Download 1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. März 2023, Teil  10                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    
Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Nein, wir lassen uns jetzt nicht auf den historischen Seneca ein (unten eine Zusammenfassung) , sondern nehmen John Malkovich als seine heutige Figur ernst, denn daß dies kein historischer Schinken ist, ergibt sich schnell und Sinn hat das Ganze nur, wenn man das Heute in den historischen Hintergrund von Rom im Jahre 65 n. Chr. einfließen läßt, als Seneca Lehrer und Mentor des jungen größenwahnsinnigen Nero (Tom Xander) war, der von inneren Dämonen verfolgt, andere Menschen mit ihrem Tod dafür büßen läßt. Auch Seneca, was wir im Film verfolgen.


Lange kann und darf Seneca bei Neros Machtspielen mitspielen. Er, dessen Verbannungsjahre hinter ihm liegen, ist schon damals ein berühmter Philosoph, dessen philosophische Richtung, die Stoa, die angesagte der Zeit ist, dernach der Mensch auf Aufgeregtheiten verzichtet soll, stattdessen Gelassenheit walten lassen soll. Er wurde von Neros Mutter Agrippina (Mary-Louise Parker) ausgesucht, um den Kaisersohn aufzuziehen und ihn die für die kaiserlichen Aufgaben zu rüsten. Das allerdings, was Nero später dann beschließt,den Selbstmord Neros, hatte dieser nicht intendiert.

Mit illustren Gästen begleiten wir Seneca auf seinen Landsitz, wo mit Literatur und Philosophie als ständigen Gästen eine gespenstische Veranstaltung abläuft, in der man, wenn man will, einige Kulturveranstaltung und Partys der Neuzeit erkennen kann, dekadent auf jeden Fall. Hier ist wichtig, jedes Wort zu verfolgen, Spitzfindigkeiten auszukosten, Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung auszumachen. Die Aufführung seines Stückes THYESTES spiegelt die Brutalität des verbrecherischen Neros, aber auch, daß es ohne ihn, ohne Seneca, noch viel schlimmer wäre. Allein Lucia (Geraldine Chaplin) aus dem römischen Hochadel nennt ihn Parvenü und gibt ihm Paroli.

Was einen überrascht, ist, daß der deutsche Regisseur des eindringlichen Films DER HAUPTMANN, dessen Sein mit Hilfe eines Anzugs im Zweiten Weltkrieg Thema ist, einen derartigen Stoff in Angriff nimmt und dabei eine doch sehr ungewöhnliche Darstellerriege vereint. Das Gemeinsame wäre Machtausübung, die an ihre Grenzen stößt und Konsequenzen nach sich zieht. Als Figur ist dieser Seneca unehrlich, ja lächerlich in seiner Aufgeblasenheit und selbstverliebt in seine Rhetorik. Als Mensch vollzieht er des Diktators Willen, will sich umbringen, daß allerdings aus den von ihm geöffneten Adern kein Blut fließen will, ist eine fiese Drehbuchidee.


Foto:
©Verleih


Info:
Land / Jahr Deutschland, Marokko 2023
Länge 112 Minuten
FSK Ab 16 Jahren
Kinostart 23. März 2023
Regie Robert Schwentke
Drehbuch Robert Schwentke, Matthew Wilder
Konzeption „Thyestes“ Ersan Mondtag
Kamera Benoît Debie

Besetzung
John Malkovich (Seneca)
Tom Xander (Nero)
Geraldine Chaplin (Lucia)
Louis Hofmann (Lucilius)
Lilith Stangenberg (Paulina)
Samuel Finzi (Statius)
Mary-Louise Parker (Neros Mutter Agrippina)
Andrew Koji (Felix)
Julian Sands (Rufus)
Alexander Fehling (Decimus)
Wolfram Koch (Fabius)
Annika Meier (Cecilia)
Samia Chancrin (Balbina)

DER HISTORISCHE SENECA

Lucius Annaeus Seneca wurde in der Frühzeit unserer Zeitrechnung als Sohn eines Rhetors in Corduba im heutigen Spanien geboren. Schon in jungen Jahren kam er nach Rom, wo er in allen Bereichen der Philosophie und Wissenschaft ausgebildet wurde. Nach Abschluss seiner Ausbildung trat er in die Politik ein und bekleidete später hohe Ämter. Unter Kaiser Claudius wurde er für mehrere Jahre nach Korsika verbannt, weil Claudius' Frau, Kaiserin Messalina, ihre Cousine Livilla als mögliche Rivalin um die Gunst des Kaisers und die Thronfolge ausschalten wollte.

Livilla beschuldigte sie deshalb des Ehebruchs mit Seneca. Daraufhin wurde Seneca verbannt, Livilla wurde getötet. Schließlich wurde er von Kaiserin Agrippina, der späteren Frau von Kaiser Claudius, begnadigt und als Erzieher für den damals 12-jährigen Nero eingesetzt. Als Nero im Alter von 16 Jahren Kaiser wurde, blieb Seneca als Berater an seiner Seite. Seneca war ein beliebter Schriftsteller und Verfechter der stoischen Philosophie, zu deren Prinzipien Selbstbeherrschung und Gelassenheit gehörten. Bei seiner Philosophie ging es nicht um die Schaffung eines neuen intellektuellen Systems, sondern vielmehr um die Anwendung der stoischen Lehre entsprechend der jeweiligen Situation und den Notwendigkeiten des Lebens.

Obwohl er in seinen Schriften zu Verzicht und Mäßigung riet, war Seneca einer der reichsten und mächtigsten Männer seiner Zeit. Sein politisches Handeln stand zum Teil im Widerspruch zu den ethischen Grundsätzen, die er sonst vertrat, was bereits von seinen Zeitgenossen kritisiert wurde. Seneca versuchte, Kaiser Nero von einer milden und verantwortungsvollen Führung zu überzeugen, hatte aber keinen dauerhaften Erfolg. Kaiser Nero sicherte seine Macht, indem er seinen Stiefbruder Britannicus und seine Mutter Agrippina tötete und damit seinen despotischen Machtanspruch weiter ausbaute. Seneca behielt seine Stellung am Hof, vielleicht um Schlimmeres zu verhindern, vielleicht auch nur, um seine eigene Macht und seinen Einfluss zu erhalten.

Im Jahr 62 zog sich Seneca aus der Politik zurück und arbeitete weiter an seinen philosophischen Schriften. Als Seneca bei Nero in Ungnade fiel, beschuldigte Nero ihn absichtlich und fälschlich, an der Pisonischen Verschwörung – einem geplanten Mordkomplott gegen Kaiser Nero – beteiligt gewesen zu sein, was dazu führte, dass Seneca sich im Jahr 65 auf Neros Befehl hin umbrachte.

Abdruck aus dem Presseheft