deutschlandfunk kulturSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 2. Februar 2023, Teil 3
 

Kurt Nelhiebel
 

Bremen (Weltexpresso) - Wer nach Gerechtigkeit sucht, wird im Gerichtssaal selten fündig. Dem ist  fürs Erste auch nicht mit einem Film-Untertitel geholfen, der Gerechtigkeit für unverjährbar erklärt

 

Der früh verstorbene hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer hat sich bis an das Ende seines Lebens damit abgerackert, Mitschuldige an den Verbrechen des Nazi-Unrechtstaates ihrer Strafe zuzuführen. Leider gab es unter seinen Juristenkollegen allzu viele, die es damit sehr genau nahmen und nichts unversucht ließen, einstigen Mitstreitern juristische Fluchtwege zu bahnen. Bestraft sollten nur die werden, die Blut an den Händen hatten. Und das war bei Schreibtischtätern in der Regel nicht der Fall. 

 

Anders sah es bei ehemaligen SS-Angehörigen aus, die in Auschwitz  auf diese oder jene Art und Weise am Massenmord an insgesamt rund einer Millionen Männern, Frauen und Kinder beteiligt gewesen sind. Aber auch denen sollte geholfen worden. Nur wer selbst unmittelbar und nachweisbar einen Menschen getötet hat, sollte büßen. Und bis auf Mord und Beihilfe beziehungsweise Mittäterschaft zum Mord waren alle anderen Verbrechen verjährt. Fritz Bauer wusste, dass etwas geschehen musste, um den Auschwitz-Prozess nicht zur Farce werden zu lassen.

 

Auf seine Anregung hin verlangten die Vertreter der Anklage, das Gericht möge die Angeklagten darauf hinweisen, dass ihre Anwesenheit  in Auschwitz als eine natürliche Handlungsweise gemäß § 73 des Strafgesetzbuches gesehen werden könne, die sich rechtlich als Beihilfe oder Mittäterschaft zu einem einheitlichen Vernichtungsprogramm qualifiziere. Das Gericht lehnte das ab, um einer Revision durch den Bundesgerichtshof zu entgehen.

 

Vier Jahre nach dem Auschwitz-Urteil setzte sich der BGH mit Fritz Bauers Rechtsauffassung auseinander und kam zu dem Schluss, dass nicht jeder, „der in das Vernichtungsprogramm des Konzentrationslagers Auschwitz eingegliedert“ gewesen  und dort „irgendwie anlässlich dieses Programms tätig“ geworden sei, „sei „objektiv an den Morden beteiligt“ gewesen und  „und für alles Geschehene verantwortlich“. Der Bundesgerichtshof bestätigte damit am 20.Februar 1969 den Freispruch eines der  Angeklagten im Auschwitz-Prozess. 

 

Zu dieser Zeit lebte Fritz Bauer nicht mehr, aber sein geistiges Erbe erlebte in den Köpfen einer neuen Richtergeneration eine erstaunliche Renaissance. 43 Jahre nach Bauers Tod verkündete das Landgericht in München den Schuldspruch gegen den ehemaligen KZ-Wächter von Sobiror, John Demjanjuk, dem kein einzelnes Tötungsverbrechen zur Last gelegt wurde. 

 

Fritz Bauer hatte einst mit Blick auf das Geschehen in den Vernichtungslagern der Nazi-Unrechtssaates argumentiert: „Wer an dieser Mordmaschine hantierte, wurde der Mitwirkung am Morde schuldig, was immer er tat.“ Jetzt sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht München, Ralph Alt, auf Demjanjuk bezogen: „Der Angeklagte war Teil dieser Vernichtungsmaschinerie.“ Jeder, der in Sobibor tätig gewesen sei, habe gewusst, was geschah.

 

Der Film „Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht“ ruft noch einmal die Schreckensherrschaft in Erinnerung, die der Nazistaat verkörperte. Spät kommt in den meisten Fällen die Sühne, wenn scheinbar unbedeutende SS-Leute vor Gericht gestellt werden, aber wer wollte widersprechen, wenn die letzten Hinterbliebenen sagen, sie sähen darin zumindest einen Funken Gerechtigkeit, den die Nachlebenden den Opfern schuldig seien.

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