IMG 1314Jenseits des Wettbewerbs (5)

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Am Freitagvormittag verlasse ich die „Blase“ Potsdamer Platz, in der ich mich jetzt gut fünf Wochen lang getummelt habe und schwärme aus in die Stadt: Ich gehe in den Zoo-Palast , dann ins International, um Filme zu sehen, die ich im Wettbewerb verpasst habe oder im Vorfeld nicht sehen konnte.


Der Große Wettbewerb ist vorbei, heute Abend regnen nun die Gold- und Silberbären vom Himmel wie in dem Trailer, der jedem Berlinale-Film vorausgeht. Zahlreiche andere Preise werden vergeben, etwa vom Publikum oder von den Lesern gleich zweier Berliner Zeitungen und vielen weiteren Initiativen. Mehrfach prämiert wurde bereits der Film „Sieben Winter in Teheran“ (siehe weltexpresso). Ich werde hier kein Bären-Orakel abgeben, denn warum soll ich Gewinnende vorhersagen und ihre Filme kommentieren, die man erst in einem halben Jahr oder niemals sehen kann? Aber morgen werde ich durchaus die Auswahl der Internationalen Jury diskutieren: Mir haben acht Filme gefallen und es gibt acht Bären…vielleicht habe ich ja acht Richtige.

Nach dem letzten Wettbewerbs-Film für die Presse im Berlinale-Palast, hätte ich noch bis Sonntagabend Zeit, weitere Filme zu sehen. Für sämtliche öffentlichen Wiederholungen kriegt man als Journalist locker ein Ticket, meist sogar noch bis kurz vor Filmbeginn auf dem Smartphone: Ein ungeheures Privileg, vor allem wenn man morgens um sieben Uhr ins Internet geht. Presseleute scheinen keine Frühaufsteher zu sein. Doch heute Mittag habe ich alle gebuchten Tickets storniert, nach 60 - oder waren es sogar 70 - Filmen in den letzten Wochen, mag ich einfach keine mehr sehen. Ich glaube alle Guten habe ich angeschaut.

In den Sektionen „Panorama“, „Perspektive deutsches Kino“ oder „Encounter“ liefen ja viele gute Streifen, die hätten auch um die Bären konkurrieren können. Nun werden „Sisi und ich“, „Inside“ oder „Vergiss Meyn nicht“, über die wir hier bereits kurz berichteten, vielleicht wenigstens durch Presse-Jurys oder Publikumsabstimmungen prämiert und damit bekannt. Einige Streifen hätten es sogar verdient gehabt, im Wettbewerb zu laufen, eher als manche unsäglichen Podcast-Filme, in denen nur geredet und geredet und geredet wird. Ohne jeglichen darstellerischen oder cineastischen Anspruch. Die FAZ warnte davon, dass sich die diversen Sektionen noch stärker einander angleichen, dadurch gebe es kaum noch Spannung zwischen ihnen. Wenige gute Filme verteilten sich auf viele Bereiche, würden aber nicht mehr werden - die Festspiele dadurch insgesamt mittelmäßig.

Übrigens, wenn ich das als alter weißer Mann mal sagen darf (das ist ironisch gemeint), die Gewinner der 73. Filmfestspiele sind ebenfalls wieder einmal die Frauen. Die Berlinale vergleicht seit einigen Jahren den Anteil von Männern und Frauen in allen relevanten Bereichen: Bei der Filmauswahl, den Jurys oder den Filmschaffenden. Schon lange war mit etwa einem Drittel der weibliche Anteil (Dank Dieter Kosslick) stärker als bei anderen großen Filmfestivals. In diesem Jahr sind zwar die nicht-binären Menschen dazu gekommen, aber die Frauen sind dennoch stärker vertreten.

Jetzt bin ich gespannt, wen die Internationale Jury mit zwei Männern und fünf Frauen auswählen wird..

Aktuelle Meldung:
Das Publikum der Sektion "Panorama" wählte den Film "Sira", in dem sich die junge Nomadin Sira nach einem brutalen Überfall nicht kampflos in ihr Schicksal, fügt. Mit ihrem Baby auf dem Rücken und einem Maschinengewehr vor sich, nimmt sie exemplarisch blutige Rache an islamistischen Terroristen.

Foto:

Der Verfasser dieser Zeilen in seiner Blase
© Hanswerner Kruse