insideSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. März 2023, Teil 3

Redaktion

Hollywood (Weltexpresso) - Weil INSIDE-Regisseur Vasilis Katsoupis sich während seines Studiums intensiv mit den Visual Arts befasst hatte und ein umfassendes Wissen über zeitgenössische und klassische Kunst mitbrachte, hatte er eine ganz spezifische Vision, was er auf die Leinwand bringen wollte. Die Kunstsammlung überall im Penthouse spielt eine fundamentale Rolle im Narrativ. Katsoupis‘ Absicht war es, die Entwicklung der Beziehung des Protagonisten mit der Kunst innerhalb des goldenen Käfigs zu erforschen – und den Wert der einzelnen Kunstwerke, wenn man Hunger leidet.

Nemo selbst mag kein Künstler sein, aber er ist ein Mann mit einer Affinität für Kunst. „Durch diesen Prozess wird er angetrieben zu überleben, indem er Dinge herstellt“, erklärt Willem
Dafoe. „Manche davon sind praktischer Natur, und er macht Dinge, die ihm beim Überleben helfen. Andere Dinge helfen beim spirituellen Überleben. Sie geben ihm Hoffnung, andere
geben ihm etwas, das ihn manchmal auch amüsiert. In diesem Fall hat die Herstellung von Kunst, auch wenn er selbst kein Künstler ist, etwas mit Überleben zu tun.“

Das Kreativteam arbeitete bei der Zusammenstellung der Sammlung eng mit dem italienischen Kunstkurator Leonardo Bigazzi zusammen, ein Prozess, der der Kuratierung einer virtuellen
Ausstellung sehr ähnlich war. „Die Herausforderung, dies möglich zu machen, war gewaltig“, merkt Produzent Giorgos Karnavas an. „Es war ein Projekt innerhalb eines Projekts. Und wir
wussten, dass wir mit großem Ernst an die Sache gehen mussten, auf eine akademische Weise, um etwas ganz Besonderes, Spektakuläres zu erschaffen. Ich verschaffte mir einen
Überblick über den Markt und hielt Ausschau nach Beispielen aus der Vergangenheit, konnte aber nichts finden, was mit unserer Unternehmung vergleichbar gewesen wäre. Aber wie es
so oft der Fall ist, befand sich die Lösung direkt vor mir. Ich wusste es nur nicht. 2020 hatte ich mit Leonardo Bigazzi an einem wunderbaren Filmprojekt mit dem Titel Kala azar gearbeitet.
Ich wusste also um seine außerordentlichen Fähigkeiten und seinen Hintergrund. Ich hatte nur nicht erwartet, dass er uns so viel anbieten könnte. Er las das Drehbuch und meldete sich bei uns mit einem Vorschlag, der ungemein ambitioniert war. Er schlug vor, dass wir einige der führenden Künstler von heute auf der Welt ansprechen sollten und sie zu einem Bestandteil
der Kuratierung einer zusammenhängenden virtuellen Ausstellung werden zu lassen.“

Die Sammlung umfasst eine große Bandbreite verschiedenster Werke, darunter Gemälde, Skulpturen, Skizzen, Installationen und Videos. Sie erstreckt sich von figürlichen Gemälden über abstrakte Kunst hin zu konzeptionellen Arbeiten mit architektonischen Qualitäten. Die Kunstwerke in INSIDE befinden sich allesamt in Privatsammlungen und stammen nicht aus Museen, um die Idee zu unterstreichen, dass tatsächlich ein Sammler all diese Werke besitzen könnte.

