Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 0
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – LIEBE IN ZEITEN DER CHOLERA? Überraschung! Mir hat’s gefallen, dabei haben es Komödien, noch dazu Liebeskomödien schwer bei mir. Aber diese ist so oberflächlich witzig wie untergründig tiefgehend, sagen wir mal so, der Schalk sitzt allem und allen hinter den Ohren, eine echte Persiflage, ein Film, der sich auf den Arm nimmt und einer, der bei aller Kritik und Übertreibung sein Personal richtig lieb hat. Am liebsten die Frauen.
Schlepperkapitänin müßte man sein. Schon für diese Exzentrik gibt’s ein Plus und wenn die Frau so hinreißend dargestellt ist und wir die Kapitänin das Schiff so altertümlich vor der Hochhauskulisse schleppen sehen, dann muß man einfach an Gabriel Garcia Marquez denken und daß Leidenschaft lohnt, daß sie Grenzen überwindet , aber anderen auch Grenzen setzen muß, die immer mit der Parole RECHT UND ORDNUNG die Gefühle anderer mißachten, verletzen, zerstören und Unordnung und Leid produzieren. Man könnte also dem Film auch die Überschrift geben: LEHRJAHRE DES GEFÜHLS.
In der Kurzfassung geht es um einen Komponisten, einen Opernkomponisten, der feudal lebt, seit er seine Therapeutin geheiratet hatte, die nun wiederum einen gerade 18 Jahre alt werdenden Sohn in die Ehe mitbrachte, der Vater vielleicht indischstämmig? Der arme Mann ist verzweifelt, er weiß nicht weiter, er steckt in einer – wie man so sagt – Schaffenskrise. Ist ausgebrannt. Da laufen Dramen ab und nun passiert das Wunder. Das Wunder des Films, wir sind auf der Opernbühne und sehen und hören die Dialoge, nun gesungen, der Komponist hat für sich die Einheit von Leben und Kunst hergestellt und erzählt seine Geschichte als Oper. Ist also künstlerisch gesundet. Damit macht die Regisseurin Rebecca Miller eigentlich ein Faß auf. Leben und Kunst: ein Mysterium. Inwieweit beispielsweise Marcel Proust in AUF DER SUCHE NACH DER VERLORENEN ZEIT sein Leben verarbeitete, oder es umbildete oder verschönte, ist ganz unwichtig, denn das Ergebnis gilt und was wäre die Literatur, was wären die Drehbücher ohne die eigenen Erfahrungen derer, die sie verfassen.
Doch dies ist nur das eine. Das andere sind die beiden jungen Leute, den der Junge ist verliebt in ein junges Mädchen, das so unkompliziert seine Gefühlen lebt, daß man der Regisseurin attestieren muß, daß sie junge Liebe auf der Leinwand Wirklichkeit werden läßt, was natürlich auch die Leistung der Schauspieler ist. Es gibt nur ein Problem. Leider findet die Mutter – ein polnische Putzfrau, die im Hause des Komponisten putzt - Fotoaufnahmen des jungen Paares, die eindeutig sind. Und leider leider zeigt sie diese ihrem Mann, einem „ultrakonservativen Gerichtsstenografen und selbst ernannten Staatsanwalt, der sich für historische Reenactments begeistert“. Dieser befragt seine Tochter mit dem versteckten Aufnahmegerät, wie alt der junge Mann sei und ob sie mit ihm schlafe, was sie ganz brav beantwortet, denn sie ist ein junger selbstbewußter Mensch und hat nichts zu verstecken. Er aber wohl schon, denn er eröffnet ihr sogleich, daß er den Jungen wegen Unzucht mit einer Minderjährigen vor Gericht bringen wird. Das weitere Leben des Jungen wäre damit gebrandmarkt.
