oskarSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Mai 2023, Teil 6

Redaktion

Berlin  (Weltexpresso) –  „Der Prozess eines selbstgeschriebenen Films ist immer eine Reise ins Ungewisse“

Wie haben Sie Ihre Schulzeit in Erinnerung?

Meine Erinnerungen sind überwiegend schön. Ich war in der Schule immer sehr gut. Bis zur siebten Klasse ging ich in Deutschland aufs Gymnasium, zog dann mit meinen Eltern nach
Istanbul. Meine Schulzeit dort war prägend, was mit dem Erwachsenwerden, den Adoleszenzjahren zu tun hat. Ich wurde mit einem komplett anderen Schulsystem konfrontiert. Wir trugen Uniformen, lernten eine Krawatte zu binden, fühlten uns als Schüler der deutschen Schule aber auch wie in einer Art Kokon. Die Stadt war wild. Es war eine spannende Zeit, als Jugendlicher in Istanbul um die Jahrtausendwende das Abitur zu machen.


Inwiefern haben Ihre eigenen Schulerfahrungen Ihren neuen Film geprägt? Gab es ein spezifisches Ereignis, das man als Ausgangspunkt für das Projekt bezeichnen könnte?


Es gab in unserer Klasse zwei Jungs, die in ihren Freistunden Klassen aufsuchten, die gerade im Sportunterricht waren. Und dann stahlen sie aus den Jacken und Taschen dieser
Schüler:innen. Das ging eine ganze Weile so. Wir wussten das alle, haben aber nichts gesagt, weil keiner die Petze sein wollte. Ich erinnere mich noch ganz genau, als eines Tages – wir
saßen gerade im Physikunterricht –, drei Lehrer hereinkamen und sagten: „Alle Mädchen raus, alle Jungs Portemonnaies auf den Tisch!“ Die Erinnerung an diesen Vorfall kam hoch, als
Johannes und ich uns auf einem unserer gemeinsamen Urlaube befanden. Ich erzählte damals, wie die Putzfrau meiner Eltern beim Stehlen überführt wurde. Johannes erzählte daraufhin
von seiner Schwester, die als Mathematiklehrerin arbeitet. In ihrer Schule gab es einen Vorfall, bei dem im Lehrerzimmer Diebstähle begangen wurden. Dieses Gespräch führte uns zurück in unsere Schulzeit, und wir dachten: Das könnte eine spannende Geschichte sein.


Wie haben Sie den heutigen Schulbetrieb recherchiert?

Als erstes bin ich an mein altes Gymnasium in Berlin gegangen, wo mich die Rektorin, die sich sogar noch an mich erinnerte, mit offenen Armen empfangen hat. Eigentlich wollte ich dort
auch drehen, was dann aber förderbedingt nicht klappte. Diese Rektorin hat uns in der Drehbuchentwicklung ebenso stark begleitet, wie die Schwester von Johannes. Insgesamt haben wir mit einem guten Dutzend Menschen aus verschiedenen pädagogischen Bereichen intensive Gespräche geführt, mit Lehrer:innen, Rektor:innen, Schulpsycholog:innen bis hin zu
Sportlehrer:innen, die uns vor allem teambildende Maßnahmen erklärt haben, von denen einige im Film zu sehen sind.


Was hat sich geändert im Vergleich zu Ihrer eigenen Schulzeit?

Was wir damals erlebt haben, dass die Lehrer einfach reinkommen und die Geldbeutel durchsuchen, würde es heute nicht mehr geben. Das wurde uns in unserer Recherche bestätigt. Allerdings wäre ein solches Vorgehen erlaubt, wenn dazu gesagt wird, dass die Aktion freiwillig ist. Deswegen fällt in unserem Film häufiger der Nebensatz: „Das Ganze ist freiwillig, aber wer nichts zu verbergen hat, der braucht auch nichts zu befürchten.“ Das ist natürlich total perfide, weil ein solcher Vorgang nicht auf Augenhöhe zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen stattfindet. Was sich im Vergleich zu meiner Schulzeit geändert hat, ist vor allem die Art der Kommunikation. Heute gibt es WhatsApp-Gruppen, die Eltern tauschen sich untereinander aus. Die Kommunikationswege sind viel kürzer. Wenn ein Problem auftritt, wird es schneller angegangen. Ich habe auch das Gefühl, dass Eltern heute mit einem anderen Selbstbewusstsein auftreten, vor allem diejenigen, die ihre Kinder auf „bessere“ Schulen schicken.


Wie haben Sie das Drehbuch mit Johannes Duncker entwickelt? Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?

