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LICHTER FILMFEST FRANKFURT INTERNATIONAL, 18. bis 23. April,  Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Schon erstaunlich, daß dies ein Debütfilm ist, auf jeden Fall einer, der mittenhinein in unsere Identitätsdebatte führt, wobei man das, das heißt die Diskussionen alle mal vergessen sollte und einfach dem Schicksal, dem Leben und der Person vom achtjährigen  Aitor( Sofía Otero) zuschauen sollte, die, da ihn ein Mädchen verkörpert, dafür auf der diesjährigen BERLINALE den Preis für die beste darstellerische Leistung erhielt. 


Allerhand für den erste Film der baskischen Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren ist. Lange weiß man bei dieser spanischen Familie nicht so richtig, was los ist, wo die Geschichte langgeht, da werden einfach auf den ersten Blick zu viele Probleme zwischen den einzelnen Familienmitgliedern angesprochen.

Zwar gehen Vater und Mutter Ane (Patricia López Arnaiz) zivil miteinander um, aber man merkt beim Bekümmern um die drei Kinder Spitzen, die zwischen den Eheleuten blitzen. Alles dreht sich um Aitor, den Achtjährigen, der in der Schule nur Schwierigkeiten macht und hat, weshalb die Eltern in die Sprechstunde kommen müssen und der Sohn nicht mit auf Klassenfahrt darf. Daß er überhaupt nie Freunde mit nach Hause brachte, das nehmen die Eltern erst gegen Schluß des Films wahr. Wenn es zu spät ist? Nein. Schon noch rechtzeitig.

Die Mutter fährt mit den drei Kindern im Zug ins Baskenland, in ihr Elternhaus, das die Mutter bewohnt. Der Vater war Künstler, Bildhauer mit Spezialverfahren des Gießens in Wachsformen, die so ähnlich funktionieren wie die Modeln beim Backen. Interessant: Daß er gerne schöne junge Frauen modellierte, Sulphiden genannt nach den schlanken gedrehten Schönen im Jugendstil, nimmt die Tochter weniger dem toten Vater übel, als der Mutter, die den Treulosen nicht verlassen hatte. Die Mutter sitzt in dem schönen alten Haus mit den großen Garagen, die als Werkstätten benutzt wurden, was jetzt die Tochter in großem Stil fortsetzt. Sie hat sich nämlich um eine Kunst-Professur im benachbarten französischen Bayonne beworben und soll Arbeiten einreichen, die sie gefertigt hat. Das ist für sie, die die ganze Zeit Kinder erzieht und kaum zur künstlerischen Arbeit kommt, nicht möglich, deshalb schickt sie die Figuren des Vaters ein – und wird genommen! Doch das erfahren wir erst ganz am Schluß und da ist die Lage so eskaliert, daß Ane die zugesagte Stelle nicht antreten will. Schade, denkt man und hoffentlich: doch; denn daß es immer wieder die Frauen sind, die beruflich zurückstecken, wollen wir dann ja auch nicht, sicher auch nicht die Drehbuchschreiberin und Regisseurin.

Im ersten Teil des über zweistündigen Films kommt Thema auf Thema, so ganz weiß man nicht, wohin die Reise geht, denn es gäbe sowohl einen Mutter-Tochter-Konflikt , der sich lohnt, die Eheleute hatten wir schon und dann lernen wir mit der Tante, die Aitor und die Bienen – ein Thema und ein Film für sich: toll! - betreut, eine derart handfeste, lebenserfahrene Frau kennen, der wir noch lange zugehört und zugeschaut hätten. Doch ab der Hälfte geht es jetzt nur noch um Aitor, der sich verbittet, so genannt zu werden. Der Ausgang aus der Geschlechtermisere schien der Name Coco, der dem Jungen aber doch nicht recht ist. Dabei ist es gar nicht der Name, um den es geht, der ist ja nur der Stellvertreter für das Eigentliche: das männliche Geschlecht. Denn er ist einfach kein Junge und schon lange hätten wir eigentlich „sie“ schreiben müssen, vor allem, weil Aitor, Coco, von einem Mädchen dargestellt wird. Gottseidank, dachten wir, denn einem Mädchen kann man die Problematik, daß ein Junge sich wie ein Mädchen fühlt, auch eines sein will, viel besser erklären als einem Jungen, der mit seinem Jugensein kein Problem hat. Also, Coco lebt auf, wenn sie Kleider anziehen darf und sie wird nachgerade glücklich, als sie für sich in einer katholischen Kirche das Schicksal der Heiligen Lucia hört, nach der sie jetzt nur noch heißen will: Lucia.

Jetzt kommt es zum familiären Konflikt, wobei die Mutter die Dringlichkeit, ihres Kindes ein Mädchen sein zu wollen, endlich versteht und voll akzeptiert. Als beim Familienfest sie ihr ein Kleid anzieht, ist Lucia glücklich, hält das aber nicht durch und erscheint bei der Feier dann doch wieder in Hosen.

Und dann ist sie verschwunden. Dramaturgisch die einzige Lösung. Und es ist auch klar, daß die Kleine nicht in den Tod geht. Sie hat sich versteckt und die ganze Familienmeute sucht sie, laut durch Wald und Gebüsch AITOR rufend. Doch als ihr Bruder laut LUCIA schreit und auch die Mutter nur noch nach LUCIA ruft, zudem der Vater sagt, ihm sei ganz egal, wie sein Kind heiße und welchen Geschlechts es ein wolle, wenn sie bloß wieder auftauche, weiß der Zuschauer alle auf dem richtigen Wege und dann tritt Lucia auch aus dem Gebüsch.

Zwar ist die Welt damit nicht in Ordnung, aber es wird geordnet weitergehen.

Für das Thema geschlechtlicher Identität, inwieweit sie angeboren oder erworben wird oder überhaupt fehlt, gilt, daß man es sowohl modisch nennen kann, wie auch, daß es höchst notwendig gesellschaftlich zu bearbeiten ist. Wenn man vom Filmschluß aus zurückblickt, wird diese schwierige Thematik dann doch wieder irgendwie leichtfüssig behandelt.

Schon wieder gab es einen Familienfilm auf der diesjährigen BERLINALE. Schon wieder eine Familie, die bei aller Problematik und geschichtlichen Aufarbeitung, die Erwachsene, wenn sie ins Elternhaus zurückkommen, als wieder Kind Gewordene leisten müssen, dann doch zusammensteht und nicht auseinanderbricht. Schon wieder ein Film, der uns auffordert, Zeichen bei Menschen zu erkennen und sie ernst zu nehmen. Schon wieder ein Film, der weiß, daß mit dem Miteinanderreden der Anfang gemacht ist. Nur der Anfang. Aber immerhin.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Regie Estibaliz Urresola Solaguren
Buch Estibaliz Urresola Solaguren
Kamera Gina Ferrer García


Darsteller
Sofía Otero (Lucía)
Patricia López Arnaiz (Ane)
Ane Gabarain (Lourdes)
Itziar Lazkano (Lita)
Sara Cózar (Leire)
Martxelo Rubio (Gorka

Am 23. April Eldorado, Frankfurt, 20.15 Uhr