Bildschirmfoto 2023 02 17 um 00.47.11Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 00

Claudia Schulmerich


Berlin (Weltexpresso) – Großer Bahnhof! Traditionell ist dies immer die erste Pressekonferenz noch vor Beginn der Berlinale, die am Abend mit dem Eröffnungsfilm SHE CAME TO ME 2023 beginnt. Man glaubt, man sei in einen Strudel geraten, wenn man den Raum betritt, wo sich um die leere Bühne schon die Fotografen positionieren, die das beste Bild von allen machen wollen. Man sieht die Bühne und die Welt vor lauter Fotografen nicht mehr. Dann werden diese aktiv, rufen hin und her, die TV-Kameras surren, die Fotoapparate klicken, denn die Herrschaften betreten die Bühne,  solche wie ich, die mit dem Handy fotografieren, sitzen nur auf den Stühlen, haben aber den längeren Atem, denn nach 1-2 Minuten ist Schluß, die Fotografen verlassen den Raum oder stellen sich hinten hin - und endlich sieht man die Jury auf ihren Stühlen sitzen, wie das Handybild beweist!


Wie schon am 13. Februar zu lesen war, 
https://weltexpresso.de/index.php/kino/27692-die-internationale-jury-fuer-die-wettbewerbsfilme
sind die sieben Mitglieder der InternationaleBildschirmfoto 2023 02 17 um 00.46.46n Jury, hier auf dem Bild von links nach rechts

Francine Maisler (USA), Casting Director, Produzentin
Johnnie To (Hongkong, China), Regisseur, Produzent
Golshifteh Farahani (Iran/Frankreich), Schauspielerin
Kristen Stewart (USA) als Jurypräsidentin, Schauspielerin, Drehbuchautorin, Regisseurin
Radu Jude (Rumänien), Regisseur, Drehbuchautor
Carla Simón (Spanien), Regisseurin, Drehbuchautorin
Valeska Grisebach (Deutschland), Regisseurin, Autorin

diejenigen, die die Bären verteilen, was zum Abschluß am 25. Februar im Berlinale Palast verkündet wird. Bis dahin haben die Sieben viel Arbeit!

Sie werden hier von der Moderatorin Aurélie Godet mit ihrem Werdegang kurz vorgestellt und am meisten Beifall erhält wiederholt Golshifteh Farahani, was man angesichts der politischen Situation im Iran verstehen kann, auf die sie auch dezidiert einging. Im Nachhinein ärgere ich mich, daß ich nicht nach Jafar Panahi und  Mohammad Rasoulof nachgefragt habe, der ja eher überraschend dann doch verhaftet wurde und im berüchtigten Gefängnis Evin saß wie sein Kollege, der Regisseur Mohammad Rasoulof. Anfang Februar 2023 kam Panahi nach etwa sieben Monaten Haft auf Kaution frei. Zuvor hatte er einen Hungerstreik angetreten.

Mohammad Rasoulof hat auch mit der BERLINALE zu tun  - und wie. Das ist sozusagen historisch. Denn seine Film DOCH DAS BÖSE GIBT ES NICHT war im Wettbewerb 2020 als letzter Film am Freitagnachmittag angesetzt. Da sind viele Journalisten schon auf dem Heimweg. Ein starker Film, der unter die Haut geht und das Mitdenken des Zuschauers erfordert, der nach und nach die Zusammenhänge der Einzelepisoden versteht. Nach diesem Film brach national und international das Chaos aus: CORONA. Ab dem Wochenende war dann alles dicht. Auf lange. Rasoulof hatte sich im Sommer mit Protestierenden solidarisiert, während Panahi schon vor sehr langer Zeit zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt war, aber die Haftstrafe nicht antreten mußte, bis die iranische Diktatur wohl glaubte, in einem Aufwasch alle Opponierenden festzusetzen zu müssen und im Evin-Gefängnis schlecht zu behandeln. 

Schade also, daß man daran nicht erinnerte, was Golshifteh Farahani dann zumindest in einer politischen Stellunganahme für die gesamte Situation im Iran tat. Sie wurde als eine, die Weltruhm hat, vorgestellt. Tatsächlich spielt sie sehr unterschiedliche Rollen und hat schon in 51 Filmen mitgewirkt!  Der 1977 geborene Radu Jude läßt interessante Diskussionen in der Jura vermuten. Er brachte, das muß man neidlos anerkennen, die subtilsten Kommentare zum Filmemachen und dem Produkt fürs Kino, dem Film. 
 

Die erste Frage ging noch von der Bühne aus an Kirsten Stewart, nämlich wie sie sich als Jurypräsidentin fühlt. "Ein bißchen kribbelig, es ist aufregend, weil ich das nicht voll und ganz erfaßt habe, eine Last, eine süße Last, mit so tollen Kollegen. Wir alle werden verändert durch die Filme, die wir sehen werden und auch das Publikum. "Verfolgen Sie das Weltkino und die Regisseure aus allen Ländern?", war dann eine Frage an alle. Klar, sagte die Jurypräsidentin, ich sehe gerne Filme, viele Filme. Sie sitzt nicht herum und wartet auf Auszeichnungen. Es würde sie interessieren, welche Filme sich ihre Kollegen zu Hause ansehen.

