Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 22. Juni 2023, Teil 2
Redaktion
Paris (Weltexpresso) – Wie ist die Idee zu DIE RUMBA-THERAPIE entstanden?
Meine Projekte entstehen oft aus einer Mischung von mehreren Faktoren. Der wichtigste war in diesem Fall mein Wunsch, einen Film über Gesellschaftstanz zu machen. Diese Kunstform basiert auf Musik, die ich mag und ich liebe die Eleganz beim Paar-Tanz. Ich war inspiriert von der Leidenschaft und dem Spaß, den man beim Tanzen entdeckt und der einen dazu bringt, gemeinsam zu lachen und zu lieben. Außerdem kam mir die Geschichte in den Sinn, weil ich mich daran erinnerte, wie viele Schuldgefühle ich als Schauspieler hatte, wenn ich meine Kinder zu Hause lassen musste, um zur Arbeit zu gehen – selbst wenn es nur für eine Woche war. Den Film verstand ich damit auch als eine Art Entschuldigung.
„Rumba ist wie Reiten, man kann es nicht improvisieren“. Erforderten die Tanzszenen viel Übung?
Als Drehbuchautor konnte ich natürlich dafür sorgen, dass ich nicht zu viel tanzen musste und durch die Kameraeinstellungen haben wir es dann gut aussehen lassen. Es war also mehr ein körperliches Training und eine filmische Herausforderung als eine tänzerische. Wir wollten mit DIE RUMBA-THERAPIE vor allem einen ästhetisch ansprechenden Spielfilm drehen und keinen Tanzfilm oder gar ein Musikvideo. Die Hauptaufgabe bestand darin, das Tanzen zu nutzen, um Interesse an den Charakteren zu wecken, an ihren Leidenschaften und ihrer Welt. Im Mittelpunkt stand immer die Vater-Tochter-Beziehung und wohin sich diese entwickeln würde.
Sind Sie selbst anfällig für die Nostalgie, die in der Welt des Paartanzes steckt?
Natürlich weiß jeder, dass Gesellschaftstanz auch in der Gegenwart existiert. Es ist aber wahr, dass diese Kunst im kollektiven Bewusstsein altmodisch wirkt. Ich bin allerdings empfänglich für diesen überholten Charme. Vielleicht liegt es daran, dass ich in meinem Alter mehr hinter mir habe als vor mir. In jedem Fall empfinde ich eine positive Nostalgie.
Außerdem haben Sie seit jeher ein Faible für altmodische Menschen und „Anti-Hipster“?
Ja, weil es Menschen sind, die ich sehr mag, und zu denen ich auch gehöre. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich, als ich an meinem ersten Gesellschaftstanzkurs teilnahm, kurz vorm Lachen war. In den ersten Minuten baute ich eine etwas spöttische Distanz auf und sah vor allem Elemente, die ich in einer Komödie verarbeiten konnte. Aber je mehr Zeit ich mit ihnen verbrachte, desto mehr beneidete ich die Tanzschüler. Es war derselbe Prozess wie bei CAMPING (2006): Die Leute gingen ins Kino, weil sie glaubten, sich über Camper amüsieren zu können, aber sie verließen den Saal und wollten nun ebenfalls campen gehen. Genau das will ich auch mit DIE RUMBA-THERAPIE erreichen.
Tony, Ihre Hauptfigur, hat ein sehr spezielles Aussehen. Hatten Sie das bereits beim Schreiben im Sinn?
Ja, und ich hatte sehr gehofft, dass mir der Schnurrbart stehen würde, weil er dazu gedacht war, mich auch charakterlich zu verändern (wenn man so lange an einem Bart und an einem Rollen-Image arbeitet, ist es leichter, jemanden zu sehen, der nicht man selbst ist). Ich wollte auch, dass die potentiellen Zuschauer dieses Films in dieser Figur ihre Väter erkennen können. Darüber hinaus ist Tony auch gar nicht so weit von meinem eigenen Vater entfernt. Und um ehrlich zu sein, steckt noch mehr Autobiografisches in diesem Film: Der Busfahrer ähnelt einigen Menschen, die ich kenne und er ist wie ich ein Papa. Nur habe ich zwei Söhne, im Film habe ich mir aber eine Tochter an die Seite geschrieben.
Was hat Sie überzeugt, Louna Espinosa die Rolle als Ihre Tochter anzubieten?