Es fehlt noch jemand. Es fehlt die Ehefrau, die Psychiaterin, die einen religlösen Wahn entwickelt, mit Gott spricht oder spricht er durch sie, auf jeden Fall will sie seine Braut werden. Da kommt dieser Drehbucheinfall natürlich der Geschichte recht. Denn so werden am Schluß keine verletzten Gefühle übrigbleiben, sondern a la Marquez fährt das Schiff Richtung Delaware, wo nämlich mit Zustimmung eines Elternteils auch Minderjährige heiraten können, denn verheiratet darf der 18jährige, was er unverheiratet mit einer Minderjährigen nicht darf. So sind die Gesetze. Und mitten auf dem Wasser, bei Sturm und Wellenschlag, macht die Schlepperkapitänin noch rasch per Internet ihren Schein, Personen auf dem Schiff trauen zu dürfen. Doppelt hält nämlich besser.
Aber warum das Schiff ins Spiel kommt, hat nicht nur mit dem Wellengang, dem Auf und Ab der Gefühle zu tun, sondern den eigentlichen Grund darin, daß der böse Vater des Mädchens, der zudem gar nicht der richtige Vater ist, die Landwege hat sperren lassen, weil er die Entführung seiner Tochter durch einen Sexunhold meldet. Einiges was hier auf dem Schiff spielt, sehen wir aber gar nicht, sondern erleben es als Opernaufführung auf der Bühne, die ein Riesenerfolg wird, der Künstler mit seiner Muse, zu der er sich endlich bekennt, die Schlepperkapitänin, auch die Ex.-Ehefrau, nun Braut Christi ist in der Schwesterntracht glückselig lächelnd dabei. Nur der Stiefvater fehlt. Geschieht ihm recht.
Hier haben wir völlig die Musik vergessen, die doch nicht nur auf der Bühne ertönt, immer ist sie irgendwie im Spiel, wofür Bryce Dessner zuständig ist, der für so eine umfassende Musik eigentlich einen Oscar verdient.
P.S. In der Pressekonferenz zum Film stellte sich allerdings heraus, daß wir den Film vielleicht doch sehr viel stärker 'sophisticated' und auch ironisch fanden, als er gemeint ist?! Also gilt auch hier Prousts Wahrheit. Er schreibt, jeder Leser ist der Leser seiner selbst, sieht also im Gelesenen immer etwas, was ihm eigen ist. Dann gilt natürlich auch: Jede Zuschauerin ist die Zuschauerin ihrer selbst.
Rebecca Miller
Schriftstellerin, Regisseurin und Drehbuchautorin. Die Filme Angela und Personal Velocity (nach eigenen Erzählungen) mit Parker Posey, Kyra Sedgwick und Fairuza Balk wurden unter anderem auf dem Sundance Festival ausgezeichnet. Sie war 2005 mit The Ballad of Jack and Rose mit Daniel Day-Lewis und Camilla Belle und 2009 mit The Private Lives of Pippa Lee mit Robin Wright, einer Adaption ihres eigenen Romans, und 2016 mit Maggie’s Plan mit Greta Gerwig, Julianne Moore und Ethan Hawke Gast der Berlinale. Sie ist außerdem Autorin des Romans „Jacob’s Folly“ (2009) und Autorin des Drehbuchs zum Film Proof (2005, Regie: John Madden).
Filmografie
1995 Angela 2002 Personal Velocity 2004 The Ballad of Jack and Rose 2009 The Private Lives of Pippa Lee 2015 Maggie’s Plan 2017 Arthur Miller: Writer; Dokumentarfilm 2023 She Came to Me
Foto:
Auf der Pressekonferenz vom 16.2.
©Peter Dinklage, Anne Hathaway, Rebecca Miller
Info:
Stab
Regie Rebecca Miller
Buch Rebecca Miller
Kamera Sam Levy
Darsteller
Peter Dinklage (Steven Lauddem)
Marisa Tomei (Katrina)
Joanna Kulig (Magdalena)
Brian d’Arcy James (Trey)
Anne Hathaway (Patricia)
Harlow Jane (Tereza)
Evan Ellison (Julian)