Siebtes LICHTER Filmfest Frankfurt 25. bis 30. März 2014, Teil 14

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eines der Probleme für interessierte Besucher oder berichterstattende Journalistinnen wie wir, ist einfach, daß man angesichts des vielfältigen Angebotes des LCIHTER Filmfests nicht in alle Filme gehen kann. Am Abschlußtag läuft vor dem Abschlußfilm auch noch GRENZGANG, was uns ebenfalls sehr interessiert hätte. Auch, weil der den Roman erzählende Film im Hessischen spielt.

 

Zudem ist das Buch von Stephan Thome beim DEUTSCHEN BUCHPREIS 2009 als Debüt unter den letzten Sechs gewesen. Ja, und noch mehr hätte uns HOTEL LUX interessiert und das anschließende Gespräch mit Regisseur Leander Haußmann. Erstens ist das ein richtig guter Regisseur und zweitens hat uns dieser Film, der insgesamt nicht reüssierte, sehr gut gefallen. Doch die Vorboten der Luminale waren dran und wenn es nicht mehr ist, als daß in Frankfurt derzeit die interessanten Termine sich nur so jagen, dann ist das alles am Schluß emotional zu verkraften.

 

Dennoch müssen wir beim nächsten Mal einfach wieder die Kurzfilme, die hier sträflich fehlen, aber auch immer stärker anschwellen, anschauen und besprechen. Und für PRAUNHEIM MEMOIRES und HEINRICH HEINE, dem Dokumentarfilm nach der sagenhaften und von uns miterlebten Theateraufführung des Theaters Willy Praml, wird es ja hoffentlich in Frankfurt weitere Filmaufführungen geben, auch wenn wir die Weltpremiere des Projektchors "Harry Heine" nun auf ewig verpaßt haben.

 

Und die Entscheidung für ERNTEHELFER tat uns nur in den Minuten leid, als wieder einmal die Leinwand schwarz wurde. Das geschah in den von uns gesehenen Filmen des Filmfestes oft. Abgesehen davon, daß wir die liebenswerte Geduld des Publikums ausdrücklich würdigen wollen, haben auch wir uns dann immer am Riemen gerissen, denn schließlich ist das Unvollendete nicht nur bei den alten Meistern eine Auszeichnung. In der Tat gibt sie dem Festival LICHTER das Selbstgestrickte, das das Original von dem hochorganisiert Geschleckten und Gemachten unterscheidet.

 

Also: Moritz Siebert hatte die Idee und er übernahm auch mit dramaturgischer Beratung von Hanna Keller Regie, Kamera, Produktion und Schnitt. Nun sagt der Begriff ERNETEHELFER ja vor allem aus, daß bei der Ernte geholfen wird und so denken wir an Polen in den Weinbergen oder beim Spargelstechen, Polen, die übrigens längst die Rumänen nach Polen zum Ernten holen. Aber ERNTE, das fiel uns dann erst im Film wieder ein, ist natürlich auch all das, was in Gottes Auftrag auf Erden passieren soll. Und hier hilft der Katholischen Kirche bei der Arbeit und Ernte mit den Gläubigen ein indischer Priester.

 

Einer? Ja, hier nur einer, aber im anschließenden Gespräch mit dem Regisseur erfahren wir dann von mehr als 500 indischen Priestern, die in Deutschland zum Einsatz kamen, wobei das Beispiel mit den Polen sinnfälliger war, als gedacht. Denn vor den Indern haben polnische Priester bei den deutschen Katholiken nachgeholfen und auch dort brauchen sie inzwischen selber Import. Auf die Idee dieses Dokumentarfilms ist Moritz Siebert auf seinem langen Aufenthalt in Indien gekommen, wo er von der indischen Hilfestellung erfuhr und auch den Priester Cyriac im Rahmen des Goethe-Instituts kennenlernte, wo dieser Deutsch lernte und so zur Hauptperson des Films wird.