Ich habe beim Casting viele junge Schauspielerinnen gesehen, talentierte 25- bis 26-Jährige, und wegen ihres jungen Alters hatte ich Angst, dass es im Film wie eine Verführungsgeschichte zwischen ihrer und meiner Figur aussehen könnte. Doch eines Morgens tauchte die 20-jährige Louna auf und als ich sie sah, wurde mir klar, dass sie die Emotionen vermitteln konnte, die ich suchte. Denn während sie die entschlossene junge Frau spielte, strahlte sie gleichzeitig diese Zerbrechlichkeit aus, die sie zu verbergen versuchte. Ich habe sie mehrmals vorsprechen lassen und sie hat mich nie enttäuscht. Bis zu einem ganz besonderen Casting-Tag: Es gab einen Streik bei der Bahn und die meisten Schauspielerinnen hatten abgesagt, da sie es nicht zum Vorsprechen schaffen würden.
Tief in meinem Herzen hoffte ich nur, dass Louna trotzdem kommen würde. Da war die Entscheidung für mich gefallen. Der Zufall wollte es, dass ich mich an meinem Geburtstag für sie entschied und sie die Nachricht wenig später an ihrem eigenen Geburtstag erhielt.
Wie kam es dazu, dass Michel Houellebecq die Rolle des Kardiologen übernommen hat?
Es war sein Agent, der meinen anrief, um ihm zu sagen, dass Michel gerne mit mir drehen wollte. Als ich an diesen Arzt dachte, ließ ich ihn das Skript lesen und er rief mich eine Woche später zurück, um mir zu sagen, dass er akzeptiert. Am Set erlebte ich ihn als bescheidenen und sehr gelehrigen Schauspieler, auch wenn man nie wissen konnte, ob er gerade er selbst ist oder eine Rolle für uns spielt. Er ist sehr intelligent, hört alles und versteht sehr schnell. Das Schwierigste an der Arbeit mit ihm war, seinen Rhythmus an den der restlichen Akteure anzupassen – aber das ist nun mal als Regisseur meine Aufgabe.
Wie schon in Ihrem Regiedebüt LIEBE BRINGT ALLES INS ROLLEN geht es um einen Charakter, der sich als jemand anderes ausgibt. Was ist das Spannende an derartigen Maskeraden?
Wenn man einen Psychiater fragt, würde er wahrscheinlich sagen, dass ich mich in meiner eigenen Haut nicht wohlfühle und mich gerne anders sehen würde als ich bin. Was ich weiß, ist, dass es mir seit meiner Kindheit Spaß macht, mich vor Leuten, die mich nicht kennen, zu verstellen und als jemand anderes zu verkaufen. Am Ende glaube ich, dass es eine Form von Bescheidenheit ist, weil es immer einfacher ist, jemand anderes zu sein.
In meinen 20 Jahren als Schauspieler habe ich meist Rollen gespielt, die sehr weit von mir entfernt waren. Das hat meinen Erfolg ausgemacht und ich bereue es nicht. Aber dennoch: Wenn ich so darüber nachdenke, hat mir das Kino auch geholfen, meine eigene Persönlichkeit nach und nach zu entdecken, meine Gefühle sowie die Welt und die Menschen um mich herum zu erforschen, indem ich sie zum Lachen oder Weinen bringe.
Ihre beiden Filme als Regisseur verstehen sich eher als Komödien mit tragischen Elementen und ernsteren Themen und weniger als reine Feel-Good-Filme. Ist das die Richtung,
in die Sie gehen wollen?
Nein, ich möchte weiterhin auch romantische und lustige Filme machen, über die man einfach nur lachen kann. Allerdings habe ich mit zunehmendem Alter das Gefühl, dass mir persönlich diese Art Filme weniger gefallen als früher...
Könnten Sie sich vorstellen, auch bei einem Spielfilm Regie zu führen, bei dem Sie das Drehbuch nicht selbst geschrieben haben?
Im Moment nein, denn das Schreiben macht mir am meisten Spaß. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, stelle ich mir alle Szenen bereits im Detail vor, sodass ich beim Dreh eigentlich nicht mehr wirklich überrascht werde.
Und Sie persönlich? Wie haben Sie es geschafft, die Energie für Tanzen, Schauspielen und Regiearbeit aufzubringen?
Man muss alles zu seiner Zeit tun. Das Wichtigste ist vorab zu planen, was man an einem Tag drehen will und dann seine ganze Zeit diesem Plan zu widmen. Sobald eine Szene im Kasten ist, geht man zur nächsten über und darf nicht zurückblicken. Außerdem muss man nicht alles alleine machen. Wenn man von kompetenten Menschen umgeben ist, funktioniert alles sehr gut.