Die Partnerschaft zwischen dem Regisseur und dem Kurator erwies sich umgehend als ungemein produktiv und einträglich. „Mit Katsoupis fand ich jemanden, der den Wert dessen
erkennen konnte, was ich da vorschlug – was ungemein wichtig war“, berichtet Bigazzi. „Ich musste durch ihn wirklich verstehen, was er mit den ausgesuchten Elementen und Kunstwerken erzielen wollte. Es war ganz besonders, dass uns beide schnell die Idee verband, dass es mehr darum ging, Arbeiten zu finden, die bestimmte Aspekte der Erzählung spiegelten und die Verletzlichkeit der Hauptfigur unterstützten. Also begannen wir einen Dialog, in dessen Verlauf ich unentwegt Bilder, Möglichkeiten und Ideen vorschlug.“ Der Ausgangspunkt für Bigazzi bestand darin, für sich zu bestimmen, wie die Sammlung nicht einfach nur den Charakter des ungesehenen Sammlers unterstützt, sondern vielmehr aufbaut.
Sie ist ein Ausdruck seiner Persönlichkeit und seiner Leidenschaft. „Ich habe begonnen, indem ich in Bildern dachte“, erzählt Leonardo Bigazzi. „Als ich von dem Unterschlupf las, musste ich sofort an Joanna Piotrowskas Fotoserie mit Zufluchtsorten denken, für die sie Freunde und Bekannte bat, aus ihrem Hab und Gut Refugien in ihren Wohnungen zu bauen.“
 
Wegen Katsoupis eigenem Kunsthintergrund hatte das Paar viel Spaß dabei, einen Verweis an die persönliche Verbindung des Regisseurs mit seiner mittlerweile verstorbenen  einflussreichen Professorin, der serbischen Künstlerin Breda Beban, in die Kulissen einzuarbeiten. „Vasilis hatte eine wirklich besondere Verbindung zu dieser Künstlerin, also wählten wir ein Foto von ihr aus, auf dem tatsächlich Vasilis und seine Freundin Teil des Bildes sind. Es gibt also einen kleinen versteckten Gastauftritt mit diesem Foto in der Küche.“

Während manche Werke, die im Film verwendet werden, ausgesucht und repliziert wurden, wurden andere speziell für den Film in Auftrag gegeben, darunter eine Zeichnung von  Francesco Clemente, Titel „After and Before“. „Die Künstler waren ungemein großzügig“, berichtet Bigazzi. „Ich muss sagen, dass 95 Prozent der angesprochenen Künstler sofort
zugesagt haben. Wir mussten natürlich den Zeitfaktor in Betracht ziehen. Die Arbeiten mussten rechtzeitig repliziert werden, und jeder Künstler geht an dieses Element auf eine andere Weise heran. Künstler wie Maurizio Cattelan beispielsweise schickten uns Arbeiten aus dem Studio, andere waren unmittelbare Kommissionen.“

Eines der umwerfenden, im Film verwendeten Werke, das direkt aus dem Studio des Künstlers kam, ist „The Moth Costume“ des kosovarischen Installationskünstlers Petrit Halilaj. Das Stück war ursprünglich 2017 für die Biennale in Venedig entwickelt worden. „Eine Motte ist ein Tier, das sich in der Struktur der Architektur eines Hauses versteckt und durch diese
Vorgehensweise einen Weg findet, um zu leben“, erklärt Leonardo Bigazzi. „Dass Nemo selbst in dem Haus gefangen ist, klingt in einigen der Werke an, in jedem allerdings auf gänzlich
andere, immer eigene Weise. Das konnte sich in der Idee ausdrücken, dass die Gesellschaft jemandem seinen Platz aufdrängt. Oder dass man sich davor schützt. Oder wie man sich
seinen eigenen Platz erschafft.“

Die Herausforderung bei dem Umgang mit den authentischen Stücken war allerdings, dass die Körperlichkeit der Geschichte bedeutete, dass die Produktion nicht garantieren konnte, die
Arbeiten nach dem Dreh in makelloser Form zurückzuschicken. „Wir mussten den Künstlern den Kontext vermitteln, in dem sie uns ihre Werke überreichten. Denn wir mussten im Rahmen
der Filmerzählung komplette Kontrolle über die Kunstwerke haben, wie sie aussehen würden, wie sie verwendet würden“, sagt Bigazzi. „Dahinter steckte die Idee, dass man einer anderen
Kunstform blindes Vertrauen schenken musste – von Gegenwartskunst zum Kino. Mit jedem Künstler hatte ich einen anderen Dialog. Und jedem von ihnen musste ich erklären, wie die
Arbeit präsentiert werden sollte, wie sie verwendet werden würde, und warum es nur dieses Werk sein konnte und kein anderes.“

