Tagebuch zum Berliner off-off-Filmfestival „achtung berlin“, Teil 4
Hanswerner Kruse
Na, es geht doch, spannende Themen sind da und gute „junge Filme“ möglich! Nach dem Eröffnungsfilm am Mittwoch sah ich gestern Abend zwei weitere Wettbewerbsfilme, das großartige „Familien-Fieber“ von Nico Sommer und das ziemlich fade „Willkommen im Club“ von Andreas Schimmelbusch.
In nur sieben Drehtagen machte der wirklich noch sehr junge Nico Sommer (21 Jahre steht im Filmheft von „achtung berlin“) keinen YouTube Clip - sondern einen rundherum professionellen Spielfilm mit einer irren Geschichte: Uwe ist ein zu dicker Loser, ein Motzkopf, den seine Tochter nicht ernst nimmt und dessen Frau ihn betrügt. Die Tochter will ihren Eltern die Eltern ihres Freundes vorstellen und ihre Schwangerschaft gestehen. Im Berliner Umland residiert diese Familie des Freundes in einem restaurierten Schloss und bald stellt sich heraus - sein Vater ist der Liebhaber ihrer Mutter…
Sommer hat aus dem Stoff keine Sozialschmonzette gemacht, sondern eine makabre und komische Geschichte. Zwar werden die wirklich tragischen Situationen vom Premierenpublikum weggelacht, aber die Filmmenschen gehen mir immer noch im Kopf herum. Es ist schon beeindruckend, was Sommer - der, im geistigen Sinne, Urenkel von Claude Chabrol, dem französischen Filmemacher und Kritiker der Bourgeoisie - uns zeigt. Im letzten Jahr präsentierte er bereits den in Berlin sehr erfolgreichen Film „Silvi“, der im Rahmenprogramm der Berlinale lief.
Ansonsten ist es ein Genuss, mal wieder einen Film von 80 Minuten Länge zu sehen, der beweist, dass diese endlosen Schinken (mit Grauen erinnere ich mich an „Blau ist eine warme Farbe“) nicht sein müssen.
Andreas Schimmelbach nimmt sich für seine Geschichte in „Willkommen im Club“ ähnlich wenig Zeit wie Sommer, 86 Minuten, aber für seine Interpretation des bizarren Themas hätte sogar ein Kurzfilm gereicht: Eine Frau geht in ein altes Berliner Hotel für Selbstmörder, um dort zu sterben. Aber nachdem sie Victor, den Mann vom Zimmerservice und eine Flasche Rotwein vernascht hat, sind ihre suizidalen Gedanken verflogen. Brav besucht sie zwar immer noch ihre Selbsthilfe-zum-Freitod-Gruppe, lebt aber nun mit Retter Victor zusammen…
Das alles hat man nach einer Viertelstunde begriffen, dann schleppt sich die Geschichte eine Stunde lang mit manierierten Dialogen und vielen Spiegeln (wie bei Rainer Werner Fassbinder) und endlosen Zeitschleifen (wie bei Alain Resnais) dahin. Der Zuschauer wird zum Ethnologen und versucht, die Menschen aus ihren Handlungen zu entschlüsseln, was nicht so recht gelingt. Ansonsten möchte man, bei den trüben dunklen Farben und langen Einstellungen, am Ende selbst auf suizidale Fantasien kommen. Zum Glück kann man das Kino aber vorzeitig verlassen…