Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 2
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Diese Bilder werden einen noch lange verfolgen, die uns Rolf de Heer, hollandstämmiger australischer Regisseur zumutet, wobei es ja nur Bilder sind, aber die namenlose BlackWoman erfährt ihr Schicksal an sich als sie mitten in der Wüste in einem Käfig, der auf einem Anhänger steht, ausgesetzt wird. Festverschlossen. Wie uns das unter die Haut geht, hat allerdings auch sehr viel mit der Kamera von Maxx Corkindale zu tun und am allermeisten mit der Darstellerin, die den ganzen Film trägt, Mwajemi Hussein, die aus dem Kongo stammt, aber mit Familie in Adelaide wohnt, wie der Regisseur und hier ihre erste Rolle spielt.
Was tut man, eingesperrt in einen Käfig, ganz allein auf der weiten Welt, denn die unendlich scheinende Wüste und der immer wieder gezeigte nächtliche Sternenhimmel sind die ganze Welt. Sagen wir es gleich, es geht dem Regisseur, der auch sein Drehbuchschreiber ist, nicht um naturalistische Darstellung. Denn sonst hätte der Film nach 2-3 Tagen, die BlackWoman im Käfig sitzt angesichts der sengenden Sonne schon sein Ende gehabt. Trotzdem mußte man bei der an die Filmvorführung anschließende Pressekonferenz nachfragen, wie es denn mit dem Wasser, auch der fehlenden Nahrung für die Eingesperrte sei und auch auf dem glühend heißen Sand barfuß zu laufen ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Er habe sich da an die griechischen Tragödien gehalten, antwortete der Regisseur, da wisse auch niemand, was die Götter zum Frühstück äßen. Dazu noch mehr.
Erst einmal zum Charakter und dem Tun von BlackWoman, die vormacht, wie Lethargie und Aufgeben durch plötzliches Tätigwerden eine gute Kombination abgibt. Tage rüttelt sie vergeblich an den Stäben und dann sieht sie oben, wohin ihr Blick ja erst einmal nicht gleitet, man agiert immer Richtung Tür und auf das hin, was man vor Augen hat, sieht sie also oben, daß ein Stab ein lockeres Ende hat. Das Ding hebelt sie nun über Tage, nach oben, nach unten, bis es nachgibt und durchbricht. Das Ende des Metallteils schleift sie nun so lange über den Boden, von beiden Seiten, bis es spitz zuläuft und jetzt kann sie damit den Bolzen vom Schloß knacken und dies öffnen.
Wenn sie nach tagelangem Herumirren mit den abenteuerlichsten, gefährlichsten, grauslichsten und menschenverachtendsten Situationen konfrontiert ist, mit Leichen, die sie ausgräbt, eigentlich sind es nur noch Knochen mit Schuhen dran und Kleidung, die sie dann für sich nutzt, weil sie zuvor nur ein Hemd trug, wird sie einen Überlebenswillen zeigen, der aber nie auf Kosten anderer geht, wobei man konkretisieren muß: auf Kosten von lebenden Menschen. Von denen gibt es wenige und wenn sind sie vergiftet, verseucht oder sonstwie mit blutigen Geschwüren bedeckt. Eine große Rolle spielen die Gasmasken, die einerseits diejenigen tragen, die mit Gewehren andere abschießen und andere, um den anderen Gasmasken zu entkommen.
Es geht hier um den Weg, den BlackWoman zurücklegt über Stock und Stein, durch die Wüste, einen Canyon, über die Berge, in eine gewaltige Industrieanlage, wo sie von zwei Kindern gerettet wird, als dann doch einer sie erschießen will. Mit denen tut sie sich zusammen, aber auch die beiden sind infiziert. Im Bild rechts versucht sie, das Mädchen an die Leine zu nehmen, damit diese überlebt. Das gelingt nicht. Sie nimmt Abschied an dem schönsten Ort, einem idyllischen See, den sie kennt, begleitet sie in den Tod, ist aber lange Zeit widerständig allen Widrigkeiten und Anschlägen gegen ihr Leben, so übersteht sie auch die neuen Verfolgungen in der Stadt.
Das ist ein Film fast ohne Sprache, aber mit vielen Tönen und Geräuschen. Auch den Wind in der Wüste kann man hören, die Sterne am Himmelszelt allerdings nur sehen. Das Entscheidende ist das Gesicht von Mwajemi Hussein, die etwas Wichtiges tut, keine Grimassen zu schneiden, sondern fast stoisch auf die Situationen zu reagieren, so daß man nur Hoffnung, Widerstand, dann wieder Hoffnungslosigkeit, absolute Resignation in ihrem Blick und ihrer Haltung liegt.
Welchen Stellenwert das Schwarzsein in einer Welt von kranken Weißen, aber eben auch schießwütigen weißen Männern hat, ist schwer auszumachen. In der Pressekonferenz wurde eine in meinen Augen dumme Frage gestellt, nämlich inwieweit ein weißer alter Mann einen Film über eine schwarze Frau machen könne, ob er da keine Zweifel habe. Die Antwort von Rolf de Heer war eindrucksvoll, weil schlicht und auch richtig. Er habe bei jedem Film Zweifel, ob er dem Stoff, den Rollen und ihren Vertretern gerecht werde. Es sei ja nachgerade die Aufgabe eines Regisseurs sich in alle Rollen seiner Filme hineinversetzen zu können und alle Personen fair zu behandeln, unabhängig von Geschlecht oder anderem. Mwajemi Hussein machte nicht nur im Film eine gute Figur, in der Pressekonferenz sprach sie von ihrer persönlichen Situation mit vielen Kindern und einem Mann, sich auf das Wagnis solch eines Films einzulassen, mit langer Drehzeit, was noch dazu in Coronazeiten fiel.
Man muß einfach über unglaubliche Aufnahmen der Kamera verweisen, die jeden Dokumentarfilm über Ameisen oder Wüstenlandschaften in den Schatten stellt. Wie es ihm gelungen sei, auf der Leinwand Ameisen in der Größe von Katzen darzustellen, erläuterte Maxx Corkindale gerne, der auch verblüfft darüber war, wie die Ameisen, die ja erst beim Drehen aus ihren Löchern krochen und dann Abschlepparbeiten verrichteten, die genau zum Gehalt des Films paßten.
Das ist ein fast sprachloser Film, den man mit Erschütterung ansieht und die Bilder nicht vergessen wird.
Foto:
©
Info:
Stab
Regie Rolf de Heer
Buch. Rolf de Heer
Kamera. Maxx Corkindale
Montage. Isaac Coen Lindsay
Musik. Anna Liebzeit
Darsteller
Mwajemi Hussein (BlackWoman)
Deepthi Sharma (BrownGirl)
Darsan Sharma (BrownBoy)