″Die Kunst der Stille″ als TV-Erstausstrahlung am Mittwoch 22. März 2023 bei ARTE
Margarete Ohly-Wüst
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Pantomime Marcel Marceau ist auch heute noch 15 Jahre nach seinem Tod als tragisch komischer Clown Bip bekannt, der mit weiß geschminktem Gesicht, im Ringelhemd und mit zerbeultem Zylinder und einer roten Blume auftrat. Marceau, der eigentlich Marcel Mangel hieß, stammt aus einem jüdischen Elternhaus. Sein Vater Karl (Kalman) Mangel war ein jüdischer Metzger, Vorbeter und Sänger, der aus Polen nach Frankreich eingewandert ist. Seine Mutter Anna Werzberg stammt aus der Ukraine. Er selbst wurde am 22. März 1923 in Straßburg geboren und starb am 22. September 2007.
Marcel Marceau hat seinen französischen Namen während seiner Zeit im Widerstand angenommen, dem er sich 1942 anschloss. Sein Vater Charles Mangel besaß in Straßburg eine koschere Metzgerei und war kulturell interessiert. Er wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und ist dort umgekommen. Marceau hat zusammen mit seinem Cousin Georges Loinger mehr als 300 jüdische Kinder über die Grenze in die Schweiz geschmuggelt. Dabei hat er - beeinflusst durch Buster Keaton und Charlie Chaplin - den Kindern durch Gesten und Mimen beigebracht, in Gefahrensituationen nicht zu sprechen.
Nach dem Krieg hat er daraus eine Kunstform entwickelt, mit der er weltweit sehr erfolgreich war. Er trat auch relativ bald wieder in Deutschland auf – vor allem durch seine Verbindung zum amerikanischen General George Smith Patton Jr., dessen Verbindungsmann er durch seine guten Englischkenntnisse nach dem Krieg war und der Marceau gebeten hat, auch vor den amerikanischen Truppen in Deutschland aufzutreten. Seine Tochter meint, dass Marceau zwar darüber nachgedacht habe, ob er in Deutschland auf Henker seines Vaters treffen könnte, aber er glaubte immer an die Kraft des Humors, an das Lachen, an die Stille seiner Kunst, die auch die härtesten Herzen berühren konnte.
Marcel Marceau selbst hat in seiner Pariser Schule bis kurz vor seinem Tod nach wie vor Meisterkurse abgehalten. Seine Erben - seine dritte Frau Anne Sicco, seine beiden Töchter Camille und Aurélia Marceau sowie sein Enkel Louis Chevalier - führen seine Tradition auch heute noch fort…
″Der Pantomime Marcel Marceau″ ist ein Dokumentarfilm von 2019, der unter dem Titel "Die Kunst der Stille" im Mai 2022 in die deutschen Kinos gekommen ist. Regisseur ist Maurizius Staerkle Drux, der auch selbst das Drehbuch geschrieben hat. In seiner Dokumentation spürt der Regisseur dem Vermächtnis Marceaus nach. Er konnte für seinen Film exklusives Archivmaterial auch von der Familie Marceau verwenden und schaut mit einem persönlichen Blick auf den Mimen. Kurz wird auch gezeigt, dass Staerkle Drux ganz persönliche Gründe hat, sich mit dem Mimen und seiner Arbeit auseinander zu setzten: Sein Vater Christoph Staerkle ist gehörlos und hat durch die Pantomime für sich ein Sprachrohr gefunden.
In dem Film werden zwar immer wieder Aufnahmen von Auftritten Marceaus und auch Interviews gezeigt, aber eigentlich geht es vor allem um sein Vermächtnis. In dem Film kommen immer wieder Mitglieder seiner Familie zu Wort. So seine dritte Frau, die Regisseurin, Dramaturgin und Theaterpädagogin Anne Sicco, die ein Kulturzentrum betreibt, in dem sie Aufführungen und Hommagen veranstaltet und dadurch die Erinnerung an Marcel Marceau und seine Kunst wach hält und für das heutige Publikum erlebbar macht.
In dieser Dokumentation erzählen auch Anne Sicco, ihre beiden Töchter Aurélia und Camille Marceau und ihr Enkel Louis Chevalier über ihr Verhältnis zu Marcel Marceau. Louis Chevalier, der beim Tod seines Großvaters erst fünf Jahre alt war, tritt zwar auch im Kulturzentrum seiner Großmutter als Pantomime auf, aber er studiert vor allem Tanz in Toulouse und ist dankbar, dass er einen anderen Nachnamen hat, so dass er nicht immer mit seinem Großvater verglichen wird.
