Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. März 2023, Teil 1
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - In seiner bereits fünf Jahrzehnte andauernden Karriere hat Regisseur Steven Spielberg einige der beliebtesten, abwechslungsreichsten und innovativsten Filme der Kinogeschichte geschaffen. Zu seinen Werken zählen Klassiker wie Der weiße Hai, E.T. – Der Außerirdische, Jäger des verlorenen Schatzes, Jurassic Park, Schindlers Liste und München. Doch ob es sich nun um schräge Fantasien über spektakuläre Phänomene oder um moralische Auseinandersetzungen mit der Weltgeschichte handelt, eines haben alle Spielberg-Filme gemeinsam: Er erzählt stets auch über sich selbst und seine Vergangenheit.
Nach West Side Story, seinem ersten Musical, kehrt der Regisseur nun mit einer anderen Erzählung über Jugendliche im Amerika in der Mitte des 20. Jahrhunderts zurück. Wie in West Side Story, geht es auch in DIE FABELMANS um Heranwachsende, die darum kämpfen, ihren Platz in der Welt zu finden. Spielberg erzählt eine Coming-of-Age-Saga aus seiner eigenen Kindheit, die Entstehungsgeschichte seines Lebens als Filmemacher.
„Die meisten meiner Filme spiegeln Dinge wider, die ich in meinen prägenden Jahren erlebt habe“, sagt Spielberg. „Jede Filmemacherin und jeder Filmemacher bannt Aspekte des eigenen Lebens auf Zelluloid, ob sie es nun wollen oder nicht. Das gilt auch dann, wenn sie gar kein eigenes Drehbuch verfilmen. Es passiert einfach. Aber bei DIE FABELMANS ging es nicht um Metaphern, sondern um Erinnerung.“
Es ist ein Film, so Spielberg, über den er schon seit langer Zeit nachgedacht hatte. Dennoch zog er das Projekt erst ernsthaft in Erwägung, als seine Beziehung zu Tony Kushner sich intensivierte – jenem Dramatiker und Drehbuchautor, der für seine Arbeiten einen Pulitzer- Preis, mehrere Tony- und Emmy-Awards sowie zwei Oscar®-Nominierungen erhielt. In 16 Jahren mit immer wiederkehrenden Interviews, ausführlichen Gesprächen und gemeinsamen Schreibsessions (die Spielberg nur halb im Scherz mit einer Therapie vergleicht) verwandelten Kushner und Spielberg die prägenden Erfahrungen aus Spielbergs Kindheit in die Geschichte von DIE FABELMANS.
„Ich hätte diesen Film nicht schreiben können, wenn ich nicht jemanden gehabt hätte, den ich wirklich sehr bewundere, liebe und respektiere und der mich sehr gut kennt. Und dieser Jemand war Tony Kushner“, so Spielberg. „Das Einzige, was zählte, war, dass ich mich jemandem gegenüber öffnen konnte. Es war mir wichtig, mein Innerstes nach außen zu tragen und mich dabei niemals peinlich berührt oder beschämt zu fühlen.“
Die Zusammenarbeit zwischen Kushner und Spielberg begann mit einem Knall – oder vielmehr mit dem Warten auf einen solchen. Es war eines späten Abends auf Malta im Herbst 2005. Die Crew von München war gerade dabei, ein Set mit Sprengstoff zu verkabeln, damit Spielberg es in die Luft jagen konnte. Da stellte Kushner Spielberg folgende Frage: Wann hast du beschlossen, Filmregisseur zu werden? Dabei ging es keineswegs nur um Smalltalk. Kushner, der Unheimliche Begegnung der dritten Art als einen seiner Lieblingsfilme nennt, fiel bei dieser ersten Zusammenarbeit quasi die Rolle des „Edel-Fans“ zu. In seinem hochgelobten, zweiteiligen Theaterstück Angels in America gibt es eine ebenso freche wie lustige Szene, in der die Hauptfigur einen Engel vom Himmel herabsteigen sieht und voller Ehrfurcht kommentiert: „Sehr Steven Spielberg.“
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Kushner ahnte damals nicht, wie persönlich seine Frage war und wohin Spielbergs Antwort führen würde. „Er sagte: ‚Ich verrate dir ein Geheimnis‘“ erinnert sich Kushner. „Und dann erzählte er mir die Geschichte, die den Kern von DIE FABELMANS bildet.“
Die Geschichte, die Spielberg an diesem Abend am Set von München erzählte, begann im Jahr 1952, als er im Alter von sechs Jahren Cecile B. DeMilles Die größte Schau der Welt im Fox Theater in Philadelphia sah. Dieses Erlebnis erfüllte ihn mit einer Begeisterung, die unweigerlich dazu führte, dass er selbst Filmemacher wurde. In Spielbergs Jugendjahren, als seine Leidenschaft für das Kino immer stärker wurde, kam es zu einer weiteren denkwürdigen Begegnung, dieses Mal mit John Ford. Der legendäre Regisseur der Filme Höllenfahrt nach Santa Fé, Der schwarze Falke und Der Mann der Liberty Valance erschoss brachte Spielbergs Karriere mit einem einfachen, aber profunden Rat und einem wichtigen Grundsatz auf den Weg.
