Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Februar 2023, Teil 2
Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Bei „Wo ist Anne Frank“ handelt es sich um einen Holocaust-Film. Weshalb haben Sie für Ihren Film ausgerechnet Animation als Medium gewählt?
Ich sehe dies als Mittel, ein jüngeres Publikum anzusprechen. Vor acht Jahren ist der Anne Frank Fonds in Basel genau aus diesem Grund an mich herangetreten und hat mich dabei gezielt nach einem Animationsfilm angefragt. Gesucht wurde nach einer neuen Dimension, die Geschichte des Holocausts zu vermitteln. Daraufhin entstand die Idee, Kitty in der Hauptrolle aufleben zu lassen und sie zur Hauptfigur des Films zu machen - zur Erzählerin. Zwei
weitere Kriterien waren einerseits Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verbinden. Andererseits sollten die letzten sieben entsetzlichen Monate im Leben von Anne Frank dargestellt werden.
Und wie drückt sich diese neue Dimension im Film aus?
Unsere wichtigste Neuheit, wie erwähnt, bestand darin, aus Kitty,einer der imaginären Freundinnen Annes, eine tatsächlich existierende Person zu machen. In unserem Film ist Kitty, nicht Anne Frank, die Hauptdarstellerin. Sie macht sich auf die Suche, um herauszufinden, was nach dem Krieg mit Anne passiert ist. Wie ist Anne gestorben? Was ist mit ihr geschehen? Hierbei erfährt sie von der gegenwärtigen Situation in Europa, welches der Zielort einer
immensen Anzahl an Geflüchteten aus allen Teilen der Welt ist, die aus Kriegsgebieten entkommen sind.
Die Animation wurde von Lena Guberman erstellt. Wie haben Sie beide – angesichts der schier unendlichen Möglichkeiten, die Ihnen dieses Medium bietet – entschieden, wie der Film am Ende auszusehen hat?
Klar, mit Animation lässt sich die bestehende Welt neu gestalten. Als Erstes mussten wir Kitty und Anne entwickeln. Ich denke, wir haben es geschafft, beiden sehr herzliche, warme Persönlichkeiten zu geben. Lena ist eine herausragende Künstlerin und hat beide auf eine ausgesprochen bezaubernde Weise gezeichnet. Gleich zu Beginn haben wir jedoch festgelegt, dass wir mit einem bestimmten Muster des Genres brechen wollen. Die meisten Kriegsfilme stellen die Gegenwart in Farbe dar und die Vergangenheit in Schwarzweiß. Wir hingegen machten es diesmal umgekehrt. Das heutige Amsterdam wird in unserem Film also in Schwarzweiß gezeigt. Es ist Winter und die Stadt ist völlig farblos geworden. Auf der anderen Seite ist die Vergangenheit von Annes Perspektive aus betrachtet
sehr lebendig, farbenfroh und schillernd. Das wurde zum Leitfaden des Films. Zudem haben wir unsere Ausdrucksmöglichkeiten in keiner Weise eingeschränkt, wie ich es bei früheren Animationsfilmen getan hatte. Wir haben uns mit den Farben ausgetobt, vor allem, wenn Annes Fantasie und Träume zum Vorschein kamen.
Können Sie uns mehr über Ihre Gründe erzählen, weshalb Sie bei diesem Projekt mit Lena Guberman zusammengearbeitet haben?
Ich halte Lena für ein Genie. Sie erschafft die wohl besten Animationsfiguren, die ich je erlebt habe. Ihre Denkweise ist wie für die Umsetzung von Bildern gemacht. Schließlich besteht unsere Arbeit nicht bloß in der Zeichnung von Bildern. Entscheidend ist es, sie in Bewegung zu bringen. Außerdem ist Lena die perfekte Partnerin für eine derartige Aufgabe. Sie ist alles andere als egozentrisch. Sie ist bescheiden, arbeitet zielstrebig und ihr toller Charakter birgt unglaublich viel Talent.
Welche technischen Mittel haben Sie für den Film verwendet?
Zum ersten Mal wird Anne Franks Geschichte vollständig in Zeichnungen geschildert. Es geht um 159.000 einzelne Zeichnungen, die in 15Ländern entstanden sind. Diese Vorgehensweise verleiht dem Film eine lebhafte,lebendige Atmosphäre. Die Geschichte ist fließend, ohne den Zuschauer:innen viel abverlangen zu wollen. Hierzu haben wir eine völlig neue Technik entwickelt, bei der statische Hintergründe mit klassischen, animierten Figuren in 2D verknüpft
werden. Das Hinterhaus haben wir als Miniaturmodell nachgebaut. Auf diese Weise konnten wir Bilder von echten Landschaften erzeugen, die von richtigen Kameras aufgenommen wurden. In diese Hintergründe haben wir schließlich gezeichnete Figuren als Animation integriert. Etwas, was wirklich innovativ ist. Für die Filmbranche ist diese Technik etwas komplett Neues.
Kitty war schon immer da. Allerdings nur im Tagebuch und nicht als tatsächliche Person. Wie haben Sie es geschafft, sie als Figur im Film zu entwickeln und gleichzeitig den Vorstellungen, die Anne Frank über Kitty hatte, gerecht zu werden?
Anne Frank hat uns eine Menge Input zu Kitty hinterlassen: Wer sie ist, wie sie aussieht, welche Art von Mensch sie ist. Und selbstverständlich sind da noch Annes Gespräche mit Kitty. Für unseren Film ging ich einen Schritt weiter. Ich machte aus Kitty ein Alter Ego von Anne. In gewisser Hinsicht habe ich ihr eine extrovertierte Persönlichkeit verliehen. Bei ihr handelt es sich um eine Kämpferin, die im Gegensatz zu Anne nicht der elterlichen Kontrolle untersteht und
somit mehr Freiraum hat. Im Falle von Kitty gibt es keine Mitbewohner:innen in ihrem Versteck, die sie zurechtweisen. Somit kann sie all das tun, was Anne in ihren Vorstellungen schon immer machen wollte. Wir konnten also nicht anders, als Kitty so zu gestalten. Weshalb sonst hätte Anne Kitty erfinden sollen?
Aus Kitty wird im Film eine Aktivistin, die sich in der Gegenwart für geflüchtete Menschen einsetzt. Sehen Sie Kitty als Teil von neuen, politischen Jugendbewegungen zum Klimaschutz und Menschenrechten?
Definitiv ist sie ein Kind unserer Zeit. Anfangs war Kitty nur Annes imaginäre Freundin. Im Film hingegen baut sie eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Auf ihrem Weg durch die Welt trifft sie auf junge Menschen wie sie selbst, die in Gefahr sind – vermutlich deshalb, weil sie aus Kriegsgebieten fliehen mussten. Ein Umstand, der Kitty an Anne und die Tatsache erinnert, dass Anne während ihrer relativ kurzen Zeit im Versteck keine Gelegenheit zur Flucht hatte. Kitty wird durch diese Erfahrung zu einer Aktivistin. Gleichzeitig wird sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst, eine Bewegung für Kinderrechte zu starten. Und diese Fähigkeiten ergeben sich daraus, dass sie in unserer Welt zu Gast ist.
Fortsetzung folgt demnächst