Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - 2010 und 2011 war ich voll eingestiegen mit dem BBC-Sherlock und hatte auch Rezensionen geschrieben. Damals hatte ich infolge des 150. Geburtags des am 22. Mail 1859 in Edinburgh geborenen, also schottischen Arthur Conan Doyle vieles wiedergelesen, auch eine Biographie über ihn, der ja nicht nur durch Sherlock Holmes sogar die Filmwelt bereichert, sondern auch Professor Challenger erfunden hatte, und mir einige der Sherlock-Verfilmungen angeschaut, auch die in Amerika spielenden, und war dann voll abgefahren, anders kann man das nicht bezeichnen, auf diese BBC-Serie, die ich funkelnd, spritzig, intelligent und rasend schnell fand. Wann blieb ich auf der Strecke?
Also vor allem die Moriaty-Folgen, die sehe ich bildlich noch heute vor mir. Doch die Serie ging ja weiter und ich weiß einfach nicht, wann ich nicht mehr nachkam. Deshalb freute ich mich über die Gesamtausgabe der Staffeln 1-4 und fand es bei diesem regnerischen trüben Wetter die richtige Zeit, um die gesamte Staffel von vorne zu sehen, schon um zu wissen, wo mein Leck steckt.
Bin ich froh, daß ich mich drauf einließ, denn jetzt weiß ich erst richtig, warum die im TV ausgestrahlten Staffeln dringend in Ruhe angeschaut werden sollten! Ich habe bei der gesamten Staffel 1 immer wieder angehalten, habe zurückgespult, manchmal sogar zweimal und bin endlich, endlich voll im Bild. Das können wahrscheinlich nur die verstehen, die beim Zuschauen den Faden verloren hatten oder denen die Details nicht wichtig sind. Denn verstehen kann man immer alles, wenn am Schluß doch alles aufgeklärt wird. Doch, wenn man die blitzschnellen Analysen, die Benedict Cumberbatch so sprudelnd wie messerscharf und intellektuell fordernd runterrasselt, wirklich in vollem Umfang aufnehmen und nachvollziehen will, dann wird einem der Knopf an der Fernbedienung, der stoppt und kurz zurückspult zum Zweitenmalhören, ein allerliebster. Ja, ich lerne diese Funktion erst jetzt richtig schätzen, denn ansonsten nutze ich die Taste nicht, die allermeisten Filme brauchen das Innehalten und Rückspulen nicht. Der SHERLOCK von Cumberbatch schon! Und was mir bei der ersten Staffel auch auffiel: mein Gott, wie jung war er damals! Das fällt bei Freeman irgendwie nicht so auf, daß er altert, aber beim Darsteller des Sherlock schon.
Nein, wir können nicht alle Filme jetzt noch einmal besprechen, aber doch die Inhalte konzentriert kapitulieren. Persönlich gefällt mir von der ersten Staffel EIN FALL VON PINK am besten, aber schon während ich das schreibe, denke ich an die unglaubliche Aufklärung, die Sherlock im dritten Film DAS GROßE SPIEL gelingt und was als Folge den Tod eines Kindes verhindert. Da gibt es in einer Galerie ein bisher unbekanntes Werk eines bekannten Malers, von dem Sherlock instinktiv weiß, daß es eine Fälschung ist. Nur kann dies niemand verifizieren, weil technisch alles auf ein altes Gemälde hinweist, die Farben, die Leinwand, der Stil. Aber in letzter Sekunde entdeckt Sherlock den Fehler des Fälschers. Er hatte eine Supernova ins Bild gemalt, die aber schon im 17. Jahrhundert auftrat und nichts in einem zeitgenössischen Gemälde des 18./19. Jahrhunderts zu suchen hat. Supernova? Ja, schon wieder erweist sich diese Blu-ray als segensreich. Gegenüber dem Weiterhasten beim Anschauen eines Films, sei es im Kino oder TV. Anhalten. Nein, diesmal nicht zurückspulen, sondern anhalten und inzwischen sich um die Supernova kümmern. Daß dies ein Stern ist, der vor seinem Verglühen noch einmal aufleuchtet, ist viel zu harmlos ausgedrückt. Denn dieser Stern kann seine Leuchtkraft milliardenfach potenzieren, wird also so hell, daß die Menschen dies am Himmel deutlich sehen, was aber nur kurze Zeit anhält, bis dieser Stern durch eine Explosion verschwindet, sich selbst vernichtet, also weg ist. Sowieso ein irrer Vorgang, wenn man es recht bedenkt. Aber, wenn man dann nachliest, daß die letzte, richtige Supernova 1604 von Kepler verfolgt wurde, kann man Sherlocks Wissen nur noch bewundern. Doch, doch, auch danach gab es noch Supernovas, aber sie wurden nie mehr so genau registriert .
Zu dem Extra der erste Staffel
Zum einen der Pilotfilm, den man zu kennen glaubt, weil es der zum Fall Pink ist. Der Pilotfilm, der also den ersten Film abbildet, gefiel der BBC so gut, daß gleich drei Filme bestellt wurden - heute die Staffel 1. Hier wird ausführllich über die Funktion von Pilotfilmen gesprochen, das ist einem asonsten nicht so gegenwärtig. Und auch darüber, daß es einfacher ist, alles noch einmal zu drehen, als Teile aus dem Pilotfilm zu übernehmen. Das ist dann witzig, wenn man in Einzelszenen die beiden Fassungen hintereinander sieht. Mit Absicht wurde die Moderne in Form von gewagter und gewaltiger Architektur, Rolltreppen über Rolltreppen in die Filme integriert, um die Gegenwart zu betonen, denn natürlich sind für die Leser und die Zuschauer der alten Filme die Figuren Holmes und Watson erst einmal altertümlich. auch die Wohngemeinschaft der beiden, die Holmes aus Geldgründen eingeht, wird interessant, wenn man die Unterschiede zwischen den Fassungen sieht. Es ist nämlcih an unterschiedlichen Orten gedreht worden, worüber sich die beiden Hauptdarsteller auslassen, eben auch der eine Produzent, der im Film Mycroft spielt, den älteren Bruder von Sherlock. Er klassifiziert eine Wohnsituation der beiden Protagonisten so, daß es eben vorkomme, daß im Magarinebecher ein abgetrennter Finger aufbewahrt wird, es sind eben zwei Individuen, wo sich im gemeinsamen Wohnbereich alles als Sherlock ausbreitet, 'wie Schimmel überzieht', sagt der Produzent.
