Tagebuch zum Berliner off-off-Filmfestival „achtung berlin“, Teil 5

 

Hanswerner Kruse

 

Berlin (Weltexpresso) - Kino zwischen Illusion und Leben - aber keine Angst, am Wochenende habe ich viele Berlin-Filme gesehen, jedoch werde ich sie hier nicht alle besprechen. Berlin ist selbst ein großes Kino, mit dem 29er-Bus fahre ich durch Kreuzberg.

 

Am Oranienplatz hält der Bus besonders lange und ich kann die schwarze Flüchtlingsfrau bewundern, die dort, bewacht von Dutzenden Polizisten, auf ihrem Baum hockt / „Ich gehe Mehringdamm“, verkündet eine Jugendliche kinoreif im Bus / In der U-Bahn zum Festival fängt es plötzlich entsetzlich an zu stinken, ein mächtig heruntergekommener Obdachloser schlurft in extremer Zeitlupe durch das Abteil. Beim nächsten Halt des Zuges erreicht er den Ausgang und erbricht sich, vor seinem Ausstieg, heftig neben der Tür. So hält sich noch ein paar Stationen lang der Geruch dieses Zombies in der U-Bahn.

 

Das Babylon 3 ist voll mit Kids, zweimal schaue ich auf meine Karte, ob ich auch im richtigen Film bin und staune sehr, dass die jungen Leute tatsächlich Thomas Arslan sehen wollen. Der gehört zu den Begründern der „Berliner Schule und seine Filme gelten nicht gerade als aufregend. Aber in „Geschwister“ (1997) spielen türkische Jugendliche in Kreuzberg sich selbst als Geschwister. Was also wie eine Dokumentation daherkommt, ist ein interessanter Spielfilm, der erste Teil von Arslans Berlin-Trilogie. Die Kids finden ihn gut und meinen, das alles sei heute immer noch „voll so.“

 

Der „Kontrolleur“ (1994) ist ebenso wie Arslans Film auch auf 35mm zu sehen, die Bilder flimmern, der Projektor rattert, die Bilder und das Kino versetzen uns in die Berliner Wendezeit. Der langjährige Volkspolizist Hoffstedt geht auch einige Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR täglich in seine verfallene Grenzkontrollstelle und versieht dort seinen Dienst. Nach allerlei absurden Vorkommnissen läuft er eines Tages Amok. Ein sehr surrealer Film, der im Unbestimmten bleibt und keine Botschaften verkündet oder die Verhältnisse geißelt.

 

Art Girls“ (2013) beginnt im Café neben dem Festivalkino - als die verwirrende Filmhandlung ihren Höhepunkt erreicht, fällt der Fernsehturm auf dem nahen Alexanderplatz um: Menschenschreie, Sirenen, laute Rufe dringen durch die Notausgänge des Kinos – aber die Katastrophe kommt aus den Lautsprecher, die dort hängen. Wie in diesem Film, der den Einfluss der Kunst auf die Realität behauptet, schwinden auch um mich herum die Grenzen zwischen Kino und Wirklichkeit.

 

Erwähnt werden muss hier noch einer der besten Filme des Festivals: „Die Frau hinter der Wand“ (2013). Ein junger Student kommt nach Berlin und findet eine seltsame Wohnung, die ihm eine attraktive Künstlerin vermietet. Es beginnt eine dunkle Reise in die Abgründe des Lebens und der Lust, die blutig endet. Polanski und Hitchcock lassen zwar grüßen, aber wie wohltuend hebt sich dieses, vom ZDF mit produzierte Werk, doch von den drögen „Tatorten“ und anderen Fernsehkrimis ab.

 

Klaus Lemke gab’s auch noch, aber darüber schreibe ich morgen.

 

Foto: Hanswerner Kruse (links) und Regisseur Thomas Arslan