"Frankfurt liest ein Buch“, 2014 DIE VOLLIDIOTEN von Eckhard Henscheid, Teil 9

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ordentlich hätte der Titel lauten müssen: Eckhard Henscheid, Alfred Edel und der Film (Teil 1), „Das Casanova-Projekt“ (BRD 1981), bei dem eine Viererbande Regie führte: Arend Agthe, Bernd Eilert, Robert Gernhardt, F.K. Waechter. Vorgeführt im Filmmuseum als Lesung, Filmvorführung und Gespräch.

 

Für die Gesprächsrunde waren die Überlebenden angekündigt. Denn, die Endlichkeit lag an diesem Abend ganz schön in der Luft, denn sowohl die beiden Titanic-Veteranen Robert Gernhardt und F.K.Waechter sind tot und auch der Hauptdarsteller Alfred Edel, um den es heute ging, weil er als Alfred Edel in DIE VOLLIDIOTEN überlebt. Leider waren dann Arend Agthe und Bernd Eilert nicht gekommen, der eine ist von der Frankfurter Hansaallee längst nach Hamburg gezogen, der andere verbarg sich im Dunkeln des zweiwöchigen Lesefestes, obwohl man ihn durchaus als geheimen spiritus rector des Romans bezeichnen könnte. Eckhard Henscheid auf jeden Fall unterließ es nie, ihm für seine kritische Begleitung beim Schreiben Dank zu sagen.

 

Aber, so war einem nach drei Stunden Veranstaltung klar, man mußte niemanden vermissen: Eckhard Henscheid, der Film mit Alfred Edel und dessen Witwe Dorle Miesala-Edel legten auch so einen unterhaltsamen Abend hin, dessen berührende Momente man in Erinnerung behält. So wie Alfred Edel. Im Inhaltsverzeichnis von DIE VOLLIDIOTEN kommt er als 'Herr Edel' und 'Werber' vor. Schon da stutzt man. Wie schön ausgedrückt. Ein Werber. Da denkt man doch eher an Frauen, um die geworben wird. Heute hieße das schnöde, einer aus der Werbebranche und Wirtschaftsdezernent Frank würde ihn gar als Angehörigen der Kreativwirtschaft vorstellen, auf die Frankfurt stolz ist.

 

Wir sind unserer Zeit voraus, denn erst einmal begrüßen uns das Filmmuseum und Eckhard Henscheid und liefern den historischen Hintergrund für den Roman einerseits und für das Casanova Projekt andererseits. Edel sei die vielseitigste Figur im Roman, auch wenn er nur auf einigen Seiten vorkomme, dieser Edel oder Adel, der schon 1965 mitspielte in Alexander Kluges Film „Abschied von gestern“, wie er ungefragt jedem erzählte. Er habe den Zeitgeist persönlich vertreten und habe als Schauspieler den Neuen Deutschen Film mitgeprägt mit seinen Rollen in Filmen von Werner Herzog (1974), Hans-Jürgen Syberberg (1977) und Christoph Schlingensief (1990).

 

Und dann las Eckhard Henscheid die Passagen über Alfred Edel aus seinem Roman. Dieser wird auf Seite 197 eingeführt und begleitet das vom Erzähler angeschmachtete Frl. Majewski ins Lokal MENTZ „...von einem kleinen, drahtigen und prallen Mann mit wetterfestem Struppelkopf“ hören wir. Dieser Herr Edel umspielte das Fräulein „ununterbrochen mit wieselflinken Äuglein“ und spitzte“ sogar aus innerer Nervosität mehrfach und rasch hintereinander den Mund in Richtung dieser Dame.“ Die Höhe jedoch ist: „Und zwischendurch lächelte er uns vier freundliche und möglichst unverdächtig an.“, wodurch er sich nicht nur erst recht verdächtig machte, sondern den Erzähler völlig verwirrt und dieser beim Kartenspielen unverständliche Fehler macht. Denn er muß sich über die Dame seines Herzens wundern, die diesen neuen Menschen Edel mitgebracht hatte, „der überhaupt nicht edel, sondern besitzergreiferisch, ja unzüchtig lächelte! Und offenbar trotz seines Struppelkopfes als Sieger aus dem ganzen Rennen hervorgehen wollte!“ (197)

 

Auch die nächsten Passagen zeigen Edel wie er leibte und lebte. „Denn er, Edel sei es, der heute das gesamte Denken, Fühlen und Handeln der deutschen Frau entscheidend diktiere, indem er deren 'faszinierenderweise sogar jahreszeitlich motivierte Wertorientierungen und Leitideen' in diesem Jahr auf die 'zielgruppenspezifisch relevante Formel Klamotten-Kosmetik-Koitus.Kinder' gebracht habe, eine Formel, die sich seither in der gesamten Bundesrepublik als 'Basisidee für fast alle Langzeitkampagnen' durchgesetzt habe.“

 

Und das ist nur der Auftakt. Später heißt es: „Ich sagte nun, um auch einmal zum Zuge zu kommen, zu Herrn Edel, der sich längst als der geheime Kommandant des Abends installiert hatte, wir hätten allerdings einen Schweizer unter uns, einen Herrn Jackopp...“ Aber es nutzt ihm nichts, unserem Erzähler, er kommt einfach bei MENTZ nicht richtig zu Wort, weil dieses Alfred Edel führt. „Als Herr Edel dies sagte, wußte ich plötzlich nicht mehr, wo eigentlich die kleinen Kinder herkamen.“, womit er hinreißend die Wirkung der so alltäglichen wie abgehobenen Sprechweise des Herrn Edel beschreibt. Doch dann passiert diese absurde Horkheimer Geschichte mit dem Bierschütten in den Automaten und der Erzähler kommt an den Tisch zurück, berichtet vom „Erlebnis, für das wir viel Anerkennung ernteten, ja es gelang uns damit sogar, Herrn Edel kurzzeitig die Regie zu entreißen...“ (206). Dann kommt noch Dany Cohn-Bendit, wobei sich der Erzähler sprachlich nicht verführen läßt, diesen als Bandit zu verschreiben, wo doch aus Herrn Edel auch Herr Adel wurde. Aber das war wohl im richtigen Leben.

 

Die Formulierungen, die Eckhard Henscheid aus dem Roman vortrug, konnte man wirklich auf der Zunge zergehen lassen, so leibhaftig erschien einem beim Vorlesen, Gestalt, Gesten und Reden des Alfred Edel, in dem der Erzähler seinen konkurrierenden Widersacher per se entdeckt. Und wie wir meinen, nicht nur gegenüber seinem Liebesobjekt, Frl. Majewski, sondern als Vertreter eines ganz besonderen 'Jargons der Eigentlichkeit“. Paßt sozusagen ganz gut, daß Adorno die Verwendung bestimmter „Edelsubstantive“ als die Signalwörter des Jargons bezeichnet, Edelsubstantive, über die, wie wir hörten und auch aus eigener Anschauung wissen, Herr Edel überaus reichhaltig verfügte und – vor allem Gebrauch davon machte. Fortsetzung folgt.

 

 

 

INFO:

 

Eckhard Henscheid, Die Vollidioten, Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972, Schöffling & Co 2014

 

Ein zusätzlicher Lesetip: Eckhard Henscheid, Verdi ist der Mozart Wagners. Ein Opernführer für Versierte und Versehrte, Reclamverlag