"Frankfurt liest ein Buch“, 2014 DIE VOLLIDIOTEN von Eckhard Henscheid, Teil 10

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Vor und nach der Lesung über den Alfred Edel in der Darstellung von Eckhard Henscheid in DIE VOLLIDIOTEN, ging es um die Person des Alfred Edel als deutlich repräsentativer Zeitgenosse und 'vielseitigster Schauspieler des Neuen Deutschen Films.“

 

Über die Zusammenarbeit mit Alexander Kluge, Herzog, Syberberg und Schlingensief hatten wir schon berichtet. Am stärksten jedoch verkörpert er die Kunstfigur Arnold Hau, die der Neuen Frankfurter Schule entstammt und von 1964 bis 1976 in pardon, der Satirezeitschrift der Zeit, seine Reden schwingt, in denen sich dieser Arnold Hau ständig die Frage stellt: „Was ist der Mensch?“ In der Verfilmung durch die Produktionsfirma Arnold Hau der schon genannten Regisseure für das Casanova-Projekt, Arend Agthe, Bernd Eilert, Robert Gernhardt, F.K. Waechter, gehört für die Filme von Arnold Hau und seinen schwadronierenden Tiraden noch F.W.Bernstein hinzu. Das heißt, die Filme waren offiziell von Arnold Hau und dieser war sein eigener Hauptdarsteller, verkörpert von Alfred Edel, der die jeweiligen Kurzfilme als leidenschaftlich in seine Werke verliebter Filmemacher beginnt, indem er wie beim Stellwerk durch eine Hebelbewegung die Bremse löst und die Leinwand erscheint. Deus ex machina.

 

Tatsächlich sind diese Filme 1974 in der besten Sendezeit um 20.15 Uhr im ZDF ausgestrahlt worden, allerdings wurden sie niemals wiederholt. Heute glaubt man das kaum, daß so eine Persiflage oder auch Höherer Blödsinn, eben Nonsense und dennoch mit tieferer Bedeutung, was aber auch überhaupt nichts zu tun hat mit heutigen Comedyserien, im öffentlichen Fernsehen gezeigt wurde. An beiden Abenden – ein weiterer Filmabend fand am Donnerstag, 10. April statt mit dem Film WILLI TOBLER UND DER UNTERGANG DER 6. FLOTTE von Alexander Kluge, 1972 mit Hauptdarsteller Alfred Edel gedreht – wurden einige Teile der Serie gezeigt, die zwerchfellerschütternd wirken. Ob man allerdings mehr als einige hintereinander 'sich reinziehen' kann, wäre die Frage. So war es beide Male sehr eindrucksvoll.

 

Dann begann der Casanovafilm, wo es zum Amüsement schon reicht, Alfred Edel im historischen Kostüm und weißer Zopfperücke stolzieren zu sehen. Aber um Casanova geht es nur in zweiter Linie, in erster geht es um das Projekt. Denn ein gewisser Hartmann (Rainer Friedrichsen) will einen Film über Casanova drehen, hat genug Recherche betrieben, hat Finanziers aufgetan, das Drehbuch ist fertig, und es kann losgehen. Aber der Hauptdarsteller fehlt noch. Das erfahren wir alles nach und nach in Rückblenden, denn erst einmal lernen wir den verzweifelten Regisseur kennen, der sich an seinem 40sten Geburtstag vom Eisernen Steg in den Main stürzen will.

 

Schnell bekommt man Einblicke in das Drama des begabten Kindes, dem von seiner Mutter (Edith Volkmann) der ältere Bruder vorgehalten wird, der ein weltberühmter Regisseur geworden wäre, wenn er nicht vom Auto überfahren worden wäre. Die Mutter nun, ewig in der Hängematte liegend und an ihrem jüngeren, aber lebendigen Sohn herumnörgelnd, ist wirklich eine Nummer für sich und eigentlich erwartet man eher, daß sich der Film in Richtung griechischer Tragödie oder Krimi, also Muttermord entwickelt, denn als Film über einen Film und warum er dann doch keiner wurde, dieser Film, sondern im Status des Projekts stecken blieb.