„Du magst vielleicht etwas machen und eine gemeinsame Basis finden, aber es dann auch tatsächlich umzusetzen, das ist der Schlüssel“, meint Vasilis Katsoupis. „Das Gefühl der
Teilhabe, das wir mit unseren Künstlern hatten, und das klare Verständnis ihrerseits, warum es sich um ein wichtiges Projekt handelte, das umgesetzt werden musste, machte den
Unterschied aus.“

Willem Dafoe sagt, dass für ihn die große Mühewaltung und Aufmerksamkeit, die man der Kuratierung der Sammlung entgegenbrachte, eines von vielen Elementen war, das die Arbeit
an dem Film eine so große Freude sein ließ. „Das erdete die Geschichte“, findet er. „Man spürte gleich, dass die Leute, die an dem Film beteiligt waren, sich mit der Kunstwelt auskennen, und ich denke, dass Leonardo ausgezeichnete Arbeit geleistet hat.“

„Die Situation mag noch so bitter und verzweifelt sein, Nemo behandelt die Kunstwerke anders als ein Möbel oder einen Teller in der Küche – das ist die Idee“, berichtet Bigazzi. „Die Kunst hat selbstverständlich eine Greifbarkeit, aber hier verfolgen wir die Idee, dass er sie nur dann anrührt, wenn es keine Alternative gibt. Es mögen also ein paar Stücke im Rahmen der
schrecklichen Situation, mit der er sich auseinandersetzen muss, Schaden davontragen, aber hoffentlich kommt immer rüber, wie nah sie ihm steht, wie sorgfältig er mit ihr umgeht.“
Der Kurator sagt, dass Beobachtung und Selbstreflexion als Schlüsselthemen im Verlauf des Prozesses immer oberste Priorität genossen. Manche der abgebildeten menschlichen Figuren werden schließlich sogar zu Zeugen von Nemos Ringen. „Die Ikonographie mancher der figürlichen Gemälde bezieht sich direkt auf die körperlichen Züge unserer gepeinigten Figur, während andere wiederum auf seinen Zustand des Gefangenseins in einem von Menschen geschaffenen Ökosystem rekurrieren“, sagt Bigazzi. „Starke und ausdrucksstarke Bilder,
oftmals mit allegorischen Bedeutungen, amplifizieren das Grundgefühl des Unbehagens und der Aufhebung von Zeit und Raum. Spezifische abstrakte und konzeptionelle Arbeiten in der
Sammlung werden, mit einem subtilen Sinn für Ironie, zu Werkzeugen, die Nemo bei seinem Kampf ums Überleben im Penthouse unterstützen.“

Während INSIDE als künstlerisch fordernd gestaltet wurde, war es Katsoupis und Bigazzi doch auch immer ein Anliegen, dass der Film zugänglich ist für ein Publikum auf der ganzen Welt, ob man nun viel oder gar nichts über Kunst weiß. Über den Subtext, der sich wie ein roter Faden durch den Film zieht, sagt Bigazzi: „Sowohl ein ganz normales Kinopublikum wie auch Kunstkenner werden in der Lage sein, den Faden zu erkennen, der die Erlebnisse und den psychologischen Zustand unserer Hauptfigur mit den verschiedenen ästhetischen und
konzeptionellen Schichten der Sammlung verbindet.“

Und Katsoupis sagt über die Reise, die mit einem ersten Funken einer Idee in einer Wohnung in New York City entstand: „Diese Idee spukt mir seit 2010 im Kopf herum. Und ich denke,
dass diese Geschichte einen versteckten Einblick erlaubt, ein übergeordnetes philosophisches Konzept, das sich ganz direkt mit der Wahrnehmung einer Realität befasst, die wir alle in uns tragen, ganz tief in uns drin.“

Foto:

©Verleih

Info:
Inside, USA, 2022
Regie: Vasilis Katsoupis
Drehbuch: Ben Hopkins
Besetzung: Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck
105 Minuten   


Im Rahmen der Berlinale hatte unser Autor HWK den Film schon gesehen und in seinen Artikel aufgenommen. Die Redaktion
https://www.weltexpresso.de/index.php/kino/27604-ein-geplantes-kettensaegen-massaker_559