Johannes und ich hatten die Grundidee, in der uns unser Produzent Ingo Fliess bestärkt hat. Ingo schickte uns drei oder vier Mal für je eine Woche in ein Waldhaus, damit wir ein konzentriertes Umfeld hatten. Dort machten wir viele Spaziergänge, führten Gespräche, dachten darüber nach, wie sich der Film anfühlen soll, was wir erzählen wollen, welche gesellschaftlichen Themen wir ansprechen wollen. Nach diesen Retreats kamen wir mit einem Sack voll Ideen nach Hause und übertrugen diese an unsere jeweiligen Laptops – Johannes in Köln, ich in Berlin – in ein gemeinsames Dokument, aus dem sich das Drehbuch entwickelte.


Worauf lag Ihr besonderes Augenmerk bei der Entwicklung der Geschichte? Was war Ihnen wichtig, um was ging es Ihnen?

Es geht um ein System, um ein Abbild unserer Gesellschaft. Schule ist ein gutes Spielfeld, weil sie unsere Gesellschaft als Mikrokosmos, als Modell zeigt: Es gibt das Staatsoberhaupt,
Minister:innen, ein Presseorgan, das Volk… Aber DAS LEHRERZIMMER verhandelt viele verschiedene Themen. Ein zentraler Aspekt für mich ist die Wahrheitsfindung, die Wahrheitssuche oder wie man sich die Wahrheit zurechtlegt. Auch die Frage, woran man glaubt, wird gestellt. Der Junge will an seine Mutter glauben, sie will an Gerechtigkeit glauben. Fake News, Cancel Culture oder etwa das Bedürfnis einer jeden Gesellschaft nach einem Sündenbock - das sind weitere Themen.


Wie sind Sie bei der Entwicklung der Figuren vorgegangen? Wie schnell stand der Figurenkosmos fest?


Wir wussten, dass wir eine Klasse haben und ein Kollegium, eine Lehrerin als Hauptdarstellerin, eine Sekretärin. Wir haben also eine Handvoll Lehrer:innen und eine Handvoll Schüler:innen ins Drehbuch geschrieben. Beim Casting für die Klasse wurde mir relativ schnell klar, dass jedes Kind im Klassenzimmer wichtig ist. Ich wollte die Kinder nicht aufteilen in diejenigen, die Rollennamen haben, und diejenigen, die Komparserie sind. Wir haben die Klasse als Kollektiv aufgebaut, nach dem Motto: Wir ziehen alle an einem Strang, alle sind gleich wichtig. Wir alle spielen mit. Auch wenn manche Kinder keinen Text hatten, sollte jede/r die Gelegenheit erhalten, sich einzubringen. Mit Blick auf die Erwachsenenrollen
war es so, dass Johannes und ich Figuren geschrieben haben, auf die wir Lust hatten und für die uns unsere Casterin Simone Bär tolle Besetzungsvorschläge machte. So formten wir unser Ensemble.


Leonie Benesch spielt die Hauptrolle. Warum war sie die Richtige?

Ich weiß noch, dass wir in unserem Waldhaus eine Fotowand mit Gesichtern von Schauspieler:innen hatten. Das Foto von Leonie Benesch war von Anfang an dabei. Lange, bevor wir sie angefragt hatten. Ich habe den Film immer mit Leonie gesehen, weil ich schon seit Jahren ihre Arbeit schätzte. Auch wenn wir noch ein Casting gemacht haben, war für mich sehr schnell klar: Sie ist meine Carla Nowak.


Wer ist Carla Nowak?


Carla Nowak ist genau das, was das Publikum im Film von ihr bekommt, was es sieht, was es in sie hineininterpretiert. Wir haben ganz bewusst kein Privatleben gezeigt. Weder zeigen wir, welches Auto sie fährt, noch wo sie wohnt oder ob sie einen Freund hat. Diese Dinge spielen keine Rolle. Es gab im Vorfeld durchaus Diskussionen, weil es Menschen gab, die mehr über sie wissen wollten. Aber ich bin nie von meiner Überzeugung abgerückt. Es ist vollkommen egal, ob Carla Nowak ein Haustier hat oder farbige Wände in ihrer Wohnung. Der Charakter eines Menschen offenbart sich immer in schwierigen Entscheidungsmomenten. Wenn die Person unter Stress steht, wenn sie mit Problemen umgehen muss. Unter dieser Prämisse habe ich die Figur in die Hand von Leonie gelegt. Ich habe am Set selten mit einer Schauspielerin so wenig kommunizieren müssen, wie es bei Leonie der Fall war. Ihr erstes
Angebot war immer schon so gut, dass ich kaum Korrekturen machen musste. 


