Die aus Basel stammende Schauspielerin Naomi Krauss brilliert in ihrer ersten Netflix-Hauptrolle und gleichzeitig im Berliner Ensemble – ein Gespräch über Chancen und Unterschiede
Yves Kugelmann
Berlin (Weltexpresso) - tachles: Sie leben schon lange in Berlin. Nun haben Sie mit einer Hauptrolle im Berliner Ensemble und bei Netflix bewiesen, dass Deutschland der richtige Ort für eine Schauspielerin ist.
Naomi Krauss: Ja. Das mag sein, dass Chancen hier größer sind. In Berlin bin ich seit 1990. Und in der Schweiz kennt man mich kaum, ich ging ja nur in Zürich in die Schauspielschule, danach spielte ich nur eine einzige Rolle.
Was hat Sie damals nach Berlin gezogen?
Ich hatte an der Schaubühne Berlin mein erstes Engagement.
Nun bekamen Sie eine grosse Rolle im Netflix-Film «Faraway».
Ja, ich bekam die Chance, in einer Liebes-komödie für Netflix die Hauptrolle zu spielen. Es geht um eine Frau in ungefähr meinem Alter, die sich aus ihrer Lebenssituation zu befreien versucht. Sie ist Deutsche, ihre Mutter Kroatin, ihr Vater Türke.
Sie sind eine jüdische Baslerin in Berlin und halbe Israelin. Ist Diversität in den letzten Jahren auch in Filmen sichtbarer geworden?
Ja, und das ist gut für mich. Wobei ich es auch traurig finde, dass es so lange dauerte, denn früher hiess es doch ab und an bei ARD und ZDF, dass ich für ein Casting zu «südländisch» sei. Aber seit einigen Jahren bekommen auch Frauen mit südeuropäischer Ausstrahlung und dunklen Haaren Chancen.
Berlin ist schon länger ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen, so mittlerweile auch für emigrierte Israeli. Haben Sie mit ihnen Kontakte?
Nein, dafür bin ich wohl schon zu lange in Berlin und habe keinen Zugang zu dieser Szene. Aber dort, wo ich wohne, höre ich nun dauernd Hebräisch. Ich würde solche Kontakte eigentlich gerne haben, aber die zugewanderten Israeli gehören zur jüngeren Generation.
Sie stehen in Berlin auch auf erfolgreich auf der Theaterbühne mit «Die Vögel». Was ist daran für Sie speziell?
Dass ich als Jüdin auf einer deutschen Bühne Hebräisch sprechen kann, und dass ich in diesem Stück mit einem Palästinenser zusammen spiele. Wir waren beide sehr berührt davon. Dazu kommt, dass die Leute in Berlin einfach für alles offen und an allem interessiert sind.
Das Stück des libanesischen Autors Wajdi Mouawad hat in München kürzlich für eine Kontroverse gesorgt. Wie stehen Sie dazu?
Ich habe das Stück in München nicht gesehen und diese Debatte nur am Rande mitbekommen. In Berlin war das kein Thema.
Auch andere Schweizer Schauspieler, etwa Daniel Levy, leben in Berlin. Ist das notwendig, um im deutschen Sprachbereich überhaupt reüssieren zu können?
Ich hatte ja gar nicht in der Schweiz ausprobieren können, ob ich dort hätte bestehen können, weil ich direkt von der Schauspielschule nach Berlin ging und geblieben bin. Ich kann das also nicht gut beurteilen. Aber was die Sprache betrifft, denke und träume ich mittlerweile in Hochdeutsch, auch wenn ich Baseldeutsch noch sprechen kann.
Die Schauspielbranche hat in den letzten Jahren durch #MeToo grosse Umbrüche erlebt. Was ist dabei für Frauen Positives herausgekommen?
Man wird eindeutig mit mehr Respekt behandelt. Für die Netflix-Produktion, die auch für die USA und England gemacht wird, mussten wir vor Drehbeginn einen Workshop absolvieren, etwa zu Fragen wie «Wie weit darf ein Kompliment gehen?» oder «Was sind Übergriffe?». Ich fühle mich geschützter als früher.
Waren denn Übergriffe zuvor wirklich an der Tagesordnung?
Die Richtungsänderung war, finde ich, dringend nötig, ich habe das andere auch erlebt. Wobei die Grenze immer schwierig zu definieren war. Ist es zickig, zu sagen «Lass das», wenn einem der Regisseur bei einem Gespräch den Arm um die Schulter oder Taille legt?
Der Netflix-Film war Ihre erste angelsächsische Produktion. Was ist der Unterschied zu einer deutschen?
Die Amerikaner geben einem schon beim Casting viel stärker das Gefühl einer echten Zusammenarbeit, und sie zeigen sehr viel Respekt. Bei einem deutschen Casting hat man mehr das Gefühl, zu einer Prüfung anzutreten. Dieser Unterschied ist denn auch bei den Dreharbeiten spürbar.
Früher war es für Schauspielerinnen ab ungefähr 45 schwierig, noch Rollen zu kriegen, das hat sich heute geändert. Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ich werde noch meine Theaterrolle bis Ende Sommer spielen, danach hoffe ich, dass sich durch «Faraway» mehr Türen öffnen, auch international. Was ich gerne einmal machen würde, ist eine Miniserie.
Spielen heute für Sie Ihre schweizerisch-jüdischen Wurzeln noch eine Rolle?
Ja, absolut. Auf die Frage, woher ich komme, sage ich immer: «Ich bin halb Israelin, halb Schweizerin.» Und so fühle ich mich auch, wobei ich durch meine Mutter mehr Israelin als Schweizerin bin – auch wenn ich nur kurz als Kind in Israel lebte. Aber unsere Wohnung in Basel war damals bezüglich Essen, Sprache, Musik usw. eine Art israelisch-jemenitische Insel.
Betrifft die derzeit aufkommende Cancel Culture auch Sie als Schauspielerin, oder macht sich das eher für die Drehbuchautoren spürbar?
Ich habe mitbekommen, dass darüber geredet wurde, was man noch sagen darf und was nicht. Aber davon ist schon eher die Dramaturgieabteilung betroffen. Wobei es beim Dreh von «Faraway» eine Szene gab, bei der ich mich gewehrt habe. Ich spiele darin ja eine Mutter, deren Tochter ihr eröffnet, dass sie zwar noch unentschieden ist, aber wohl beide Geschlechter liebt. Als sie sich gegenüber der Mutter outet, hätte ich dazu lachen sollen. Das gefiel mir nicht. Aber sonst werde ich von diesem Thema kaum tangiert.
Berlin ist eine der letzten großen Kinostädte. Wie steht es um die Zukunft des Kinos in Deutschland?
Ich liebe das Kino, könnte stundenlang in einem sitzen und würde eigentlich lieber für das Kino arbeiten als für das Fernsehen. Aber die ganzen Streaming-Kanäle werden wohl schon dazu führen, dass sich die Kinos leeren werden. Persönlich aber freue ich mich, dass einige sehenswerte Filme bald ins Kino kommen – und nur ins Kino. Ich glaube also an eine Zukunft des Kinos, und dabei will ich mitmachen und dazu beitragen.
«Faraway» wird ab 8. März auf Netflix zu sehen sein.
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©tachles
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3.März 2023