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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. März 2023, Teil 6

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) – SISI ALS FILMFIGUR: Ich wusste von Anfang an, ich würde nicht den zehnten Film über die Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn drehen. Es ging mir darum in diesen Figuren, die im 19. Jahrhundert lebten, etwas zu finden, das jetzt, im Heute etwas mit mir macht. Eine Geschichte über die uralte, aristotelische Frage zu erzählen: Was ist Freundschaft? Und warum werden Freundschaften geschlossen? Aus Sympathie? Aus Liebe? Aus Berechnung? Und was passiert, wenn die Machtverhältnisse nicht ausgeglichen sind?



SISIS MENTALER ZUSTAND

Meine Kaiserin ist von Ruhelosigkeit und Rastlosigkeit getrieben. Ihre Stimmung ändert sich manchmal in Sekundenschnelle. Und sie ist ständig auf Reisen, sowohl geistigals auch physisch. Das macht Sisi für Irma interessant. Es wird nie langweilig mit ihr.


DIE PSYCHE

Historisch hat man Kaiserin Elisabeth gerne als depressiv und „borderline“ bezeichnet. Eine Frau, die schwierig ist, muss natürlich – laut diesen Darstellungen – krank sein. Das ist eine langweilige und männliche Sichtweise. In meinem Film ist Sisi mitreißend, aber auch manipulativ, rücksichtslos und sehr schnell im Kopf. Das ist manchmal
schrecklich und oft komisch und mir sympathisch.


IRMA

Als ich anfing über Sisi als Figur nachzudenken, lebte ich gerade in Amerika und es ging in dieser Zeit stark um das Thema des Missbrauchs und um den Begriff des groomings. Die Neverland-Doku über Michael Jackson war gerade rausgekommen. In meinem Film wird die erfundene Geschichte von Gräfin Irma erzählt, die dem größten Popstar ihrer Zeit nahekommen darf. Die nach und nach in den Sog der Kaiserin gerät, die ihr mal Nähe zugesteht und sie dann wieder brutal wegstößt. Irma entwickelt eine schicksalhafte Obsession.


FREUNDSCHAFT ODER LIEBE

Zwischen Sisi und Irma herrschen ungleiche Machtverhältnisse, denn eine ist die mächtigste Frau ihrer Zeit und die andere ihre Hofdame. Es entsteht eine Nähe die, obwohl sie beiden Frauen auf unterschiedlichste Arten von Nutzen ist, dann ganz unausweichlich in die Tragödie führen muss.


GUT UND BÖSE
Wir lernen Irma gleich zu Anfang als eine Frau mittleren Alters kennen, die von ihrer Mutter geschlagen wird. Diese gewalttätige Beziehung zeigt sich im Verlauf des Films auch auf verbaler Ebene. Irma trifft Sisi, die, wie wir viel später erst lernen, ihrerseits von ihrem Mann, Kaiser Franz Joseph, mehrfach körperlich angegangen wird, aber auch von ihrer Mutter erniedrigt und gegängelt wird. Sisi wiederum quält Irma, aber auch andere ihr unterstellte Menschen. Was all dies auch mit Liebe zu tun hat? Ich mag deutsche Märchen nicht, die ja davon ausgehen, dass es lediglich Gut und Böse gibt. Beim japanischen Filmemacher Hayao Miyazaki haben vermeintlich gute Charaktere dunkle Seiten und vermeintlich böse Charaktere dürfen gut sein. Das ist wesentlich interessanter.

CASTING
Die Rolle der Irma war von vornherein für Sandra Hüller geschrieben. Sie ist eine Schauspielerin, die wie keine andere in ihrer Generation Schrecken und Traurigkeit mit Humor verbinden und mit einer unglaublichen Selbstironie spielen kann. Daneben kam als Kaiserin nur eine Schauspielerin wie Susanne Wolff in Frage. Sie hat eine unfassbare Präsenz, die sofort spürbar ist, wenn sie in den Raum kommt. Außerdem werden in Filmen mit zwei Frauen als Hauptcharakteren oft ähnliche Frauentypen besetzt. Sandra und Susanne sind wie Tag und Nacht. Man muss sich entscheiden, wo man lieber hinsehen möchte. Ausruhen kann sich das Auge nicht.

