Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - DIie ersten Bilder: Es geht in dem Film um etwas, was in vielen Ländern ein richtiges Genre ist, nämlich der Sommerfilm: Junge Menschen, die losfahren und irgendwo den Sommer gemeinsam verbringen. Im amerikanischen Kino sind das oft Horrorfilme: Eine unbekannte Gegend, eine Abkürzung, ein Haus im Wald, und dann beginnt der Horror. Im französischen Kino sind die Sommerfilme mit jungen Menschen oft so etwas wie „Lehrjahre des Gefühls“: Man ist am Strand, die Klassen durchmischen sich, die Leute werden erwachsen.
Und weil die Deutschen gerne träumen, wollte ich diesen Sommerfilm aus Deutschland in der Tradition der deutschen romantischen Träume beginnen: Der Wald, der Halbschlaf, die Musik, zwei junge Männer fahren im Auto und treiben dahin. Sie sind Drifter. Mit diesem Anfang ist noch nichts festgelegt. Das einzige, was festgelegt ist: Das ist Kino.
Auch für die jungen Protagonisten in Ihrem Film ist noch nichts festgelegt.
Die Idee für diesen Film ist entstanden in der Zeit des ersten Corona-Lockdowns. Die Schulen wurden geschlossen, die Kindergärten, die Spielplätze, man durfte seine Freunde nicht treffen. Den jungen Leuten wurde ihr Lebensraum genommen. Ich habe mich gefragt, warum diese Einschränkungen zuerst die Kinder und die jungen Menschen treffen. Warum konzentriert sich das so auf den Spaß, die Jugend, die Leidenschaften? In dieser Zeit habe ich selber mit Covid im Bett gelegen und viele dieser französischen und amerikanischen Sommerfilme gesehen. Das sind Filme, wo gezeigt wird, wie man in der Ausnahmesituation der Ferien, der Nicht-Kontrolle jemand wird. Im französischen und amerikanischen Kino sind diese Sommermonate für die jungen Menschen eine Welt, in der sie aus sich selber heraus, aus der Begegnung mit der Welt jemand werden müssen. Es geht um den letzten Sommer, bevor man ins Erwachsenenalter eintritt, der letzte Sommer der Unbeschwertheit. Und gleichzeitig ist er vielleicht so etwas wie
der letzte Sommer für alle, weil die Wälder brennen. Das war das Grundrauschen für diesen Film,
für die Beschäftigung mit diesem Film.
DAS HAUS IM WALDE
Wir haben lange nach diesem Haus gesucht, ein altes Forsthaus verborgen irgendwo im Wald. Solche Häuser haben etwas Märchenhaftes. Und das Märchenhafte ist nicht, dass die Menschen das Haus entdecken, sondern dass das Haus die Menschen erwartet. Wenn Leon und Felix zum Haus kommen, haben wir nur kurz eine Totale. Mit der nächsten Einstellung springen wir schon ins Haus und sehen, von innen gefilmt, wie sie die Tür aufmachen. Wir hören, dass das Haus eigene Geräusche hat. Wir hören eine Waschmaschine. Dieses Haus ist nicht unschuldig. Das Haus erwartet sie.
Die Arbeit in der Vorbereitung, mit K.D. Gruber, dem Szenenbildner, oder Hans Fromm, dem Kameramann, ist immer extrem wichtig. Wir haben die ganzen Innenräume gebaut, die Wände und die Fenster. Dieses Haus musste das Haus von Eltern sein, die es vor 15, 20 Jahren eingerichtet haben, es muss davon erzählen, dass die Menschen, die es
bewohnt haben, gerne dort waren. Und gleichzeitig musste dieses Haus mit seinen Türen, Fenstern und Achsen so konzipiert sein, dass man Menschen betrachten und selber dabei unbeobachtet bleiben kann – das ist lange Leons Perspektive.
Das Haus ist auf allen Seiten umgeben von Wald.
Es war wichtig, dass das Haus inmitten einer Lichtung steht. Auf dem Weg zum Haus ist Leon allein im Wald, er hat Angst. Und die Angst ist das Verlassensein. Leon arbeitet an seinem zweiten Roman. Er weiß nicht, wer er ist, wer er sein kann. Er ist im Wald verloren, und er ist in sich selbst verloren. Und dieses Haus inmitten der Lichtung ist ein geschützter Ort, es ist umgeben von einer Mauer aus Bäumen. Wenn Leon später zum ersten Mal die junge Frau sieht, den Eindringling, ist die ganz für sich, sie pfeift ein Lied und hängt die Wäsche auf. Für sie ist die Lichtung ein Ort der Freiheit, der Unbeschwertheit. Ihn sieht man nie irgendwas machen. Er hängt keine Wäsche auf, er kocht nicht, er geht nicht im Meer schwimmen. Er will der Welt abhanden kommen. Für ihn ist die Lichtung eine Festung.
DIE BEGEGNUNG
Wenn die beiden zum ersten Mal zusammen kommen, ist der Leon geladen. Aber sein Auftritt geht schief. Er braucht lange, bis er zum Küchenfenster kommt, wo er sie in ihrem roten Kleid arbeiten sieht. Und dann steht er da unten auf der Wiese und muss zu ihr hochschauen. Das ganze Gespräch ist im Grunde genommen komisch, ein komisches
Scheitern. Er wird von Nadja in ihrer Freundlichkeit und gleichzeitig auch mit einer kleinen Gemeinheit ein bisschen vorgeführt.
Wie bewusst haben Sie mit dem komischen Potential solcher Szenen gearbeitet?
Das habe ich anfangs vielleicht fast unbewusst gemacht, zum Beispiel, als wir die Orte und Positionen festgelegt haben: Dass das Küchenfenster weit über dem Rasen liegt, so dass Leon wie ein kleines Kind wirkt, das am Kiosk steht und kaum hineinschauen kann. Allein die Positionen im Raum sind schon komisch. Es war interessant, dass die Schauspieler, als wir die Leseprobe hatten, die ersten 60 Filmminuten fast wie eine Comedy betrachtet haben. Die haben diese komischen Situationen intuitiv begriffen und das benutzt. Wenn der Thomas Schubert, um von Felix nichtbeim Faulenzen und beim Herumstöbern in Nadjas Sachen erwischt zu werden, zu seiner Arbeitslaube rennt, dann ist das unglaublich lustig. Das Comedyhafte steckt da drin, aber es muss immer nah an der Gefahr sein. Leon hat in Nadjas Tagebuch gelesen, er hat ihre Musik gehört, er hat sich an ihrer Welt infiziert – und in diesem Moment fliegt ein Hubschrauber übers Haus, wie das Über-Ich. Das Laufen löst sich dann auf in Lachen. Das war mir wichtig, dass dieser Rhythmus drin war.
Fortsetzung folgt
Foto:
©Verleih
Info:
Stab
Regie Christian Petzold
Buch Christian Petzold
Kamera Hans Fromm
Darsteller
Thomas Schubert (Leon)
Paula Beer (Nadja)
Langston Uibel (Felix)
Enno Trebs (Devid)
Matthias Brandt (Helmut)
Abdruck aus dem Presseheft