Serie: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin vom 16.– 26.02.23, BERLINALE, Wettbewerb 5
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Toxische Männlichkeit sei ein doofer Begriff, sagte mir gerade ein werter Kollege. Nämlichen Begriff hatte ich nämlich beim Film BLACKBERRY verwendet. Stimmt, das war ja noch harmlos gegenüber dem, was sich hier auf der Leinwand ereignet. Der Abgesang der Bewältigung vom Lebensdrama eines Mannes, dem nicht zu helfen war, obwohl es viele versuchten, allerdings auf Arten, wo einem die Haare zu Berge stehen.
Von Vorne. Wir erleben einen lüsternen Uber-Taxifahrer, (Jesse Eisenberg) der im Rückspiegel eine frische Mutter ihr Baby stillen sieht. Die sieht seinen Blick, schreit ihm ANHALTEN zu, was er erst nicht beachtet, dann tut, mitten in der Pampa, wie sie es wollte, die rasch mit Baby aussteigt und nur „Arschloch“ zurückläßt. Das denken wir auch, fühlen uns aber in der nächsten Einstellung moralisch am Schlafittchen gepackt, denn der Taxifahrer holt vor einem Geschäft seine hochschwangere Freundin , die dort arbeitet, ab.
Aha, denken wir, er hat bei der Stillenden nur an die baldige Mutterschaft seiner Freundin gedacht. Nach dem Film sind wir da nicht mehr so sicher, was überhaupt alles in dem Kerl vorgeht. Zuviel, was er nicht bewältig, auf jeden Fall, wobei ihm sicher nicht geholfen hat, daß ein sehr merkwürdiger Männerbund ihm zerstörerische Männlichkeit attestiere, die er positiv oder negativ in seinem Leben einsetzen könne. Sollen wir schon verraten, daß es nur negativ ausgeht. Aber wäre es positiv, wäre dieser Film wahrscheinlich gar nicht gedreht worden.
Man muß die Handlung zusammenfassen, die aus dem verunsicherten Ralphie einen menschenverachtenden Killer macht, wobei ein präziser Blick auf US-amerikanische Verhältnisse auch die Rolle von Waffen als täglicher Gebrauchsgegenstand erneut als Grundübel entlarvt.
Von vorne. Seine Freundin trägt den Hauptteil zum Lebensunterhalt bei. Wie wird das sein, wenn sie nicht arbeiten kann? Ralphie hatte seine Arbeit verloren, Taxi geht nur nebenbei und die viele freie Zeit verbringt er in einem Fitneßstudio, wo er extrem hart trainiert, denn grundsätzlich fühlt sich nicht nur seine Seele nicht zu Hause, sondern sein Körper auch. Daß er im Studio in eine merkwürdige zwischenmenschliche Komplikation mit einem Schwarzen gerät, der als vorzeigbarer Muskelmann erst Ralphie lächerlich macht und runterputzt, dann aber gegen Schluß einen , wäre nicht nötig gewesen, verkompliziert in meinen Augen die sowieso angespannte
Hauptpunkt und Auslöser für die Gewaltspirale, in die Ralphie gerät und eruptiv zum Schlimmsten wendet ,ist MANODROME. So nennt sich der Männerbund, den Dad Dan (Adrien Brody) in seinem feudalen Anwesen zusammen mit anderen „Vätern für die „Söhne“, lauter haltlose, verunsicherte junge Männer, die dort leben dürfen und ‚gesunden‘ sollen betreibt. Da wird ein Männerkult betrieben, der das Mannsein mit äußerer und innerer Stärke beschwört, die aus den gemeinsam laut skandierten Wörtern resultieren, nicht aus dem inneren Lernen der jungen Männer oder neuen Einsichten. Furchterregend beim Zuschauen, sicher ein Halt für Hilflose, aber auch ein Hinterhalt für diejenige, die glauben, eine falsche Stärke beweisen zu müssen.
Auf jeden Fall wird Ralphie im Zwiespalt zwischen Vaterrolle und Hilflosigkeit und dem Gefühl von Unterprivilegiert, verstärkt durch das Abhauen seiner Freundin, die ihm den Jungen ans Herz legt, zum Rückkehrer ins MANODROME, von dem er sich eigentlich gelöst hatte, wo er sich nun Hilfe erhofft, stattdessen ein Gemetzel veranstaltet, das er an anderer Stelle fortsetzt, bis er in den Armen des sanften Riesens Sachiel (Gheorghe Murensan) ruht, der als Leiter einer Altenstätte einerseits die Polizei gerufen hat, andererseits Ralphie die letzten Momente von Ruhe und Geborgenheit gibt. Ein sehr merkwürdiger Film, der zudem wieder einmal zeigt, wie verheerend es ist, wenn Pistolen und Revolver in den Schreibtischen der Bevölkerung liegen, aus denen sie schnell in die Hände von Lebensversagern wie Ralphie geraten, dem ja die amerikanische Lebensart eigentlich Glück und Aufstieg verspricht.
Foto:
Odessa Young, Jesse Eisenberg
©Wystt Garfield
Info:
Stab
Regie John Trengove
Buch John Trengove
Kamera Wyatt Garfield
Darsteller
Jesse Eisenberg (Ralphie)
Adrien Brody (Dan)
Odessa Young (Sal
Sallieu Sesay (Ahmet)
Philip Ettinger (Jason)
Ethan Suplee (Vater Leo)
Evan Joningkeit (Sohn Brad)
Caleb Eberhardt (Sohn Aaron)
Gheorghe Murensan (Sachiel)