Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Seit dem Start der Filmfestspiele fährt die S-Bahn wieder regelmäßig, man erreicht die Berlinale nun mit wesentlich weniger Aufwand als bei den Vorab-Aufführungen für die Presse. Der Potsdamer Platz sieht wieder ganz manierlich aus mit dem festlich dekorierten Festival-Palast und den restaurierten, künstlerisch aufgehübschten Arkaden.
Stärker noch als in den letzten Jahren werden Filme des Festivals auch in entfernteren Großkinos in den Stadtteilen gezeigt. Darunter sind der Zoo-Palast oder das Titania, beide waren bereits früher - vor der Wende - Berlinale-Kinos. Natürlich nörgeln darüber die professionellen Kritiker - aber ein Merkmal der Festspiele ist ja gerade die Nähe zum normalen Publikum. Bewusst hat Dieter Kosslick, der letzte Festivalleiter, vor langer Zeit das Konzept „Berlinale Goes Kiez“ entwickelt, um die Programmkinos in den Stadtteilen zu unterstützen und die Leute zu erreichen. Im Programm heißt es dazu: „Das Publikum ist eingeladen, die Vielfalt der lokalen Kinolandschaft zu entdecken, in familiärer Atmosphäre ausgewählte Festivalfilme zu sehen und internationalen Filmteams zu begegnen.“
Im alten DDR-Tempel „International“, der seit der Wende ebenfalls ein Festivalkino ist, fand die Premiere des Streifens „Sieben Wochen in Teheran“ statt. Obwohl er in der Sektion „Perspektive Deutsches Kino“ präsentiert wurde, geschah die Einführung sowie der dem Film folgende Diskurs mit der deutschen Regisseurin Steffi Niederzoll und ihrem Team, ausschließlich in englischer Sprache. So wird hier häufig auf den Festspielen krampfhaft „Internationalität“ inszeniert. Undenkbar, dass in Venedig neben Englisch nicht Italienisch oder gar in Cannes kein Französisch gesprochen wird… Ganz überraschend hatte der Streifen jedoch deutsche Untertitel, die es außer im Großen Wettbewerb fast nie gibt.
Dieser Dokumentarcollage schildert das Schicksal der 19-jährigen, unpolitischen Iranerin Reyhaneh, die bei einer versuchten Vergewaltigung ihren Drangsalierer mit einem herumliegenden Küchenmesser tödlich verletzte. Der Vergewaltiger war ein bekannter Schönheitschirurg, angeblich sehr gläubig und ein „hohes Tier“ im iranischen Geheimdienst. Mit Einschüchterung, Folter, Erpressung, schließlich untergeschobenem Beweismaterial und Drangsalierung der Familie, versuchte die Polizei ein Geständnis der Beschuldigten zu erzwingen. Sie wurde des bewussten heimtückischen Mordes beschuldigt. Im ersten Prozess wurde der Richter abgesetzt, weil er die Beweise für einen geplante Tötung ungenügend fand. Er wurde durch einen geistlichen Hardliner ersetzt, bei dessen Prozessführung Reyhaneh nicht mehr zu Wort kam: sie wurde von ihm zum Tod verurteilte. Zunächst wurde sie mit 30 Peitschenhieben bestraft, weil sie eine außereheliche Beziehung (zum Vergewaltiger!) einging.
Sie selbst lernte in den Gefängnisjahren bis zu ihrem Tod, die Schicksale von drogensüchtigen Frauen und Huren kennen. Viele von ihnen wurden als Minderjährige durch Ihre Mütter oder Eltern zur Prostitution gezwungen, um ihren Brüdern ein gutes Leben zu ermöglichen. Reyhaneh politisierte sich durch diese Begegnungen und engagierte sich für ihre Mitgefangenen. Trotz weltweiter Proteste wurde sie, das eigentliche Opfer, nach sieben Jahren gehängt. Die Verwandten des Toten weigerten sich ihr Vergebung zu gewähren, weil sie den Vorwurf der versuchten Vergewaltigung nicht zurücknahm.
Erzählt wird ihre Geschichte durch Smartphone-Videos, Fotos, Briefe, Mitschnitte ihrer Telefongespräche und Gesprächen mit vielen Beteiligten, die alle mittlerweile im Exil leben. Ein sehr berührender Film, der die Frauenfeindlichkeit und den Terror des Regimes in Teheran exemplarisch auf den Punkt bringt.
„Ich will die Reproduktion von Gewalt zeigen“, sagt die Regisseurin in einem TAZ-Interview. Durch die Proteste sind Menschen weltweit darauf aufmerksam geworden, wie es im Iran um Frauenrechte steht.“
Fotos:
Reyhaneh vor Gericht
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