Allerdings stellt der Regisseur die Lebenswege von Großvater und Enkel nebeneinander, indem er Archivmaterial und aktuelle Szenen ineinander übergehen lässt und er beide ähnliche Bewegungen ausführen lässt. Dabei geht Marcel Marceaus Pantomime fließend in den Tanz von Louis Chevalier und umgekehrt über, dadurch verwischen sich die Grenzen zwischen Erinnerung und Gegenwart.
Neben den Interviews mit den Nachfahren Marceaus sind auch die Gespräche mit Marceaus Cousin Georges Loinger und dessen Sohn Daniel spannend, denn Georges Loinger, der mit Marcel Marceau zusammen die jüdischen Kinder in die Schweiz geschmuggelt hat, war zum Zeitpunkt des Interviews schon weit über 100 Jahre alt, war geistig fit und körperlich rüstig und er konnte sich immer noch an die gemeinsamen Erlebnisse erinnern. Er ist im Dezember 2018 mit 108 Jahren verstorben.
Maurizius Staerkle Drux zeigt auch Rob Mermin, der 1969 ein Schüler Marceaus war und der als Clown, Schauspieler und Zauberer durch die Welt getourt ist. Da er selbst an Parkinson erkrankt ist, hat er mit dem Parkinson-Pantomime-Projekt (PD Mime) Methoden des Trainings spezifischer motorischer Fähigkeiten erarbeitet, die von den Techniken der Pantomime und des Zirkus übernommen wurden, um die Symptome von Parkinson zu lindern. Er bietet heute erfolgreich Kurse zur Pantomime als Bewegungsübungen für Parkinson Patienten an.
Insgesamt ist "Der Pantomime Marcel Marceau - Die Kunst der Stille " eine spannende Fernseh-Dokumentation, in dem tolle Archivaufnahmen mit dem Vermächtnis der Verwandten Marceaus und seiner Schüler verwoben werden.
ARTE zeigt diese anrührende und poetische Dokumentation zu Marcel Marceaus 100. Geburtstag als gekürzte Voice-Over Fassung. Sie stellt nicht nur die Kunst Marcel Marceaus vor, sondern zeigt auch, wie die Pantomime als Kunstform dabei helfen kann, Unsagbares auszudrücken und Kraft zu schöpfen und wie sein Erbe auch heute noch in ganz verschiedenen Formen weiterlebt. Dies macht die Dokumentation auch zu Hause und zu späterer Stunde auf jeden Fall sehenswert.
″Ein Mime muss sich ausdrücken wie ein Gehörloser″ (Marcel Marceau)
Foto 1: Marcel Marceau ist der wohl berühmteste Pantomime der Welt. © W-film / Les Films du Prieuré / ARTE
Foto 2: Aurélia Marceau, die Tochter von Marcel Marceau, in einem Theaterstück über das Leben ihres Vaters - eine Hommage an den wohl berühmtesten Pantomimen der Welt. © W-film / Raphael Beinder (Beauvoir Films) / ARTE
Foto 3: Daniel (li.) und Georges Loinger (re.), Neffe und Cousin von Marcel Marceau: Die Cousins schmuggelten zusammen jüdische Kinder über die Grenze in die Schweiz. © W-film / Raphael Beinder (Beauvoir Films) / ARTE
Der Pantomime Marcel Marceau - Die Kunst der Stille (Schweiz, Deutschland 2021)
Originaltitel: L'art du silence
Genre: Dokumentarfilm, Marcel Marceau
Filmlänge: Fernstehfassung: 52 Min, Kinofassung: ca. 82 Min.
Regie und Drehbuch: Maurizius Staerkle Drux
Protagonisten; Marcel Marceau, Anne Sicco, Camille Marceau, Aurélia Marceau, Louis Chevalier, Rob Mermin, Georges Loinger, Daniel Loinger, Christoph Staerkle u.a.
FSK: ab 0 Jahren
″Der Pantomime Marcel Marceau - Die Kunst der Stille″ wird zum 100. Geburtstag von Marcel Marceau am 22.03.2023 um 22:10 Uhr bei ARTE gezeigt. Die Dokumentation kann vom 21.03.2023 bis zum 28.03.2023 in der ARTE Mediathek abgerufen werden.