Claudia Schulmerich
Wiesbaden (Weltexpresso) – Ein Unfall. Überleben ist erst einmal alles. Aber dann beim Erwachen im Krankenhaus haben die schweren Kopfverletzungen, die Rok davongetragen hat, zu einem partiellen Gedächtnisverlust geführt. Er weiß nicht mehr, daß er seit Jahren mit seiner Freundin Rina in Bled – beliebter jugoslawischer Ferienort am Bleder See in der Tito-Zeit - zusammenlebt, aber er erinnert sich deutlich an Jesenice, seine Heimatstadt in den slowenischen Bergen, wo er aufwuchs und mit Mutter und Bruder lebte. Dorthin will er.
Und dorthin fährt ihn seine Freundin, die hilflos ist, wie auch nicht, wenn der Mensch, mit dem man lebte, einen nicht mehr erkennt. Sie treffen auf eine mehr als reservierte Mutter, die mit ihrem Sohn nichts zu tun haben will, denn er war ein böser Bube. Sie merkt zwar, daß er angeschlagen – ein dicker Verband um den Kopf zeugt davon und verändert ist, läßt ihn also bleiben und zunehmend wird sie freundlicher. Sein jüngerer Bruder Jure ist nicht weniger zwiespältig. Einerseits hat er wieder seinen Bruder, das ist gut, andererseits ist er in einer Gang, die nicht aushalten, daß auf einmal einer daherkommt, der wie ein Chef wirkt. Sie schlagen ihn böse zusammen.
Es wir für Rok immer wichtiger, herauszufinden, warum alle gegen ihn sind, denn dann weiß er wohl auch, warum er von hier abgehauen ist. Er bittet Rina, die ihm gleich zu Beginn Wäsche und Kleidung gebracht hatte, auch seine restlichen Sachen zu bringen. Da sagt sie: „nein“. Er soll sich selber um seinen Kram kümmern, sie ist es leid. Das gleitet noch an ihm ab, zu stark ist er involviert, wer er war. Weil er sich den Bruder gewogen machen möchte, macht er bei einer Graffitiaktion mit, von der er weiß, daß sie dumm ist. Und schon werden sie entdeckt, aber sie müssen nur das Ganze übermalen, aber werden nicht angezeigt. Ja, sagt der Bruder, früher sei er ein ganz böser Finger gewesen, gewalttägig mit ständigen Schlägereien, böse.
Da gab es doch seinen Freund Damchi und auf was er dann kommt, erschüttert ihn ziemlich. Denn er lernt seinen Freundeskreis von damals kennen, fremdenfeindliche primitive Kerle, die sich auf sich was einbilden, ohne etwas zu sein. Doch das hat mit dem heutigen Rok nichts zu tun. Und als er dann noch seine Aufzeichnungen findet, erschrickt er noch tiefer. Wie konnte er das alles vergessen? Aber es ist ein fernes Selbst, heute ist er einfach ein anderer.
Es wird ihm klar, daß ihn hier in Jesenice nichts hält und als er Rina wiedersieht, weiß er, daß er ihre Nähe sucht, mit ihr sein zuvoriges Leben weiterführen will.
Der Trick mit dem Autounfall ist für das Drehbuch, an dem der kroatische Regisseur Marko Šantić mitwirkte, die Gelegenheit, das Gegenwartsbewußtsein für den Helden Rok auszuschalten und sein früheres Selbst in die Erinnerung zu rufen, ohne daß seine innere Haltung aber dem entspricht, denn er hat sich weiterentwickelt, aber die Vergangenheit verdrängt, die er nun verarbeiten muß, was er tut. Was unklar bleibt, sind die Bezüge zum ehemaligen Jugoslawien, die für diesen Filme eine Rolle spielen sollen. Aber Bled und der Industrieort Jesenice liegen doch beide in Slowenien? Wie auch immer, werden hier Ursachen für fremdenfeindliche Strukturen deutlich. Das einst blühende Jesenice hat Teile der Industrie verloren, Arbeitslose und mangelnde Perspektive für Jugendliche sind immer ein Nährboden für Rechts und Rechtsaußen.
Foto:
©goEast
Info:
HRV, SRB, SVN 2022 / 86 min / OmeU
Sprache: Slowenisch, Bosnisch
Regie: Marko Šantić
Drehbuch: Marko Šantić, Goran Vojnović, Sara Hribar
Kamera: Ivan Zadro
Schnitt: Vladimir Gojun
Besetzung: Jure Henigman, Timon Šturbej, Nataša Barbara Gračner, Živa Selan, Jurij Drevensek, Benjamin Krnetic, Tamara Avguštin, Blaž Setnikar
goEast am 30. April 23