pariserSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. März 2023, Teil 5

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Wie kam es zur Auswahl der Darsteller?

Die große Schwierigkeit dieses Films besteht darin, dass er auf den Schultern von zwei Schauspielern ruht, die in jeder Szene präsent sind. Der Film wäre also ohne zwei  außergewöhnliche Schauspieler nicht möglich, und es dauerte lange, ein Paar zu finden, das so selbstverständlich harmoniert. Als ich an Sandrine Kiberlain gegenüber von Vincent Macaigne dachte, mit dem ich für „Les Choses qu‘on dit, les Choses qu‘on fait“ (2020) zusammengearbeitet habe, hat es Klick gemacht. Beide haben eine große Fantasie, die für Komik sorgt und dem Film einen Ton verleiht, der gleichzeitig lustig und ernst, leicht, sentimental, aufrichtig und tiefgründig ist, ohne dabei schwerfällig zu sein. Ich mochte auch den Kontrast zwischen den Energien der beiden Schauspieler. Sandrine hat eine Lebendigkeit, eine Frische, eine einzigartige Geschwindigkeit, die sich von Vincent unterscheidet, der runder und weicher ist. Die positive Überraschung war, dass die Chemie zwischen ihnen von der ersten Minute an gestimmt hat.

Für die Rolle der Louise brauchte ich eine Schauspielerin, die gleichzeitig die Zurückhaltung als auch die Kühnheit einer Frau vermittelt, die sich auf dieses sexuelle Abenteuer einlässt. Ich bin glücklich, Georgia Scalliet kennengelernt zu haben. Sie war Mitglied der Comédie-Française und verfügt über viel Erfahrung im Theater. Ich finde sie in dieser Rolle besonders bewegend.


Wie war die Arbeit mit den Schauspielern?


TAGEBUCH EINER PARISER AFFÄRE lebt von der schauspielerischen Leistung, die das Team und mich am Drehort stark beeindruckt hat. Sandrine und Vincent bereiteten sich sehr früh auf den Film vor. Sie mussten den Text von Grund auf auswendig kennen, damit wir die Dialoge einfach filmen konnten. Die Herausforderung bestand für mich darin, ihre Arbeit zu erfassen und sie so flüssig und wenig eingeübt wie möglich darzustellen. Ich wollte kein Kammerspiel, sondern ganz im Gegenteil einen sehr luftigen und weiten Film. Er sollte etwas von der Bewegung von Gefühlen und Wünschen wiedergeben, die Größe ihres Abenteuers vermitteln. Ich habe sehr wenig Schuss-Gegenschuss-Montage verwendet, damit man nicht Gefahr läuft, sich zu wiederholen und zu langweilen. Die Idee war, dass der Film nie wirklich stillsteht, also mussten meine Schauspieler immer in Bewegung sein. Ich entschied mich für Plansequenzen mit vielen Bewegungen. Das mache ich sehr gerne. Folglich war meine Regie fast schon kinetisch, man sieht die Schauspieler fast nie sitzen. Ich wollte, dass das Auge des Zuschauers ständig versucht, sie zu erfassen. Wir haben viel mit dem Bildrahmen gespielt, mit dem Auftauchen und Verschwinden von Personen, mit Off-Frames, Gegenlichtaufnahmen, Aufnahmen der Figuren von hinten usw.


Sie entscheiden sich einige Male für Kamerafahrten, die die wiederkehrenden Gefühle der Figuren spürbar machen...

Das ist der Punkt, an dem die Erzählung durch die Kamerabewegungen und die Musik entscheidet, etwas mehr darüber preiszugeben, was die Figuren innerlich fühlen. Manchmal ist der Erzähler dem Zuschauer einen kleinen Schritt voraus, was das Geschehen angeht. Manchmal ist man im Nachteil, man ist zu spät dran und muss aufholen, was man nicht gesehen hat. Ich mag es, wenn ein Film mich dazu zwingt, aufmerksam zu sein. Man muss dafür sorgen, dass die Aufmerksamkeit des Zuschauers gehalten werden kann und er Lust hat, sich zu konzentrieren, um der Geschichte zu folgen. Die Herausforderung bei meiner Inszenierung besteht darin, das Gleichgewicht zu finden zwischen dem, was man verbirgt, und dem, was man enthüllt. Die Aufmerksamkeit und Vorstellungskraft des Zuschauers soll durchgehend gefordert sein.


Es gibt zum Beispiel eine Sequenz, in der Charlotte von hinten zu sehen ist und man die Emotionen spürt, die sie überkommen, ohne dass man ihr Gesicht sieht...