Was war Ihnen bei der Besetzung der anderen Figuren wichtig?

Das Ensemble ist ganz stark auch das Verdienst von Simone Bär. Sie sagte immer zu mir, dass es so viele tolle Schauspieler:innen gebe und wir darauf achten sollten, dass niemand aus der Besetzung heraussticht. Ich fand das für diesen Film den richtigen Ansatz, weil ich ihn als Kollektivarbeit sehe. Bei der Figur des Thomas Liebenwerda fand ich es spannend, sie mit einer Person of Color zu besetzen. Ich habe mit Michael Klammer darüber gesprochen, wie absurd es doch eigentlich ist, jemanden wie Liebenwerda dann des Rassismus zu bezichtigen. Aber wir leben in absurden Zeiten und irgendwie war der Film auch der Versuch, dieses Wirrwarr unserer Zeit abzubilden. Man muss nur mal auf Twitter gehen. Rafael Stachowiak kam an Bord, weil ich einen Schauspieler wollte, der polnisch spricht. Wie Michael Klammer ist er ein sehr theateraffiner Schauspieler. Die Idee mit dem polnischen Background bei Carla Nowak kam mir, weil ich eine Erfahrung mit einer türkischen Kollegin machte, die mir konsequent auf deutsch antwortete, wenn ich sie auf türkisch ansprach. Irgendetwas hat mich daran gewurmt. Ich verstehe ja, wenn mehrere Leute im Raum sind und man deswegen nicht in einer fremden Sprache spricht, weil man nicht unhöflich sein will. Diese Situation habe ich bei DAS LEHRERZIMMER mit Carla Nowak und Milosz Dudek eingebaut. Es geht um das Thema Assimilation, das Nicht-auffallen-wollen, um ein Sich-schämen für die eigene Herkunft. Eva Löbau, die als Schulsekretärin zu sehen ist, ist für mich einfach nur ein Phänomen. Sie kann unglaublich zerbrechlich und gleichzeitig lustig sein. Ich könnte ihr den ganzen Tag zugucken. Aber auch Sarah Bauerett, Anne Kathrin Gummich und Kathrin Wehlisch. Das sind tolle Kolleginnen. Ich bin sehr dankbar für dieses großartige Ensemble.


Wie haben Sie es geschafft, dass die Klasse, der von Ihnen eingefangene Schulalltag so authentisch wirkt?

Bei diesem Dreh habe ich mir morgens immer eine dreiviertel Stunde Zeit genommen, um mit meinem Ensemble und den Kindern zu reden. Über verschiedenste Dinge, über Träume, über Ängste, Identität, Scham… Ich wollte den Druck rausnehmen, den ein Drehtag mit sich bringt. Mein Drehteam wartete derweil draußen, wobei meine Kamerafrau Judith Kaufmann oftmals auch ungeduldig wurde, weil sie das Tageslicht nutzen wollte, das bei einem Dreh im November natürlich nur begrenzt zur Verfügung steht. Aber mir waren diese Gespräche
wichtig. Ich wollte eine Begegnung mit den Schauspielenden haben, um über Themen zu reden, die uns bewegen. Das hat sehr geholfen, um Vertrauen zu schaffen, um sich am Set frei
zu fühlen. Und es waren in den meisten Fällen nur wenige Takes nötig, bis wir die Szenen im Kasten hatten.


Wie haben Sie die Kinder gefunden und wie haben Sie mit ihnen gearbeitet? Wie genau haben Sie ihnen auch erklärt, worum es in dem Film geht?

Die Aufgabe war, eine 7. Klasse zusammenzustellen. Das heißt, wir suchten Kinder im Alter zwischen elf und vierzehn Jahren. Diese Altersgruppe zeichnet sich dadurch aus, dass es Kinder gibt, die schon sehr weit sind, es aber genauso noch Kinder gibt, die sehr verträumt sind. Mir war es wichtig, sehr viele Kinder zu sehen, um einen Eindruck von dieser Altersklasse zu bekommen. Gemeinsam mit meinem Kindercaster Patrick Dreikauss luden wir Vierer- und Fünfergruppen ein, die eine Castingszene spielen durften. Ich gab den Lehrer, vor dem sie 
argumentieren mussten, warum sie zum Beispiel an einer Fridays-for-Future-Demo teilnehmen wollen. Nach dem vorgegebenen Text sollten sie improvisieren. Dabei trennte sich die Spreu vom Weizen und man konnte gleich sehen, welches der Kinder auf Zack war. Das waren zwei sehr intensive Castingwochen, zu denen parallel die Suche nach Oskar lief. Als am
Ende die Truppe von etwa 23 Kindern stand, habe ich mit allen Einzelgespräche geführt. Es ging mir um den Teamgedanken, ich sagte ihnen, ihr seid keine Kinder, ihr seid hier
Kolleg:innen. Ich habe sie gebrieft, aber nicht dahingehend, welche übergeordneten Themen in DAS LEHRERZIMMER verhandelt werden, sondern erklärte ihnen, wie man einen Drehplan
liest, auf was am Set geachtet werden muss. Mir war der Solidaritätsgedanke, der Familiengedanke wichtig. Am Set gab es dann die erwähnten allmorgendlichen Gespräche mit
mir und auch Leonie, denen sich die Proben und dann der Dreh anschlossen.


