Tagebuch zum Berliner off-off-Filmfestival „achtung berlin“, 3. Teil

 

Hanswerner Kruse

 

Berlin (Weltexpresso) - Gestern Abend. Eine Zeitreise mit Andreas Dresen und seinen „Nachtgestalten“ (1999) durch das nächtliche Berlin am Ende der neunziger Jahre: Mit dem jungen, immer streitenden Obdachlosenpärchen, einer Punkerbande, dem gutgläubigen Freier aus der Uckermark und der ausgebufften Fixerin, dem ängstlichen Geschäftsmann und dem kleinen Senegalesen.

 

Mit dabei war auch der junge Axel Prahl als Polizist, bevor er als Schauspieler und Kommissar Karriere machte. Alle gehen recht cool miteinander um und doch entstehen immer wieder bewegende Momente von Nähe und Zuneigung, die aber schnell wieder durch groteske Situationen oder Bilder gebrochen werden.

 

Ein blaustichiger, mit der Handkamera gedrehter around midnight film, den ich vor 15 Jahren sehr trist und dramatisch erlebte, frühe „Berliner Schule“ eben. Jetzt fand ich ihn äußerst komisch und dennoch sehr berührend, ebenso ging es der anwesenden, damaligen Darstellerin des obdachlosen Mädchens. Den Film, mit dem Dresen erfolgreich wurde, gibt es im Winter endlich auf DVD.

 

Ein paar Jahre früher spielt Joseph Orrs „oben – unten“ (1994), unser Foto; das einstige Ostberlin ist eine Großbaustelle, überall wird gebaggert, betoniert und aufgebaut. Aber noch ist alles ziemlich heruntergekommen und sehr, sehr „ostig“. Auch das Leben der Menschen ist eine Baustelle, sie scheitern und werkeln an ihren sozialen Beziehungen oder der großen Liebe. Eine Bauleiterin begegnet dem Literaturfreak, in seinem kruschigen Verlagsbüro steht schon emblematisch eine riesige Betonmischmaschine. Ein Hauch von Brigitte Reimann, der verfemten, früh gestorbenen DDR-Schriftstellerin, durchweht diesen Film, in dem es, bei aller Melancholie über den Verlust des Alten, auch Hoffnung und viel zu lachen gibt. Fünf Jahre nach dem Mauerfall zeichnet der Streifen - damals waren die Filme ja noch Filmstreifen - ein bizarres Bild des Umbruchs, als „nun zusammen wachsen musste, was zusammen gehört“, wie Willy Brandt es damals verkündete.

 

Das waren zwei großartige Filme, die in der Festivalreihe „Berlin im Film der Neunziger Jahre“ liefen, einer Retrospektive, die sich die Gründer des Festivals zum zehnjährigen Geburtstag gewünscht und kuratiert hatten. Diese 16 ausgesuchten Streifen wären wohl auf dem Festival gelaufen, wenn es „achtung berlin“ in den neunziger Jahren schon gegeben hätte. „Nachgestalten“ oder „Das Leben ist eine Baustelle“ (1997 mit Jürgen Vogel), der in den nächsten Tagen gezeigt wird, waren erfolgreich. Doch die meisten dieser Übergangsfilme hatten damals keine Chance, bundesweit in die Kinos zu kommen, nun erleben sie ihre Wiedergeburt.

 

Nach dem eher holprigen Beginn des Filmfestes bin ich schnell versöhnt mit „achtung berlin“.