Das ist es, was Kino eigentlich bedeutet. Dinge zu verbergen ermöglicht in manchen Fällen mehr zu sagen, als wenn man sie zeigen würde. Es gibt dem Zuschauer die Möglichkeit, seine eigene Intimität der des Films anzugleichen. Warum sind Dialoge so filmisch? Weil sie die Vorstellungskraft des Zuschauers anregen, so wie beim Lesen eines Buches. Man ist gezwungen sich vorzustellen, was erzählt wird, und stellt sich selbst Fragen: Sagt der Sprecher die Wahrheit? Meint er wirklich, was er sagt? Verheimlicht er etwas? Dann sucht man in den  Gesichtern nach einer Antwort. Die Augen der Figuren werden zu einem Bildschirm, auf dem man versucht, die geheimsten Gedanken abzulesen. Manchmal ist ein „Ich liebe dich“ im Off viel stärker, als wenn es vor der Kamera ausgesprochen wird. Die Idee ist daher, die Gesichter der Schauspieler häufig zu verbergen, damit man sie sehen möchte. Die Inszenierung ist darauf ausgelegt, dass der Zuschauer nach einer Bestätigung, einer Übereinstimmung oder einer Diskrepanz zwischen den Dialogen und den Gesichtern sucht. Ich wollte nur wenige Nahaufnahmen, damit man in diesem Zustand der Erwartung gehalten wird.


Woher kommt Ihre Vorliebe für Gegenlichtaufnahmen?


Man braucht Abwechslung in den Blickwinkeln, in den Entfernungen, in den Kulissen, in den Stimmungen. Was ich am Gegenlicht schön finde ist, dass man die Gesichter nicht sieht, sondern nur die Silhouetten. Es ist eine Einladung für das Auge, nach einer Haltung oder einer kleinen Geste zu suchen, denn alles wird dadurch ausdrucksstark. Einen Film zu machen heißt immer mit der Erwartungshaltung des Zuschauers zu spielen. Man darf ihm also nicht alles geben, wenn man ihm seine Rolle als Detektiv lassen will. Das ist es, was ich als Zuschauer vom Kino erwarte.


Die Schauplätze des Films finden ein feines Gleichgewicht zwischen Natur und Kultur. Wie haben Sie die Drehorte ausgewählt?

Es ging mir vor allem darum, dass sie abwechslungsreich und weitläufig genug sind, damit sie eine große Rolle spielen können. Ich wollte dieser Geschichte zwischen zwei Personen viel Raum geben, weshalb ich mich für die Verwendung von „Cinemascope“ und weiten Einstellungen entschieden habe, egal ob man sich in einem Museum oder in der Natur befindet, egal ob es sich um eine Dialogszene handelt oder nicht. Ich wollte das Gegenteil eines intimen Films machen. Diese Verbindung sollte ein großes Abenteuer sein. Ich spielte also mit der Wahl von Museen und Kulissen. Ich habe mit natürlichen Schauplätzen gearbeitet, die diesen spektakulären Eindruck erzeugen konnten.


Die Bilder des Films sind sehr frühlingshaft. Wie haben Sie mit dem Licht und den Farben der Jahreszeit gearbeitet?


Die künstlerische Ausrichtung des Films wurde sehr frühzeitig durchdacht. Das ist der Vorteil, wenn man seit langer Zeit mit demselben Team zusammenarbeitet: Laurent Desmet, mein Chefkameramann, David Faivre, mein Chefdekorateur, Bénédicte Mouret, meine Kostümbildnerin. Ebenso das Tonteam sowie Martial Salomon, mein Schnittmeister. Wir verlängern von Film zu Film einen ununterbrochenen Dialog und alle bereiten den Film gemeinsam vor, niemand arbeitet alleine für sich.


Nach welchem Prinzip haben Sie die Musik für den Film ausgewählt?

Die Auswahl der Musik war oft zufällig – abgesehen von Ravi Shankar, der schon im Drehbuch stand. Es war Pierres Idee und sie gefiel mir, denn ich bin mit Eltern aufgewachsen, die seine Musik gehört haben. Was La Javanaise betrifft, das war die Idee meines Schnittmeisters, der sich von einem Interview inspirieren ließ, in dem ich den Titel erwähnt hatte. Das Thema gefiel uns beiden. Die Verwendung von Mozart entstand ebenfalls zufällig. Ich hörte während der Dreharbeiten seine Sonaten nach dem Aufwachen und ich hatte das Gefühl, dass sie eine
Art Echo für den Film darstellen. Das Schöne an dieser Mozartschen Leichtigkeit ist, dass sie auch tiefgründig ist. Ich mag die Tatsache, dass seine Sonaten sentimental sind, ohne es zu verraten. Sie sind süß, ohne sirupartig zu sein, und verleihen den Gefühlen der Figuren eine noch größere Subtilität.

Foto:
©Verleih

Info:
Tagebuch einer Pariser Affäre (Frankreich 2022)
Originaltitel: Chronique d'une liaison passagère
Genre: Tragikomödie, Romanze, Komödie
Filmlänge: 100 Min.
Regie: Emmanuel Mouret
Drehbuch: Emmanuel Mouret, Pierre Giraud
Darsteller: Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne, Georgia Scalliet, Maxence Tual, Stéphane Mercoyrol u.a.
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 23.03.2023


Abdruck aus dem Presseheft