Sie begeben sich in einer Zeit des erhitzten gesellschaftlichen Diskurses in ein regelrechtes Minenfeld, machen sich damit auch angreifbar. Rechnen Sie mit Gegenwind? Sind Sie darauf vorbereitet?

Da mache ich mir keine Sorgen, weil ich hinter der Geschichte stehe. Ich wüsste auch nicht, wem ich damit ans Bein pinkle. Ich finde auch nicht, dass der Film eine explizite Kritik am
Bildungssystem darstellt. Oder dass explizit die jungen Menschen von der Schülerzeitung kritisiert werden. Oder die Eltern. Alle in der Geschichte ringen um Souveränität und wollen
Recht haben. Wenn man einmal den Fernseher anmacht und sich irgendeine Talkshow anschaut, hat man im Grunde genau das gleiche in Grün vor Augen.


Wie sind Sie auf die Idee mit dem Rubik‘s Cube gekommen?


Johannes und ich haben uns über Mathematik, Algorithmen und Beweise unterhalten und uns gefragt, wie wir diese abstrakte Begrifflichkeit visualisieren können. Der Rubik’s Cube hat sich angeboten, weil er auch etwas Kindhaftes hat.


Im Mathematikunterricht lernen die Kinder, dass ein Beweis die als fehlerfrei anerkannte Herleitung der Richtigkeit einer Aussage ist. Genau daran scheitert Carla Nowak in der Geschichte…

Es bleibt ja bei einer Unschärfe. Ist Frau Kuhn die Diebin? Wer weiß? Es kann sein, dass sie unschuldig ist. Ein Restrisiko bleibt. Solange das so ist, kann man sich seiner Sache nicht sicher sein. Das erkennt Carla Nowak auch, und daraus entsteht das große Dilemma.


Der Film hat eine hochgradig effektive letzte Einstellung. Wie kamen Sie zu diesem letzten Bild? Was ist Ihre Interpretation?

Das Schlussbild war eine Idee von Johannes. Ich sehe es als Kommentar, als Plädoyer für den Widerstand, dass man sich nicht unterkriegen lassen darf von einem System. Was Oskar
macht, ist bewundernswert, in einem Umfeld, das David gegen Goliath gleicht. Ich wollte ihm diesen Abgang gönnen. Mich hat Herman Melvilles Erzählung „Bartleby“ stark in der
Drehbucharbeit zu DAS LEHRERZIMMER geprägt. Es ist die Geschichte einer Verweigerung, die mit dem Tod des Titelhelden und dem Satz „Oh Bartleby, oh humanity“ endet. Sie war damals eher als Konsumkritik gedacht. Mich hat das Buch über 20 Jahre nicht losgelassen. Im Vorfeld der Dreharbeiten habe ich Leonie ein Exemplar geschenkt. Nach der Lektüre sagte sie zu mir, dass sie die Erzählung richtig deprimiert hätte. Ich musste lachen. Ehrlich gesagt, wusste ich bei der Arbeit an DAS LEHRERZIMMER auch nicht genau, welche Aussage der Film am Ende haben würde. Es geht aber auch nicht darum, eine Aussage zu treffen, sondern eine Frage zu stellen. Das ist die Art und Weise, wie ich gerne Kino machen möchte. Der Prozess eines selbstgeschriebenen Films ist immer eine Reise ins Ungewisse. Wenn du weißt, wo die Reise hingeht, wird es langweilig. Bei manchen Filmen weiß man eher, welches Gefühl zurückbleibt. Bei DAS LEHRERZIMMER wusste ich es nicht. Es war ein Findungsprozess.


Wie würden Sie Ihr Verhältnis mit Kamerafrau Judith Kaufmann beschreiben?


