Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es gibt Filme, die einen, ob man will oder nicht beeindrucken, vor allem aber die visuelle Erinnerung auch noch in den Details wachruft. Beim ersten Schauen schrieb ich etwas, was ich auch bei der Wiederholung empfand: Zu allererst muß ich die Kamera von Reinhold Vorschneider erwähnen. Schon vor dem Film, gleich am Anfang beim Erscheinen der Namen der Darsteller und des Stabs auf der Leinwand, fällt ein bewegter Hintergrund auf, da denkt man an Figuren, die deutlicher werden, sich bewegen, verschwinden, eine aufgelöste und sich auflösende Atmosphäre, die aber wie bei einer Ohnmacht, mal näher kommt, sich auflöst, in der Ferne wiederauftaucht. Am Schluß sind dieselben Bilder sehr scharf. Die Lage hat sich geklärt.
Den ganzen Film über kann ich die Grandiosität, wie die Kamera die Gesichter aus dem Nichts ins Zentrum holt und mich grundsätzlich als Zuschauer dauernd bewußt zum Zuschauer macht, nicht vergessen. Das heißt, ich vergesse eben nicht alles andere um mich herum und habe mich nicht völlig mit der Geschichte identifiziert, was ja viele Filmemacher mit allen Mitteln anstreben, so daß der Zuschauer sich als Mitspieler wähnt, weil Ihn die Handlung so in die Leinwand hineinsaugt, sondern ich bleibe den ganzen Film über Zuschauer, weil allein diese ungewöhnlichen und beeindruckenden Kamerasichten meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das meine ich positiv.
Die Geschichte selbst nimmt alle möglichen Fetzen/Trümmer/Bestände ‚modernen‘ Tendenzen auf: schwul, trans, Liebe und Vertrauen, Liebe und Verrat, Polizei und Verbrechen, Profession und Gefühl, Geld, Geld, Geld und erzählt auf neue Weise doch eine alte Geschichte, was auch nicht negativ gemeint ist, denn schließlich gilt seit der Antike, daß es nichts Neues unter der Sonne gibt.
Leni, war eigentlich Lenard, und kommt infolge eines Deals früher aus dem zweijährigen Knast heraus , in den sie auch deshalb kam, weil sie das Geld für eine Geschlechtsumwandlung und die Teile, die ihren Körper zur Frau machen, bezahlen mußte, von Geld, das sie, damals er, nicht hatte. Jetzt soll sie dem verdeckten Vermittler Robert (Timocin Ziegler) – einer, von dem meine Wiener Tante gesagt hätte, den haben sie aus der Schmutzkist geholt, ein eigentlich schmucker, aber verwahrloster Kerl - helfen, sich bei einem gehobenen Kriminellen Victor Orth (Michael Sideris), den man nicht zu Unrecht als Boß des Drogenhandels vermutet, aber Beweise braucht, einzuschleichen und sein Vertrauen zu gewinnen. Als Ort der Begegnung ist ein Tanzkurs vorgesehen, den Orth zwecks Flicken seiner Ehe mit seiner Frau belegt.
Das Interesse von Orth an den beiden, insbesondere an Leni, wird später verabredungsgemäß geweckt, zwar bleibt der Kerl lange mißtrauisch, geht dann aber total in die Falle und heuert Robert als Fahrer an, was dieser mit seinen Leuten nutzen kann, um überall Mikrophone und Peilsender anzubringen. Auf dem Weg der Drei kommen böse Wahrheiten ans Licht, die die Ermittlung fast sprengen. Es war nämlich der schwule Robert, der damals den zu Männern hingezogenen Lenard als Polizist, nicht als Sexpartner, an die Polizei verriet. Eigentlich hatte er damit seine dienstliche Aufgabe erfüllt, aber für Leni bedeutet das den schlimmsten Verrat. Verstehbar. Den ganzen Film über geht es darum, ob die beiden nun Gefühle für einander hegen oder sich abstoßen, was bei Robert zu Gewaltausbrüchen gegen die neue Sie führt, weil er den alten Er begehrte und nun widersprüchlich agiert. Bei dieser Gelegenheit bekommt man auch mit, daß die Einsatzleiterin nebenbei Robert ihren eigenen Urin aushändigt, damit er, der Drogengefährdete , ihn bei der dienstlichen Überwachung abgeben kann (so weit ich weiß, entnimmt man dem Urin auf Anhieb, ob von einem Mann oder einer Frau, aha, bei einem Drogentest nicht, bei einer Hormonuntersuchung sofort.) Sie tut dies, weil der große Fisch an der Angel ist und Robert im Moment dienstlich gebraucht wird.
Diese Einsatzleiterin spielt ein Doppelspiel, allerdings völlig in Übereinklang mit ihre dienstlichen Aufgabe, Straftaten zu vereiteln oder zu verfolgen. Als Leni wieder einmal für die Polizei verschwunden ist, die Szenen von Ablehnung, Anziehung, Sex und wütendem Haß gehen zwischen den beiden ununterbrochen hin und her, verleugnet Robert ihre Anwesenheit in seiner Wohnung, als die Einsatzkräfte nach ihr suchen. Auf den Spiegel hatten sie allerdings die Abfahrtshalle des Frankfurter Flughafens notiert und die Zeit des Abflugs, die allen, auch dem Zuschauer, klar machen, die beiden wollen am nächsten Tag abhauen. Wenn ich richtig gesehen hatte, hatten sie die Geldtasche des Drogenhändlers, der inzwischen von der anderen Gang erschossen worden war, gebunkert.
Und dann machen sich die beiden auf, wieder sind es tolle Bilder, wo einer hinter der Scheibe steht, der andere davor, doch als sie durch die Kontrolle gehen, kommen die Einsatzkräfte und nehmen Robert fest. Leni hat sich revanchiert und hat sich ihre Freiheit, nicht mehr in den Knast zu müssen, mit dem Verrat erkauft. Revanche.
Ein für deutsche Verhältnisse ungewöhnlicher Film, der Noir nicht nachmacht, sondern ist. Und man täte unrecht, wenn man die Musik nicht erwähnen würde. Von Beginn an werden deutsche Schlager gesungen, solche, die man in den Dreißiger Jahren in Bars sang. War das nicht Zarah Leander? Auf jeden Fall eine Reminiszenz an die Musik von damals, die Gefühle wecken sollte und es auch konnte.
Man hält ihn in der Rückschau für einen Schwarz-Weiß-Grau Film, was gar nicht stimmt, denn dann fällt einem das purpurfarbene lange Kleid ein, das Leni probierte, so sehr überwiegen die Schatten auf der Leinwand, das Dunkel, die Nacht. Dieser, in sich geschlossene Film ist übrigens kein Autorenfilm, wie die meisten Wettbewerbsfilme, denn das Drehbuch, das Christoph Hochhäusler verfilmte, stammt von Florian Plumeyer. Man muß nicht alles selber machen, wenn gemeinsame Arbeit zu einer Einheit wird, wie hier.
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Info:
Stab
Regie Christoph Hochhäusler
Buch Florian Plumeyer
Kamera Reinhold Vorschneider
Darsteller:
Timocin Ziegler (Robert Demant)
Thea Ehre (Leni Malinowski)
Michael Sideris (Victor Arth)
Ioana Iacob (Nicole Gilly)
Rosa Enskat (Monika Sterz)
Aenne Schwarz (Nadia Saric)
Gottfried Breitfuß (Pawel Kaiser)
Sahin Eryilmaz (Armin Strauss)
Ronald Kukulies (Thomas Benck)