 

Ein Jahr lang begleitet die Kamera in vierteljährlichem Abstand das Kommen, priesterliche Arbeiten und Leben und am Schluß das Zurückgehen des indischen Priesters. Und selbstverständlich fühlen wir bei den ersten Szenen des Ankommens - das ist eine Beerdigung, von denen es im Monat rund zwei gibt, wie der 'ordentliche' Amtsinhaber und Kollege erläutert, Geburten gäbe es sehr viel mehr – mit dem ausländischen Gast, nisten uns in seine Gedanken und Gefühle ein, wie er wohl zurecht kommt in dieser so fremden Welt der kleinen Dörfer, Weinberge und alten Leute.

 

Denn, daß seine Aufgabe eine der Altenbetreuung ist, das verstehen wir auch schnell. Nur noch die Alten bevölkern die Kirche, sagen diese selbst und so dient ein großer Teil des Films auch unserer persönlichen Weiterbildung, wie man sich als wirklich alter, großenteils behinderter Mensch so fühlt. Daß die Frage nach dem Weiterleben nach dem Tode so offen, fordernd und doch auch distanziert nichtgläubig von den Gläubigen gegenüber dem indischen Priester angesprochen wird, hat uns überrascht. Für die Kirchengemeinde ist er der Priester, der in zweiter Linie Inder ist und nicht umgekehrt.

 

Glaubwürdig versicherte der Regisseur, daß auch außerhalb der gedrehten Szenen ein sogenannter Alltagsrassismus gegenüber Cyriac nicht aufgetreten sei. Was er selbst dazu meint? Da konnte uns der Regisseur versichern, daß das, was uns beim Zuschauen aufgefallen war, ganz in seiner Absicht lag, wir also seinen filmischen Strategien auch als Zuschauer gefolgt waren und sie als solche erkannt hatten.

 

Denn, was als Film über diesen indischen Priester beim Hiersein in Deutschland beginnt und zur Folge ja gehabt hätte, daß er selbst über seine Gefühle und Reflexionen berichtet, das alles passiert überhaupt nicht. Kein einziges Interview mit ihm über ihn und seine Situation! Dafür haben wir sehr schnell beim Zuschauen empfunden, daß wir einen Film über uns erleben, wobei das 'wir' und das 'uns' zu differenzieren ist. Denn bei vielen der Szenen aus dem Dorfleben, dem lustigen, das sich an Kirchenfeste oder Fasching anschließt, kam man sich als Großstadtbewohnerin vor wie auf einem anderen Stern. Da dachte man sich, daß man sich genauso fremd fühlt, wie es dieser Inder tun müßte. In diesem Sinn ist ein Film gelungen, der ethnologisch so interessant wie für die deutsche Kulturgeschichte wichtig ist.

 

Im übrigen umschließt Regisseur Siebert den eigentlichen Film mit dem Gesicht des Priesters. Der schaut in der allerersten Szene unsicheren Blickes in einen Spiegel, fährt sich über den Bart, den er anschließend abrasiert, so als ob er den gewaschenen Deutschen nicht traut, mit ihm als Bartträger auskommen zu können. Am Schluß – längst ist ihm während des Jahres wieder ein schmucker Bart gewachsen – schaut er wieder in den Spiegel, aber mit einem selbstbewußten Blick, unter dem er sich auch noch leicht übers Haar streicht. Er ist zufrieden mit seiner Mission in Deutschland, wobei wir einfach daran denken müssen, daß einst auch Indien von Deutschen missioniert wurde.

 

Das war ein viel zu kurzes Resümee über einen Film, der einem mit seiner sprachlichen Dreifaltigkeit von kaum verständlichen Unterfränkisch, dem Kirchenlatein und dem Ausländerdeutsch des Cyriac noch viel zu erzählen hätte. Und das nicht nur über Sprachen. Erstaunlich sind diese alten Leute, erstaunlich ihre Zuversicht, ihre Altersdepressionen auch und erstaunlich auch, welche Alltagskomik aus diesem Gemisch entsteht. Das ist wieder einmal typisch. Eigentlich hat man sich gar nicht viel von diesem Film versprochen und er hält viel mehr als gedacht.