Hanno Lustig
Berlin (Weltexpresso) - Die Preisträger*innen in der Sektion Perspektive Deutsches Kino sind:
- Kompass-Perspektive-Preis: Sieben Winter in Teheran von Steffi Niederzoll
- Kompagnon Fellowships: Mareike Wegener (Perspektive Deutsches Kino 2022) und Anna Melikova (Berlinale Talents 2023)
- Heiner-Carow-Preis: Knochen und Namen von Fabian Stumm
Der Kompass-Perspektive-Preis, die Kompagnon Fellowships und der Heiner-Carow-Preis für das beste Gewerk wurden vergeben.
Gratulation an die Preisträger*innen Steffi Niederzoll, Mareike Wegener, Anna Melikova und Fabian Stumm.
Der Kompass-Perspektive-Preis für den besten Film des Programms geht an Steffi Niederzoll für den Film Sieben Winter in Teheran.
Am Abschlussabend der Perspektive Deutsches Kino haben die Juror*innen Dela Dabulamanzi, Anne Fabini und Jöns Jönsson den mit 5.000 Euro dotierten Preis vergeben.
Als Trophäe bekam die Regisseurin einen Kompass überreicht, der ihr symbolisch Orientierung geben soll.
Jurybegründung für Sieben Winter in Teheran im Wortlaut:
Wie überwindet man das Gefühl der eigenen Ohnmacht und leistet Widerstand?
Gebannt verfolgen wir die Geschichte einer jungen Frau, die sich der institutionalisierten männlichen Gewalt widersetzt. Dabei entsteht das einfühlsame Porträt einer Familie, die im Kampf gegen ein Unrechtsregime zerrissen wird. Anhand einer Vielfalt von dokumentarischen Materialien spannt der Film einen stringenten Erzählbogen.
Dieser Film tut weh und verstört. Gleichzeitig ist die Begegnung mit der jungen Protagonistin Reyhaneh inspirierend und lässt uns mit einem Funken Hoffnung zurück. Der Kompass-Perspektive-Preis 2023 geht an Sieben Winter in Teheran von Steffi Niederzoll.
Die Preisträger bei Generation 14plus, verliehen von der Jugendjury und der Internationalen Jury /
Adolfo – Szemen sarka (From the Corner of My Eyes) – Man khod, man ham miraghsam (And Me, I'm Dancing Too) – And the King Said, What a Fantastic Machine – Hummingbirds – Mutt – Infantaria (Infantry) – Incorci
Die beiden Kompagnon Fellowships Perspektive Deutsches Kino und Berlinale Talents gehen an Mareike Wegener (Perspektive Deutsches Kino 2022) sowie an Anna Melikova (Berlinale Talents 2023, Teilnehmerin der Script Station).
Seit 2017 wird das Kompagnon Fellowship jeweils für ein neues Filmprojekt an eine*n Autor*in und/oder Regisseur*in von Berlinale Talents sowie an eine*n Regisseur*in der Perspektive Deutsches Kino vergeben. Mit dem Kompagnon Fellowship möchten Berlinale Talents und die Perspektive Deutsches Kino in Deutschland lebende Regisseur*innen und Drehbuchautor*innen nachhaltig bei ihrer Arbeit unterstützen. Die Auszeichnung bietet neben dem Stipendium von 5.000 Euro (Kurzfilme: 2.500 Euro) auch ein Mentoringprogramm mit berufsbegleitenden Coachings zur Stärkung der persönlichen Handschrift und zur Vernetzung in der Branche. Die Juror*innen Dela Dabulamanzi, Anne Fabini und Jöns Jönsson verliehen die Preise.
My Beloved Man’s Female Body von Anna Melikova — die Begründung der Jury im Wortlaut:
Die Geschichte ist ein Spiel mit Identitäten, das immer neue Wendungen nimmt. Aber schon bald wird es bitterernst, denn in der Ukraine herrscht Krieg. Kann es zu früh sein, um einen Spielfilm über die ersten Wochen des Angriffskriegs zu machen?
Wir finden genau das verleiht ihm Dringlichkeit und dokumentarische Unmittelbarkeit. Die Autorin traut sich an schwierige Themen heran, behandelt sie aber mit Leichtigkeit und zeichnet Figuren, die sich alle im Wandel befinden. Ein Transmann entscheidet sich sein Leben zu schützen und das Kriegsgebiet zu verlassen. Dies wird ihm aber an der Landesgrenze verwehrt, da er als Mann sein Land zu verteidigen hat, auch wenn ihn seine Papiere noch als Frau ausweisen. Die Partnerin bleibt an seiner Seite und muss sich ihrerseits neu definieren, da sie nach seiner Transition nun heterosexuell gelesen wird. Genau wie die beiden ist das ganze Land im Wandel und am Ende wird nichts mehr so sein wie zuvor. Wir sehen in Anna Melikovas Projekt My Beloved Man’s Female Body großes Potenzial und zeichnen es mit einem Kompagnon Fellowship 2023 aus.
