert und mit Lucia seine Liebesbeziehung fortsetzt. Wir sind Zeugen, wie die beiden erst umeinander rumschleichen und dann ihre Amour fou leidenschaftlich fortsetzen. In den Kritiken über den Film wurde immer ziemlich kritisch vom sadomasochistischen Verhältnis der beiden – sowohl im KZ wie jetzt in Wien – gesprochen. Das finde ich übertrieben. Zwar gibt es Szenen, in denen Max sie ankettet, wobei er davon spricht, daß er verhindern will, daß sie von dieser Gruppe entführt und getötet wird. Was wir sehen, ist kein sadomasochistischen Sexverhältnis, sondern eine totale und umwerfende Liebesgeschichte, der sie nicht Herr werden, sondern die sie beherrscht und angesichts dieser besonderen Situation immer irrer wird. Lucia hat ihrem nach Berlin zum Dirigieren weitergezogenen Mann ihre baldige Ankunft in den USA suggeriert, während sie aus dem Hotel in die Wohnung von Max zieht, wo beide suchtartig aneinander hängen, buchstäblich, das Haus nicht mehr verlassen und in eine klaustrophobische Situation geraten, die dadurch unheimlich wird, als ihre Verfolgungsängste durch die Gruppe längst in Wirklichkeit umgeschlagen sind, denn es ist nicht Paranoia, sondern echte Lebensgefahr, wenn sich einzelne Zutritt zur Wohnung verschaffen, in der Lucia alleine anwesend ist und sich schnell im Bad einschließt, ehe etwas passieren kann. So lieben sie sich weiter, wobei ihre Erinnerungen an Auschwitz und ihre Darbietung im abendlichen Club mit Strapsen über der nackten Brust, einer Männerhose und der Uniformmütze immer wieder ertönen mit dem Lied: „Wenn ich mir was wünschen dürfte, käme ich in Verlegenheit, was ich mir denn wünschen sollte, eine schlimme oder eine gute Zeit“, was Friedrich Hollaender 1931 für einen Film komponierte.
Mitten hinein in ihre Liebesobsession, kommt dann plötzlich der Spaziergang der beiden am Donaukanal, wo man sie von hinten sieht und die Schüsse hört, die sie niederstrecken. Die Altnazis haben ihre potentiellen Zeugen aus dem Leben geräumt. Für den Engländer Dirk Bogarde war es ein weiterer Film, der ihn als europäischen männlichen Star herausstellte, für Charlotte Rampling, noch keine 30 der Aufstieg zum Weltstar.
Womit die Zeit nicht umgehen konnte, ist die Liebesgeschichte zwischen einer KZ-Insassin und einem SS-Mann, was es im übrigen sicher gegeben haben wird, ach was, es hat es gegeben. Was der Film jedoch keinesfalls ist, ihm aber vorgeworfen wurde, ist, ein Politporno zu sein. Was ich persönlich am stärksten fand, ist, daß die Filmhandlung konträr zu dem läuft, was ich als Zuschauerin erwartet habe. Wir sind Filme gewohnt, bei denen wir genau wissen, wie es weitergeht. Hier passiert unaufhörlich das Gegenteil.
Foto:
Umschlagabbildung
Info:
Der Nachtportier. Italien/Großbritannien 1973. Regie: Liliana Cavani. Mit Charlotte Rampling, Dirk Bogarde.
Digital remastered als DVD/BD erschienen 2021 bei Weltkino.
Genre: Unterhaltung, Erotikfilm, Drama, Spielfilm, Erotik
Format Dolby, PAL
Beitragsverfasser: Italo Moscati, Charlotte Rampling, Daniele Paris, Alfio Contini, Liliana Cavani, Dirk Bogarde, Gabriele Ferzetti, Philippe Leroy, Isa MirandaItalo Moscati, Charlotte Rampling, Daniele Paris, Alfio Contini, Liliana Cavani, Dirk Bogarde, Gabriele Ferzetti, Philippe Leroy, Isa Miranda
Sprache Deutsch, Englisch
Laufzeit 1 Stunde und 55 Minuten