Corinne Elsesser
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nach dem geschickten Aushebeln der Sicherheitsanlage hat der professionelle Kunstdieb Nemo (Willem Dafoe) beim Betreten eines Apartments exakt sieben Minuten Zeit, um seinen Diebstahl auszuführen. Doch muss er noch etwas länger nach einem bestimmten Bild, einem Selbstportrait von Egon Schiele, suchen, das seinem Auftraggeber besonders wichtig ist, da dessen Verkauf allein eine Summe von 3 Mio. Dollar verspricht. Längst hat er seinen Stapel an Bildern bei der Eingangstür platziert und während er weiter nach dem Gemälde sucht, meldet sich die Alarmanlage - nicht nur mit dem üblichen spitzen durch Mark und Bein gehenden Warnton, sondern zusätzlich mit der ununterbrochenen Ansage eines Systemausfalls.
Die Eingangstür des "smart home" hat sich verriegelt und das elektronische Steuerungssystem reagiert nicht mehr. Zuerst einmal gilt es, den quälenden Warnton, der aus verschiedenen Lautsprechern tönt, abzuschalten. Als endlich Stille eingetreten ist, funktioniert auch alles andere nicht mehr - Wasser, Toilettenspülung, Fenster zum verglasten Wintergarten sind stillgelegt.
Umgeben von wertvollen Kunstwerken und Designmöbeln wartet Nemo in der Penthousewohnung eines New Yorker Wolkenkratzers zunächst noch auf Rettung. Doch seine Komplizen melden sich nicht. Jegliche Verbindung zur Aussenwelt scheint unterbrochen. Er wartet, er sucht und beginnt, auf die Hilfe selbst seiner ärgsten Widersacher zu hoffen, die Sicherheitsleute, die vielleicht etwas bemerkt haben, die Putzfrau, die vielleicht Zugang zur Wohnung hat, sogar eine vorzeitige Rückkehr des Hausherrn, eines nach Kasachstan verreisten Kunstsammlers, wünscht er herbei oder das Auftauchen der Polizei. Doch nichts passiert.
Nach und nach läuft alles auf das elementare Überleben hinaus und in dem Kammerstück mit einem Darsteller relativiert sich bald auch das Verstreichen der Zeit. Willem Dafoe vermag es, mit seiner Unruhe und Aktivität in diesem begrenzten Raum immer wieder die Aufmerksamkeit einzufangen und zugleich den physischen wie auch psychischen Verfall am eigenen Leib nachvollziehbar werden zu lassen. So löst das Auffinden von Wasser, ohne das der Mensch ja nur einige Tage überleben kann, nur für einen kurzen Moment ein Glücksgefühl aus, um sogleich wieder von einer alltäglichen Notwendigkeit überlagert zu werden, die wiederum ins Leere führt. Einer Taube, die gegen das Fenster des Wintergartens geflogen ist, muss er zusehen, wie sie sich nicht mehr erholt und schließlich verendet. Anstatt der eigenen Vergänglichkeit gewahr zu werden, beginnt er wie ein Besessener einen Turm aus Designmöbelstücken bis zur hohen Dachverglasung zu bauen, den er immer wieder ersteigt ohne je die Verglasung erreichen oder gar aufbrechen zu können. Er summt dabei ein Kinderlied, das ihm sein Grosßvater einst vorgesungen hatte: "I climb up the hill and go to heaven". Während sich in der perfekt durchtechnisierten Wohnung die elementaren Hinterlassenschaften eines natürlichen Wesens anhäufen, das sich darin wie ein gefangenes Tier im Kreis bewegt und nichts als Zerstörung und Abfall produziert, führt Regisseur Vasilis Katsoupis (My Friend Larry Gus, 2015) den Kipppunkt eines "smart home" vor Augen, an dem der Mensch kläglich scheitert.
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Info:
Inside, USA, 2022
Regie: Vasilis Katsoupis
Drehbuch: Ben Hopkins
Besetzung: Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck
105 Minuten