Paraphrase on the Finding of a Glove von Mareike Wegener — die Begründung der Jury im Wortlaut:
Es geht um eine Frauenfigur, wie wir sie selten im Kino sehen – einsam, aber auf der Suche, wandert sie zwischen Realität und Fantasie. Die aufgrund einer Pandemie angeordnete Isolation ist für Cloe eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Die junge Philologin hat es sich zum Beruf gemacht, die Lebensläufe ihrer Klient*innen für Festreden zusammenzufassen – aber bald sind es nur noch Trauerreden. Als sogar die eigene Mutter Cloe die Umarmung verweigert und ihr Hund an einer Überdosis Schlaftabletten fast verendet, ist es ein verlorener Handschuh, der als Ersatz für menschliche Interaktion eine Welt voll fantastischer Abenteuer eröffnet. Mit traumwandlerischer Sicherheit entwickelt der Film sich hin zu einem magisch-realistischen Thriller. Mareike Wegener spielt mit den Erwartungen des Publikums – zum Glück, denn so erschafft sie aberwitzige Momente der Irritation, geboren aus dem tiefen seelischen Schmerz der Einsamkeit. Paraphrase on the Finding of a Glove erhält ein Kompagnon Fellowship 2023. Herzlichen Glückwunsch!
Der Heiner-Carow-Preis 2023 zur Förderung der deutschen Filmkunst geht an das Perspektive-Talent Fabian Stumm (Drehbuch) für Knochen und Namen.
Zum zehnten Mal wurde der mit 5.000 Euro dotierte Heiner-Carow-Preis bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin verliehen. Der Preis wird von der DEFA-Stiftung ausgelobt und an ein Talent der Sektion Perspektive Deutsches Kino verliehen, das mit seinen Fähigkeiten im jeweiligen Gewerk einen Dokumentar- oder Spielfilm der Sektion besonders geprägt hat. Über die Vergabe entschied eine dreiköpfige Jury, bestehend aus Freya Arde (Filmkomponistin), Peter Kahane (Regisseur) und Mirko Wiermann (DEFA-Stiftung). Die Preisverleihung fand am 23. Februar 2023 um 16:00 Uhr im Kino International statt.
Die Jurybegründung im Wortlaut:
Leicht haben wir es uns nicht gemacht. Und dennoch ist unser Preisträgerfilm erfüllt von einer Leichtigkeit, vielleicht ein Kontrapunkt zur Düsternis des aktuellen Zeitgeschehens. Leichtigkeit bedeutet dabei aber nicht Oberflächlichkeit. Ganz im Gegenteil, denn es ist ein Film, der mit philosophischer Tiefe von den Dingen des Lebens erzählt, von dem was ist und was bleibt, gehüllt in ein komödiantisches Gewand: Gedankentiefe, jedoch ohne Verkopfung.
Das in mehrerlei Hinsicht doppelbödige Drehbuch besticht einerseits durch seinen Wortwitz, andererseits ermöglicht es oftmals eine Transparenz von Gefühlslagen der Figuren ohne Dialog, vermittelt nur über kleine Gesten, feine Mimik, wobei sich beides in einem ungeheuer präzisen Timing ausdrückt. Politische Momente leben auf zwischen den Zeilen, unartikuliert, dennoch unübersehbar: So sind sexuelle Autonomie und multikulturelle Diversität mit einer Selbstverständlichkeit gesetzt, die keiner Diskussion von Heteronormativität bedürfen.
Und nicht zuletzt lebt der Film durch seine Theatralität, die sich im spielerischen Umgang der Wechselwirkungen zwischen Kunst und Realität spiegelt, aber auch im Konzept der Bildgestaltung und -komposition. Theaterbühne wie weiße Wände werden dabei zur Projektionsfläche einer nicht ganz so unerträglichen Leichtigkeit des Seins.
Der Drehbuchautor ist dabei zugleich sein eigener Regisseur, Hauptdarsteller und Produzent. Wir freuen uns, dass der Heiner-Carow-Preis 2023 an Fabian Stumm für das Drehbuch zu seinem Film Knochen und Namen geht.
Foto:
v.l.n.r.: Jurymitglied Anne Fabini, Steffi Niederzoll (Regie Sieben Winter in Teheran), Jurymitglied Dela Dabulamanzi
© Daniel Seiffert