Ich hätte diesen Film ohne Judith nicht machen können. Judith ist mittlerweile inhaltlich eine so wichtige Partnerin. Sie bereichert meinen Blick auf die Welt, wir reden über viele Themen,
über unseren Beruf, den Druck, über Geschlechterrollen. Judith kommt immer mit tollen Ideen und Bildern. Judith ist eine so erfahrene Kamerafrau, ich schätze mich glücklich, sie an meiner Seite zu haben. Das größte Glück, das man als junger Filmemacher haben kann, ist eine so
tolle, kompetente Person an seiner Seite zu wissen. Wir sind längst gute Freunde geworden.


Ist Kino im Jahr 2023 der richtige Ort für gesellschaftliche Debatten?

Natürlich ist Kino ein Ort, den wir für gesellschaftliche Debatten nutzen können. Aber nicht zwanghaft. Für mich ist Kino auch Eskapismus und Voyeurismus. Kino ist Lagerfeuer. Ich will
das Kino nicht unter eine Agenda stellen. Aber natürlich freut es mich, wenn im Kino auch Filme zu sehen sind, die eine Debatte auslösen. Vor allem gibt es nach der Corona-Pandemie
wieder Hoffnung für das Kino. Ich habe TRIANGLE OF SADNESS angeschaut – das Kino war rappelvoll. Das kollektive Erlebnis, gemeinsam zu lachen, zu weinen – das ist etwas ganz
Besonderes. Das wird kein Streamer der Welt herstellen können.


Sie fallen auf mit einem sehr engagierten, empathischen und menschlichen Kino. Fällt es Ihnen leicht, die Geschichten zu erzählen, die Ihnen am Herzen liegen?

Leicht ist das Drehen, leicht ist das Inszenieren. Aber das Entwickeln ist vergleichbar mit Geburtsschmerzen. Der Drehbuchprozess erfordert so viel Disziplin, besteht aus so viel Sichund-seine-Ideen-hinterfragen, ausschreiben, umschreiben, wegwerfen. Bis es gut ist. Wenn ich sagen würde, das fällt mir einfach, würde ich lügen. Es muss einem aber auch nicht leichtfallen. Schreiben gehört zum Kino dazu, genauso wie Inszenieren, Schneiden, Auswerten. All das ist Kino. Deswegen ist Schreiben für mich Teil des ganzen Spektakels, die Auseinandersetzung mit Stoffen: Was will ich machen, was will ich erzählen, wo will ich hin, was will ich mit diesen Filmen? Alles keine einfachen Fragen, Fragen, die mich nicht selten in die eine oder andere Verzweiflung treiben. Ich kann diesen Beruf aber nur ausüben, wenn ich irgendetwas verhandle, was mich umtreibt, was mit mir und meiner Wirklichkeit und unserer Wirklichkeit als Gesellschaft zu tun hat. Jedes Drehbuch und jeder Film muss etwas haben, wofür es sich lohnt, früh aufzustehen. Und dieses Aufstehen ist in der Buchphase nicht immer einfach. Weil man mit dem Buch auch so viele Leute überzeugen muss, Gremien, Redaktionen, Schauspieler:innen. Man macht sich mit jedem Drehbuch nackig, gibt es Leuten und hofft, dass es auf Gefallen stößt. Das sind Prozesse, die mit viel Angst behaftet sind. Dramaturgie lernt man nicht von heute auf morgen. Oft braucht es Jahre, um sich von seiner Sozialisierung freizumachen, um neu denken zu können, um nicht das zu schreiben, was man schon tausend Mal gesehen hat. Ich hoffe einfach, dass mir das mit voranschreitendem Alter einfacher von der Hand geht. Die Genies unter uns, ich beneide sie. Für mich ist es harte Arbeit.


Foto:
© Verleih


Info:
STAB
Regie             İLKER ÇATAK
Drehbuch      İLKER ÇATAK, JOHANNES DUNCKER
Produktion.   INGO FLIESS
Kamera         JUDITH KAUFMANN


BESETZUNG

Carla Nowak                 LEONIE BENESCH
Thomas Liebenwerda  MICHAEL KLAMMER
Milosz Dudek               RAFAEL STACHOWIAK
Dr. Bettina Böhm         ANNE-KATHRIN GUMMICH
Friederike Kuhn            EVA LÖBAU
Lore Semnik                 KATHRIN WEHLISCH
Vanessa König             SARAH BAUERETT
Oskar                           LEONARD STETTNISCH
Lukas                           OSCAR ZICKUR
Jenny                           ANTONIA LUISE KRÄMER
Hatice                          ELSA KRIEGER
Tom                              VINCENT STACHOWIAK
Ali                                CAN RODENBOSTEL
Lieun                           PADMÉ HAMDEMIR
Luise                           LISA MARIE TRENSE

Abdruck aus dem Presseheft