 

Aber eine solche Mutter und ein solcher Hauptdarsteller sind einfach für ein so schlichtes Gemüt wie unseren Hartmann zu viel. Denn nimmt man das, was man sieht, ernst, so erschließt sich einem, daß die Mutter nur die Fallstricke des überforderten Regisseurs darstellen, denn sein eigentlicher Widersacher ist der Darsteller des Casanova, also Alfred Edel selbst. Hauptsächlich, weil er alles gut meint, selbst recherchiert und das meiste einfach besser weiß als Regisseur Hartmann. Zumindest glaubt, es besser zu wissen. Das Filmen über das Filmen wird derart handgestrickt vermittelt, daß wir sehr schnell annehmen, hier das Scheitern eines Projekts zu sehen, für das Alfred Edel nun alle Facetten eines so verführerischen wie brutalen Casanovas aufbietet. Das ist komisch, das ist gemein, das ist absurd und wir haben gelacht, viel gelacht.

 

Der Film wurde 1981 auf der Berlinale aufgeführt, wie Rudolf Woresch von epd-Film als Moderator erläuterte, blieb dann aber für 15 Jahre verschwunden. Er wurde für die Frankfurt Reihe des Filmmuseums vor Jahren restauriert; nur deshalb kann er auch heute abend gezeigt werden. Und dann ging es im Gespräch mit Eckhard Henscheid und Alfred Edels Witwe Dorle Miesala-Edel nur noch um Alfred Edel selbst, dessen Eigenschaften singulär gewesen seien, wie Robert Gernhardt in seiner Grabrede für den 1993 verstorbenen Edel betonte. Es ging von ihm eine Art Verzauberung aus, hieß es, die mit Worten kaum zu fassen sei, denn sie umschließt beides: wie er nerven konnte und wie bezaubern und regelrecht verführen.

 

Edel als extrovertiert zu bezeichnen, sei noch harmlos ausgedrückt, das Selbstverliebte wurde sein Markenzeichen, wobei zwischen dem Schauspieler Edel und dem Mensch Alfred Edel kaum zu unterscheiden war, denn man gab ihm genau die Rollen, in denen er auch im Leben brillierte: hemmungslos und kokett, schamlos eitel und wahr, von unerschöpflicher Vitalität. Seine Frau berichtete von Edels Kindheit, wo er schon früh über seine Schulzeit äußerte: „Die Lehrer waren dem Ausmaß meiner Phantasie nicht gewachsen.“ Begriffe wie Säulenheiliger und Seitenheiliger fielen durch Eckhard Henscheid, für den auch galt, daß Frauen diesen Edel eher gefürchtet, während Männer ihn bewundert hätten.

 

Aus dem Publikum wurde dann von anderen Erfahrungen berichtet und auch wir trugen dazu bei, indem wir die Seite, die nie und nirgends eine Rolle spielen, hervorhoben: das war Alfred Edels Zeit als Assistent des Thomas Ellwein, von 1962 bis 1970 Professor für Politologie an der Frankfurter Universität in der Lehrerbildung. Wir kannten Alfred Edel als Veranstalter von vorwiegend Proseminaren, der gelehrt über Politische Theorien sprach und ständig Max Weber im Mund führte, dessen Archiv er zuvor nach eigenen Worten maßgeblich aufgebaut hatte. Wir kannten ihn auch als denjenigen, der im besonderen für die Studentinnen zuständig war. Welch großer Frauenfreund und Frauenbewunderer Alfred Edel war, konnten wir damals gut feststellen, so daß uns fremd ist, was Henscheid über die Furcht von Frauen vor ihm kundtat.

 

Währenddessen finden wir in jedem Wort, in jedem Satz des Alfred Edel, wie er im Buche des Eckhard Henscheid steht, die Person wieder, die auch wir gekannt hatten, weshalb allein an dieser Person nachzuvollziehen ist, wie subtil es bei aller Ironie und Übertreibung Eckhard Henscheid gelungen ist, die charakterlichen Eigenschaften und das soziale Auftreten seiner Romanfiguren aus der Wirklichkeit in einen Roman zu transportieren, so daß man sie darin wiedererkennt. Als Menschen, nicht als Abklatsch. Und eigentlich war Alfred Edel im Leben immer schon der Darsteller seiner selbst, so daß das Filmen nur als die Fortsetzung des Lebens mit anderen Mitteln erscheint.

 

 

 

INFO:

 

Eckhard Henscheid, Die Vollidioten, Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972, Schöffling & Co 2014

 

Ein zusätzlicher Lesetip: Eckhard Henscheid, Verdi ist der Mozart Wagners. Ein Opernführer für Versierte und Versehrte, Reclamverlag