in Verbindung mit drei Kurzfilmen von Marion H. von Loewenstern
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Vergessen Sie Hollywood. Vergessen Sie diese Art von auserzähltem Kino, wo Sie im Kinosessel sitzen und nur noch Abnehmer dessen sind, was sich auf der Leinwand logisch, psychologisch mit allen Details entfaltet. Dort müssen Sie nicht denken, assoziieren, vermuten, schlußfolgern, erst mal nicht wissen, wo es lang geht, wieso jetzt dieser Junge das sagt und diese Frau um die Ecke kommt.
Aber all das dürfen Sie bei den Filmen von und mit und drumherum von Marion H von Loewenstein. Sie dürfen sich wundern, Fragen stellen, kombinieren, ratlos sein, Ihre Meinung zu diesem und jenem und auch zu den Personen ändern. Mir tut das gut, daß ich kein Fertiggericht auf der Leinwand bekomme, sondern die Bausteine des Films selbst erkenne, auch wenn ich sie mir selbst zusammensetzen muß und nicht sicher bin, ob ich richtig liege.
Aber von vorne. Wir wurden vom Regisseur des Premierenfilms, Leon Müntjes (Foto oben), begrüßt, leider zeigen die Fotoaufnahmen im Halbdunkel nur eine Ahnung, auch der Star des Abends, die französische Schauspielerin Hervine de Boodt (Frankreich), links im Bild, strahlt auf der Leinwand deutlicher, wobei man gleich hinzufügen muß, daß ihre vier Rollen sehr unterschiedlich sind und ich manchmal zwei- oder dreimal hinschauen mußte, um sicher zu sein: Ja, sie ist es. Und man erkennt dies nicht einmal an der Ähnlichkeit, sondern an ihrer Leinwandpräsenz.
Drei der Filme handeln von Frauen, Frauen, die aufbrechen, Frauen, die aktiv sind, Frauen, die was umkrempeln. Der erste Film RUBY BABY – da gab es mal eine gleichnamige Schallplatte, lange her, in den Fünfzigern - allerdings handelt von einem Jungen, der in einer Familie nicht so ganz zu Hause ist. Er lebt in seiner eigenen Welt, wobei der Ausguck, den er sich vom ersten Stock in das Wohnzimmer durch Aufdecken der Holzplanken schafft, sowohl voyeuristisches Interesse wie doch dazuzugehören Wollen signalisiert, wobei seine Leidenschaft aber eigentlich doch dem Schreiben gilt. Stattdessen soll er aber die Schweine füttern, das mag er nicht, hat Angst, Widerwillen, aber man kann sich bei den Schweinen auch verstecken, Unterschlupf finden. Was ist mit dem Mann und der Frau?
Leider hatte ich die Besetzung nicht mitgeschrieben und kenne inzwischen nur das Gesicht von Hervine de Boodt.
Besonders gefallen hatte mir , das war in MARIE-LUISE das Wechselspiel von Hervine de Boodt und Maria Mägdefrau. Die Jüngere ist zugezogen, die Ältere lebt zurückgezogen im Haus. Das ist nicht so üblich in Deutschland, daß eine neue Mieterin sich vorstellt und zum Wein einlädt, dann sogar zum Essen. Hier hat Maria Mägdefrau die Paraderolle, weil sie es ist, die durch das kulturell geprägte, zugewandte Verhalten der Neuen Schritt auf Schritt, Weinglas auf Weinglas ihre Starrheit verliert, ja angeheitert eine neue Frau wird, die geradezu listig ihre eigene Verwandlung kommentiert. Aber auch Hervine de Boodt ist eine so selbstverständliche, gerne auch weinselige Gastgeberin, daß man seinen Spaß an ihr hat, wie sie ein Gespräch mit einer älteren, ja alten Frau dem mit einem Mann, der sich aufdrängt, vorzieht. Die Frage der Deutschen: „Was versprichst Du Dir von mir?“, stößt auf Unverständnis. Muß denn alles eine Absicht, einen Sinn haben, eine Ursache und eine Wirkung? Wahrscheinlich gefielen mir diese Szenen auch deshalb so gut, weil sie auf Deutsch verliefen, während die anderen Filme überwiegend in englischer Sprache laufen.
Eines kann man Marion H von Loewenstern sicher nicht vorwerfen, nämlich, daß sich ihre Filme wiederholten. Selten habe ich eine so unterschiedliche Themenlage erlebt, in der es in den letzten drei Filmen nur eine Gemeinsamkeit gab, daß es um Frauen ging. Meine Güte, wie anders wirkt in TROUBADOURS CELESTES u auf einmal Hervine de Boodt mit roten Haaren und jetzt gibt es weitere sehenswerte Frauen, Valeria Cavalli aus Italien und die Regisseurin hat mehr als einen Cameo-Auftritt, sie spielt eine richtige Nebenrolle als Elisabeth ist sie die Bedienung, ach, eigentlich das Mädchen für alles, was sie höflich und in schwarz-weißer Tracht professionell erledigt.
Bleibt die Premiere von DOCTOR HARRIET’S FOUR, wo Marion H von Loewenstern ‚nur‘ Produzentin ist, zwar die Geschichte erfand, aber nicht selbst Regie führt, was Leon Müntjes als erste Regie übernimmt, der in Hannover Philosophie studiert und vielseitig im medialen Umfeld tätig ist. Hier geschehen verrückte Sachen. Eine TV-Moderatorin (Hervine de Boodt) steht unter Druck. Sie soll, sie muß Innovationen bringen und braucht Vorschläge für Sendefolgen. Wie wäre es, denn Eiffelturm zu verkaufen? Und das in Frankfurt! Und eine dünne Frau mit langhaariger schwarzer Mähne unterstützt sie dabei, in der man auf Anhieb die Drehbuchautorin erkennt.
Da sind der Kamera wirklich wunderschöne Bilder mit nächtlichem Blick über den Main in die beleuchteten Hochhausschluchten gelungen und man erkennt auf Anhieb vieles wieder. Aber die Näherinnen am Dornbusch, die im Film an ihren Maschinen rattern, die hätte ich dort nicht vermutet.-
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