Auch Einiges zur Musik hört man, die da sein muß, ohne daß man sie merkt. Dabei wurden vorher elektronische Passagen aufgezeichnet, aber alles änderte sich beim echten Spielen, wo es über die Noten hianusging. Die Musik spricht für sich selbst, sagen die Musiker selber dazu. Und bei der Titelmelodie, die sich nach so vielen Fällen ja sowieso einprägt, sagen das auch die Zuschauer. Das Wichtigste allerdings ist die Aktualisierung der Fälle, die ja dann, wenn es sich um so bekannte Werke wie DIE HUNDE VON BASKERVILLE dreht, einem schwierig vorkommen. Wie lange original, wo abändern?
Dann aber geht es um das Entstehen der Idee, dieser so extraordinär gestalteten Serie: WIE DER MODERNE SHERLOCK entstand. Davon berichten die beiden Produzenten, von denen der eine im Film erzählt, die Holmesfilme aus den 1930 und -40er Jahren seien einfach witziger gewesen als die späteren. Ach was, das hatte ich vergessen, daß im Original Doktor Watson auch aus Afghanistan zurückkommt, doch schreibt er jetzt nicht mehr Tagebuch, sondern einen Blog. Die Drehbuchschreiber machten sich auf die Suche nach den Detials, die man verändern kann, die Fälle unserer heutigen Zeit anzupassen. Immer spannend ist es, die Filmaufnahmen von den Filmaufnahmen zu sehen, im Wechsel also fertige Leinwand und den Dreh. Man merkt den beiden Produzenten an, welchen Spaß sie bei der Konzeption hatten und auch bei der Auswahl des Sherlock mit Benedict Cumberbatch. Es gab nämlich keine. Keine Auswahl, wohl schon Probeaufnahmen. Aber nur von Cumberbatch wurden überhaupt welche gemacht. Er war der ideale Interpret. Für alle. Das überzeugte auch ihn!
Die Besetzung von Watson dauerte viel länger. Stimmte dann aber auf Anhieb. Die Prozenten und Freeman sprechen von der Chemie, die stimmte. Wie soll man das auch ausdrücken, was auch der Zuschauer so empfindet, daß die jeweiligen Rollen perfekt passen. Der unangepaßte hochintelligente, aber auch gestörte und immer wieder grausam, Menschen durch sein Verhalten und seine Worte verletzendende Sherlock Holmes und der eher durchschnittliche, aber konsequent am Ball bleibende Watson. Treu, aber nicht unterwürfig und oft ein Korrektiv.
Interessant, daß also ein Produzent selber mitspielt und zwar den undurchsichtigen älteren Bruder von Sherlock, der in wichtiger politischer Funktion irgendwie undurchschaubar ist, von Sherlock abgelehnt wird, aber immer wieder in unterschiedlichen Funktionen und Schauplätzen auftaucht. Er kann sich mit Watson, als dem Vernünftigen, besser verständigen.
Freeman sagt, Sherlock ist phänomeal, kann aber menschlich vieles nicht einordnen, weshalb Watson sein moralischer Kompaß wird. Das macht auch Freeman Spaß. Eine große Rolle spielen auch die Drehorte außerhalb von London, wie Cardiff, wo der Drehbuchschreiber eines Gebäudes nun das Gebäude besichtigt, was zum Dreh ausgewählt wurde und verblüfft ist, wie sehr es dem entspricht, was er sich doch nur ausgedacht hatte. Die Wirklichkeit folgt der Fiktion.
Jim Moryati ist schon aufgetaucht. Beim ersten Sehen wurde er mir die interessanteste Figur. Aber bis jetzt, bis zu Baskerville ist er Nebensache. Im nächsten Film kommt er. mit Macht. Demnächst also geht es weiter.
Staffel 1 (2010)
Ein Fall von Pink • Der blinde Banker • Das große Spiel
Staffel 2 (2012)
Ein Skandal in Belgravia • Die Hunde von Baskerville • Der Reichenbachfall
Staffel 3 (2014)
Der leere Sarg • Im Zeichen der Drei • Sein letzter Schwur
Spezial-Episode (2016)
Die Braut des Grauens
Staffel 4 (2017)
Die sechs Thatchers • Der lügende Detektiv • Das letzte Problem
Fotos:
Umschlagabbildungen
Info:
Sherlock (Komplette Serie) (Blu-ray)
10 Blu-ray Discs
- Großbritannien, 2010-2017
- FSK ab 12 freigegeben
- Bestellnummer: 11071481
- Erscheinungstermin: 2.12.2022
- Serie: Sherlock
- Genre: Krimi, Serie
Spieldauer: 1170 Min. - Regie: Toby Haynes, Euros Lyn, Paul McGuigan
- Darsteller: Benedict Cumberbatch, Martin Freeman, Mark Gatiss
- Sprache: Deutsch, Englisch
- Tonformat: DTS-HD 5.1
- Bild: Widescreen
- Untertitel: Deutsch, Englisch