Den Small-Talk verließ Johnnie To, der auf Kantonesisch antwortete. "
Die Filme heutzutage sind nicht so gut wie frühere, als ich jünger war. Aber ich hoffe, das gilt nur für einen kurzen Zeitraum. Ich hoffe, daß die Filme wieder besser werden. Ich setze große Hoffnung auf die Berlinale!" Dazu mochte sich keiner der Podiumsmitglieder äußern. 

Auf eine Frage
wie: "Was führt bei einem Preis dazu, daß er gewinnt?", kann es viele Antworten geben. Die schlichteste und wahrste ist: "Die Mehrheit", die liegt bei sieben Jurymitgliedern bei Vieren, aber natürlich freuen sich alle, wenn es einheitlicher ist. Die inhaltlichen Antworten waren interessant, weil auch vom Widerstand gesprochen wurde, den Filmliebhaber alle kennen. Da gibt es Filme, die mag man nicht, auch wenn man zugeben muß,  daß der Film hervorragend gemacht, gut gespielt etc. ist. Es bleibt also subjetiv, was man sicher am Eröffnungsfilm schon wieder mal sehen kann, den die einen zerreißen, als synthetisch, weil alle Probleme zusammenkommen und ein Brei daraus wird und andere, wie ich, amüsant fanden. Ein Kritierium für einen Preis ist die eigene Unvoreingenommheit, hieß es, man muß offen für Überraschungen sein. Und: "Darum geht’s. Wenn wir uns nicht einigen, ist der Film vielleicht besonders gut!" Das glaube ich gerne, denn es ist eine alte Geschichte, daß sich in den Jurys oft das Mittelmaß als gemeinsamer Nenner durchsetzt. Oft, aber nicht immer und hoffentlich bei der Berlinale 2023 nicht! 

Und dann kam bei allen die Berlinale, kam Berlin dran. Berlin ist die Stadt des Mauerfalls, die Stadt der Hoffnung und die Berlinale seit jeher ein politisches Festival, das sich für die Filme aus aller Welt einsetzt, die Respekt vor den Grundrechten des Menschen erkennen lassen, bzw. diese sogar einfordern. Golshifteh Farahani: "
2009 war ich hier. Berlin ist für mich symbolisch, Berlin steht für Freiheit, wir haben Krieg, Erdbeben, die Welt ist in Unordung, den Menschen im Iran fehlt die Luft zum Atmen, darum bin ich so gerne hier. Ich bin froh, daß wir hier den Film feiern, selbst wenn man das Gefühl hat, die Welt bricht zusammen, nicht nur im Iran. Das finde ich gut in dieser Konsumwelt, daß wir uns zusammentun und Kunst und Kultur feiern."

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Francine Maisler brachte einen wichtigen Aspekt, sie habe mit vielen verschiedenen Regisseuren gearbeitet, Alle sind für den Film im Kino, also den Film, den man auf großer Leinwand gemeinsam sieht, wobei es um die Allmacht und auch den Gegensatz der  Streamingdienste geht.  Und Radu Jude brachte es auf den Punkt. Es gäbe zu viel Filme, die mit viel Geld und viel Dummheit gedreht würden. Die Berlinale könne zeigen, daß man mit weniger Geld und weniger Dummheit, sehr gute Filme machen könne!

Und dann ging es um das Geschichtenerzählen. Toll der Hinweis von Golshifteh Farahani von den Höhlenmenschen, die sich beim Feuer zusammensetzten und anfingen, sich gegenseitig Geschichten erzählen, ist doch erst aus der gesprochenen Sprache die schriftliche erwachsen. Und vielleicht sollte man Heutigen doch öfter erzählen, daß die ersten Sprachversuche in allen Sprachen Gedichte sind, dann kamen die Erzählungen. Kino sei der dunkle Ort, wo wie in der Höhle - da muß man halt doch an Platon denken - die Freiheit des Geschichtenerzählens ist, Kino der Ort, wo man das Erzählte pflegen muß. 

Regisseur To erzählte aus seiner Praxis, daß er mit wenig Geld - unter zwei Millionen - gute Filme machen konnte, weil er eine Vision hatte. "Ohne die kann man keine guten Filme machen!"  Carla Simón wurde nach Alcarràs- Die letzte Ernte gefragt, mit diesem Film hatte sie im Vorjahr den Goldenen Bären gewonnen. Ja, dieser Film mit diesem Preis habe ihr die ganze Welt geöffnet und ihre Weiterarbeit garantiert. Für einen Regisseur, für eine Regisseurin trete bei solchen Preisen eine große Wirkung ein. 

Bildschirmfoto 2023 02 17 um 00.47.53Und dann das Rumänische Kino?! Gefragt hatte ein kasachischer Kollege und Radu Jude, der vor zwei Jahren der Goldene Bär-Gewinner war, zuckte zusammen und erinnerte daran, daß französische Regisseure immer dann, wenn ihnen Filme zu doof waren, diese rumänisches Kino nannten. In Rumänien steht das Kino immer auf der Kippe, sagte er, daß so ein Preis eine große Ehre sei, aber er wisse ja nicht, ob sich die Leute nicht gefragt hätten, wie kann so ein Scheißfilm den Preis bekommen. Aber er konnte daraufhin weiterarbeiten und einen Dokumentar- und einen Spielfilm drehen. 


Fotos:
Hier auch das Bild, wie man sich kein Bild von der Jury machen kann, wenn die Fotografen die Sicht blockieren, siehe im Eingangstext. 
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