Zwischendurch erzählte Spielberg Kushner von seinen Eltern: Arnold Spielberg, einem innovativen Computer-Pionier, und Leah Adler, einer talentierten Musikerin. Die Werte und Persönlichkeiten des brillanten Technikers und der leidenschaftlichen Künstlerin prägten den Charakter und die kreative Identität Spielbergs nachhaltig. Er schilderte außerdem, wie der Umzug der Familie Spielberg von New Jersey nach Arizona und Kalifornien dazu führte, dass seine Eltern sich immer mehr voneinander entfernten und sich letztendlich scheiden ließen. Der Schmerz und die Erkenntnisse, die sich aus bestimmten Enthüllungen ergaben, hatten einen bleibenden Einfluss auf Spielbergs Menschenbild und die Art, wie er Geschichten erzählt.
„In einem sehr jungen Alter geschah etwas mit mir, wovon in unserem Film erzählt wird. Ich hörte damals auf, meine Mutter als Elternteil zu sehen und begann, sie als Person zu begreifen“, sagt Spielberg. „Ich glaube, alle Kinder haben an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben diese Momente, in denen sie realisieren, dass ihre Eltern die ganze Zeit über ganz normale Menschen waren. Ich hatte diese Erleuchtung, als ich 16 Jahre alt war.“
Kushners erste Reaktion auf Spielbergs Bekenntnisse: „Das ist ja irre.“ Und die zweite: „Steven, du musst unbedingt einen Film daraus machen!“ Spielberg erwiderte, dass er schon hin und wieder darüber nachgedacht hatte.
Der Dialog am Set von München markierte den Grundstein für die Entwicklung von DIE FABELMANS – ein Projekt, das in den Pausen während der Arbeit an anderen Filmen über viele Jahre hinweg Gestalt annahm. Nach München verbrachten Spielberg und Kushner sieben Jahre damit, ihren zweiten gemeinsamen Film Lincoln auf die Leinwand zu bringen. Die beiden nutzten ihre Freizeit für weitere Gespräche über Spielbergs prägende Jahre, um Material für ein mögliches Drehbuch zu sammeln. Aus diesen Gesprächen ging sogar ein Treatment für einen anderen Film hervor, der sich auf Ereignisse bezog, die nach denen in DIE FABELMANS stattfanden. Allerdings legten sie dieses Projekt auf Eis und konzentrierten sich zunächst auf ihre dritte offizielle Zusammenarbeit: West Side Story. Nach einer weiteren Pause machten sie sich daran, Spielbergs früheste Erinnerungen für einen neuen Film zu analysieren.
Spielberg benötigt in der Regel keine langen Vorbereitungszeiten für seine Filme. Doch während der Vorproduktion zu West Side Story wurde ihm klar, dass seine Darstellerinnen und Darsteller mindestens zwei Monate brauchen würden, um die Songs und Choreografien zu lernen. Zudem standen Kushner und Spielberg unter Druck, da sie bei der Realisierung eines monumentalen Klassikers der amerikanischen Theater- und Kinogeschichte eine gemeinsame Linie finden mussten. Während die Schauspieler also an ihren Gesangs- und Tanzeinlagen feilten, wandten sich die beiden Freunde der Arbeit an DIE FABELMANS zu. „Es war wirklich schön, die Hektik rund um West Side Story für eine gewisse Zeit zu vergessen und auf eine wichtige, tiefgreifende Art und Weise wieder zusammenzufinden“, sagt Kushner.
Fortsetzung folgt.
Foto:
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Info:
Stab:
Regie Steven Spielberg
Drehbuch. Steven Spielberg, Tony Kushner
Darsteller
Sammy. GABRIEL LABELLE
Mitzi. MICHELLE WILLIAMS
Burt PAUL DANO
Bennie SETH ROGEN
Monica. CHLOE EAST
Reggie. JULIA BUTTERS
Logan. SAM RECHNER
Onkel Boris JUDD HIRSCH
Natalie. KEELEY KARSTEN
Junger Sammy. MATEO ZORYAN , FRANCIS-DEFORD