Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag, 6. Juli 2023, Teil 9
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wo soll man anfangen. Mutig ist es, daß das Paar Hilde Berger (Buch und Drehbuch) und Dieter Berner (Regie) mit den Personen Alma Mahler (damals noch ohne Werfel, 1879-1964) und Oskar Kokoschka (1886-1980) eine der spektakulärsten und durch die Bilder Kokoschkas auch kunsthistorisch verbürgte Amour fou auf die Leinwand bringen. Mir scheint, als ob im Film die Rolle von Alma Mahler stärker forciert wird, während im Roman DIE WINDSBRAUT Oskar Kokoschka die Hauptrolle spielt.
Berger/Berner waren schon einmal mutig, als sie 2016 EGON SCHIELE: TOD UND MÄDCHEN auf die Leinwand brachten, ein Film, der ebenfalls mit kleinbürgerlichen Vorstellungen vom Künstlerdasein brach und dem erst spät und zu Recht zum Kultmaler avancierten Schiele auch ein privates Leben gab. Aber er blieb die zentrale Figur in diesem Film, den Hilde Berger 2009 schon als Roman vorgelegt hatte und dann 2018 erneut als Buch zum Film verarbeitete, während sie ihren biographischen Roman über Alma & Oskar das erste Mal 1999 als OB ES HASS IST, SOLCHE LIEBE? veröffentlichte, mit Neuauflage 2008 und einer dritten Auflage 2020 unter dem neuen Titel DIE WINDSBRAUT, alle im Verlag Böhlau, Vorlage für das Drehbuch und mit einem Personenverzeichnis versehen, das wichtig ist.
Zum Film habe ich mindestens zwei Meinungen. Als Film finde ich ihn gelungen und auch als Dokument einer Zeit, die nach 1900 europäisch florierte, bis der Erste Weltkrieg ein längst offen gewesenes Europa in Nationalstaaten einengte. Und ich finde auch wichtig, daß die im Umfeld von Alma & Oscar lebenden Literaten, Maler, Musiker, Komponisten, oft nur noch Experten bekannt, als Namen und Persönlichkeit mit ihrer Profession und ihren Werken auftauchen.
Schwierig finde ich die Aufwertung der Rolle von Alma Mahler vom Buch zum Film, die sicher mit der Besetzung durch Emily Cox als Alma zu tun hat, die eine vitale, ihren Interessen und Leidenschaften folgende Frau gibt, was sie ganz prima macht. Nur – war das Alma Mahler? Daß sie eine Frau für Männer war, ist ersichtlich und daß sie sich auf diverse Affären einließ oder diese forcierte, auch. Ob sie, die die Leidenschaft von Gustav Klimt, Alexander von Zemlinsky, Gustav Mahler, Hans Pfitzner, Walter Gropius, Franz Schrecker... hervorrief, mit denen sie Affären und Ehen hatte, aber auch selbst leidenschaftlich lieben konnte, was der Film zeigt, bleibt fragwürdig. Aus psychoanalytischen Beurteilungen und aus den Selbstzeugnissen ihrer Erinnerungsbücher erscheint Alma Mahler dann eher als eine, die gerade dadurch Männer an sich band, daß sie sich ihnen nicht hingab. Aber das ist eine andere Geschichte. Kommen wir endlich zu diesem Film, der nun nicht auf Glaubwürdigkeit des Lebens von Oskar und Alma hin untersucht wird, sondern als Verfilmung eines Buches.
Wir erleben in New York die US-Erfolge von Gustav Mahler (Marcello de Nardo) als Komponist und Dirigent, der schwer herzkrank ist und den seine Frau Alma (Emily Cox) umsorgt. Der Grundkonflikt zwischen beiden wird deutlich: sie muß sich seiner Genie und seinen Werken unterordnen, ihre eigenen künstlerischen Versuche gelten nicht, ja sind ihr verboten. Die Rückkehr nach Wien erfolgt nur, weil er sterben wird und dort beerdigt. Sie verspricht ihm, die gerade fertiggestellte 9. Symphonie uraufzuführen. Ihr Stiefvater, der Wiener Maler Carl Moll steht der Secession nahe, das sind die der Moderne verpflichteten Künstler, und empfiehlt den jungen Oskar Kokoschka (Valentin Postlmayr) für die Anfertigung Mahlers Totenmaske.
Beide interessieren sich füreinander und Alma, die Gropius, der sie heiraten will, kühl zurückweist, läßt sich von Gropius malen, was nur lange dauert, weil die beiden meist im Bett landen, besucht sein Skandalstück „Mörder, Hoffnung der Frauen“. In ihrem Freundeskreis kommt er nicht gut an, was auch daran liegt, daß sie vor allem Musik und Literatur goutiert, während er mit Bildenden Künstlern befreundet ist – und mit Karl Kraus! Noch stärker aber liegt die Differenz der Kreise in der gehobenen Welt von Alma und der Boheme vom armen Oskar. Die Konflikte werden ausführlich dokumentiert, wobei Kokoschkas Sucht, sich diese Frau einzuverleiben, obsessiv wird. Seine Eifersucht wirkt sich am stärksten gegenüber dem toten Mahler aus, während Alma zunehmen ihre Lebensrolle in der Herausstellung von Mahlers Genie sieht. Tragisch übrigens, daß erst die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts Mahler würdigte, genauso wie Egon Schiele übrigens.
Alma entflieht den Auseinandersetzungen, erst an den Strand, dann bei Gropius, dessen eher preußisch orientierte Mutter das Haus führt, weswegen sie ohne viele Worte Kokoschka folgt, als dieser unerwartet vor der Tür steht.
Alma fordert ein Meisterwerk von ihm, was er mit DIE WINDSBRAUT, die sie selbst darstellt, versucht. Der Ankauf durch eine englische Galerie für viel Geld gelingt. Der erste Weltkrieg beendet auch diesen Auftrag. Gekränkt und verlassen und um Alma weinend, läßt er eine lebensgroße Puppe herstellen, die Alma darstellt und mit der er lebt und die Nächte verbringt.
Alma wird dann doch Gropius heiraten, aber auch wieder verlassen. Da ist längst der Erste Weltkrieg eingetreten, in dem Kokoschka schwer verwundet überlebt.
Foto:
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Info:
BESETZUNG
Alma Mahler EMILY COX
Oskar Kokoschka VALENTIN POSTLMAYR
Lilly Lieser TÁŇA PAUHOFOVÁ
Walter Gropius ANTON VON LUCKE
Adolf Loos WILFRIED HOCHHOLDINGER
Bessi VIRGINIA V. HARTMANN
Peter Altenberg GERALD VOTAVA
Franz Ferdinand CORNELIUS OBONYA
Bruno Walter MEHMET ATEŞÇİ
Gustav Mahler MARCELLO DE NARDO
Manon Gropius JOHANNA ORSINI
Anna Moll BRIGITTE KARNER
Gucki Mahler LILO GRÜN
Carl Moll ROLAND KOCH
STAB
Drehbuch HILDE BERGER, DIETER BERNER
Basierend auf dem Roman „Die Windsbraut“ von HILDE BERGER
Regie DIETER BERNER