Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 3
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Mit dem Titel auf der Leinwand hört der Film auf, da allerdings wird vom Zeitpunkt nach dem Tode gesprochen, doch dieser Film ist äußerst lebendig, allerdings reden die Leute wenig miteinander und vor allem das Wichtige nicht, dafür können sie gut schweigen, aber gut lieben zum Teil auch. Es sind Sommergefühle, mit denen alles anfängt, wenn wir nach und nach mitbekommen, daß wir ein junges Liebespaar vor uns haben, Maria (Marlene Burow) und Johannes (Cedric Eich), die auf dem Bauernhof seiner Eltern, ja seiner Großeltern leben, weil ihre Mutter gerade die Stelle verloren hat und selbst bei der Mutter, also Marias Großmutter Unterschlupf gefunden hat.
Es geht den beiden gut miteinander, denn noch ahnt Maria nicht, daß es stärkere Gefühle, auch stärkeres Verlangen gibt. Beide gehen auf’s Gymnasium, wobei nur Johannes das ernst nimmt und sein Abitur auch zielstrebig macht, während Maria lieber lesend auf dem Bett oder im Grünen liegt, derzeit sind es die Brüder Karamasow, die sie beschäftigen. Wir sind im Sommer 1990, der Wende, dem Anschluß, und auf dem Hof der Familie jenseits der Grenze, die nun keine Staatsgrenze mehr ist, sondern Thüringen von den Westländern trennt, hat sich Besuch angesagt. Der älteste Sohn Hartmut (Christian Erdmann) war in den Westen abgehauen, weshalb Siegfried (Florian Panzner) den Hof übernommen hat. Das ist sehr gut inszeniert und dargestellt, wenn der Westler aus München mit seiner Frau und zwei Kindern kommt, wie erst einmal alle starr herumstehen, sich dann die Hände geben und sich erst nach und nach umarmen, wie die kleine Mutter, also eigentlich die Großmutter, die an ihrem Sohn wie an einem Felsen klebt. Jahrzehnte haben sich die beiden nicht gesehen.
Und in diesem Film ist auch so viel Gastfreundschaft, die in der DDR üblich war, enthalten, daß er tatsächlich auch kulturgeschichtlich eine Rolle spielen wird. Ja, so locker sind Menschen mit den Liebesgeschichten von jungen Leuten umgegangen, die unterm Dach eine Bleibe gefunden haben, wo man in den Fünfziger/Sechziger Jahren in Westdeutschland noch wegen Kuppelei hätte angezeigt werden können. Gar nicht so lange her Und es ist in der DDR auch ein anderes Verhältnis zum Körper, ein sehr natürliches entstanden. Nur geht es derzeit offiziell nicht um Liebe, sondern um die Folgen eines Anschlusses, der den ehemaligen DDR-Bewohners die Luft abschneidet, weil westdeutsches Kapital den Osten aufkauft und die bestehende Industrie stillgelegt wird, könnte ja Konkurrenz für den Westen sein, aber offiziell sei sie veraltet. Die Entlassungswellen schwappen bis nach Thüringen, wo sie sogar besonders deutlich ausfallen. Hier sind alle arbeitslos, haben also viel Zeit für anderes.
Henner (Felix Kramer) auf jeden Fall, das ist der Nachbar, den Johannes’ Mutter Marianne (Silke Bodenbender) wie sie am Mittagstisch freimütig den anderen gesteht, nicht von der Bettkante stoßen würde, ist ausgemustert und hat viel Zeit. Da weiß Marianne allerdings noch nicht, daß die von ihr liebevoll behandelte Maria, für sie die zukünftige Schwiegertochter, mit dem Nachbarn eine amour fou erlebt. Erst ist Hannes übergriffig und Maria entzieht sich, doch dann findet sie Gefallen an ihm, an seiner Männlichkeit, die er deutlich auch durch Grobheiten herausstellt. Felix Kramer entwickelt auf der Leinwand eine starke Präsenz, bei der anschließenden Pressekonferenz mag man gar nicht glauben, daß der nette und gewitzte Felix Kramer dieses schwierige Mannsbild gespielt hat, das weiß, daß er zu alt für die Kleine ist, sich aber stark hingezogen fühlt und sie begehrt. Es geht ein Wechselspiel los von Abstoßen und Anziehen. Mal sagt er, so geht es nicht weiter, mal sie, aber doch sehr viel deutlicher er.
Und mit beiden passiert auch etwas. Zur Leidenschaft und dem Lieben kommen Gespräche dazu, die Maria im Hause des Freundes vermißt. Dort gibt es nette Zusammenkünfte, aber keine Gespräche über Literatur zum Beispiel, zu denen es jetzt bei Henner kommt. Der hatte die Bibliothek der verstorbenen Mutter übernommen und zitiert der überraschten Maria ein Gedicht von Georg Trakl. Doch weder fragt sie nach, wer ist das, noch hat er ein Bedürfnis, ihr etwas über ihn zu erzählen, was man nicht ganz verstehen kann, wenn man Trakls (1887-1914) Gedichte kennt, denn dann kennt man auch das Schicksal des Morphiumsüchtigen aus Wien, der wegen Inzest mit seiner Schwester um so lieber nach Berlin ging und gleich am Anfang des Ersten Weltkrieg in Krakau als Helfer für Kriegsverletzte an einer Überdosis Kokain verstarb.
Wenn die Regisseurin dann von einer intellektuellen Beziehung zwischen beiden sprach, die Maria mit Johannes nicht hatte, müßte man das Buch hinterfragen, denn auch Johannes bringt ihr ja seine Gedanken zur Fotografie rüber, er will Kunst in Leipzig studieren und übt mit der neuen Kamera ununterbrochen.
Es ist ein heißer Sommer, in jeder Beziehung und jeder im Film und jeder Zuschauer fühlt, jetzt muß etwas passieren. Es passiert auch etwas und man fragt sich die ganze Zeit, warum denn Maria mit ihrer DDR-Vergangenheit, dem lieben Freund Johannes nicht reinen Wein einschenkt. Aber das Drehbuch richtet sich ja nach dem Roman, von dem Maria abhängig ist. Nicht so hoch hinaus, es geht übel aus.
Eigentlich hätte eine Eloge auf die Schauspieler folgen müssen und allein Jördis Triebel als Marias Mutter zu sehen, freut einen, läßt aber auch fragen, warum sie nicht öfter zu sehen ist.
Foto:
Marlene Burow (Maria)
©
Info:
Stab
Regie Emily Atef
Buch Emily Atef, Daniela Krien
Kamera Armin Dierolf
Darsteller
Marlene Burow (Maria)
Felix Kramer (Henner)
Cedric Eich (Johannes)
Silke Bodenbender (Marianne)
Florian Panzner (Siegfried)
Jördis Triebel (Hannah)
Christian Erdmann (Hartmut)
Christine Schorn (Frieda)
Axel Werner (Alfred)
Victoria Mayer (Gisela)