MODE

Wenn ich Frauen in kräuseligen, weiten Rüschenröcken sehe, kann ich sie nicht ernstnehmen. Zusammen mit Kostümbildnerin Tanja Hausner haben wir Kleider entwickelt, die moderne Frauen erzählen. Keine viktorianischen, raumfüllenden, riesigen Roben. Keine Korsetts. Hosen. Kleider, in denen man sich bewegen kann, rastlos sein, oder sich ohne Probleme hinsetzen kann. Zum Beispiel, wie es öfters in meinem Film passiert, auf den Fußboden. In denen man unbeschwert reiten und wandern kann und die sich eher an den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts orientieren. Historischer Realismus war mir dabei egal.


MUSIK IM FILM

Jeder meiner bisherigen Filme fing irgendwann einmal damit an, dass ich einen Song höre und dann weiß ich genau, wie der Film sein wird, sehe Bilder, Szenen vor mir. Bei meinen letzten Filmen habe ich diese Songs aber nicht im Film selbst verwendet, sondern sie nur während des Drehs mit Kopfhörer gehört. Bei SISI & ICH haben wir die Songs in das Drehbuch hineingeschrieben. In der Hoffnung, dass es – trotz der Zeit, in der der Film spielt – im Zusammenspiel mit den eher modernen Kostümen und dem rauen 16mm-Film-Look funktionieren würde, sie wirklich zu verwenden. Als der Editor dann „Wandering Star“ von Portishead zu den Bildern der ersten Szenen im Film angelegt hatte, wusste ich, dass es genau so sein muss. Fast alle Songs im Film sind Lieblingsstücke von mir. Essenziell bei der Auswahl war nur, dass allein Stimmen von Frauen im Film zu hören sein sollten. Seltsamerweise war „Wandering Star“ das erste Stück, das beim Schreiben feststand. Seltsam, weil ich Portishead in den 90er Jahren, als der Song rauskam, blöd fand, zu kommerziell, wir nannten das damals Werbermusik. Als ich gerade anfing über die Sisi-Idee nachzudenken, hörte ich ihn zufällig im Radio und sah sofort Irma, die Beziehung zu ihrer Mutter und zu Sisi, die erste Szene vor mir, Irmas Entwicklung im Film.

Andere Songs kommen von dem von mir sehr geliebten ÉlLabel. Ich wollte eigentlich immer ein Musical mit dieser Musik machen, von den „Would-Be-Goods“, zum Beispiel. Und dann habe ich mir gewünscht, neben bekannten Stücken auch etwas aus meiner Berlin-Zeit der 90er zu verwenden, Bands, die man vielleicht vergessen hat, wie die „Poptarts“. Und die japanische Girl-Punk-Band „Seagull Screaming Kiss Her Kiss Her”.

Es gibt einen Auftritt der von mir sehr verehrten Sängerin Nico, bei dem sie auf der Bühne eine Puderdose von Chanel in der Hand hält und in den Spiegel singt, anstatt ins Publikum. Bei der Schminkszene am Ende meines Films, in der man Sisi mehrfach in verschiedenen Spiegeln gespiegelt sieht, erinnerte Sisi mich an Nico. Und so kam es zu dem Stück. Alle Songs im Film sind Lieblingsstücke von mir. Essenziell bei der Auswahl war nur, dass allein Stimmen von Frauen im Film zu hören sein sollten.


DAS ENDE

Wenn man ein Drehbuch schreibt, entwickeln die Figuren darin ihre ganz eigene Logik. Es ist egal, ob sie mal real existierende Figuren waren, oder erfundene, fiktionale Charaktere sind. Und in dieser filmeigenen Logik musste sich die Figur der Irma in SISI & ICH einfach genau in diese Richtung entwickeln und so enden, wie sie es im Film tut. Da gab es gar keine andere Möglichkeit.

Fortsetzung folgt

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Info:
Stab

Regie Frauke Finsterwalder
Drehbuch Frauke Finsterwalder, Christian Kracht

Besetzung
Irma Gräfin von Sztáray Sandra Hüller
Elisabeth von Österreich-Ungarn Susanne Wolff
Graf von Berzeviczy Stefan Kurt
Erzherzog Viktor von Österreich Georg Friedrich
Fritzi Sophie Hutter
Marie Maresi Riegner
Gräfin Festetics Johanna Wokalek

Abdruck aus dem Presseheft