Redaktion
Paris (Weltexpresso) - Was hielten Sie von dem Drehbuch zu IM HERZEN JUNG, nachdem Sie es gelesen hatten? Was waren seine Stärken? Was wollten Sie diskutieren?
MELVIL POUPAUD: Mir gefiel das melodramatische Potenzial, im besten Sinne des Wortes: Diese Filme elektrisieren, rühren zu Tränen, lassen an die Liebe glauben und berühren die Hoffnung, sich selbst wieder zu spüren, wie es ist, sich zu verlieben. Es gibt da eine gewisse Tradition des romantischen Kinos, besonders dem amerikanischen, von „Love Story“ hin zu „Was das Herz begehrt“, das Kino von Douglas Sirk oder David Lean. Carine hatte mir gesagt, ich solle mir „Ryans Tochter“ noch einmal ansehen, weil er eine ihrer Inspirationen war. Und dann war es weniger das Drehbuch, als vielmehr die Gespräche mit Carine und das Ansehen ihrer bisherigen Filme, die mich verstehen ließen, in welche Richtung sie gehen wollte: die Wahl von Cinemascope, die Aufnahmen im Stil „day for night“, das Bestreben, die zarten Szenen andauern zu lassen, die Trennungen im Regen… All diese filmischen Elemente, die das Publikum in eine Welt einladen, die größer ist als das Leben.
Es muss ein Genuss gewesen sein, mit Fanny Ardant drehen zu können…
MELVIL POUPAUD: Ich wollte unbedingt mit ihr arbeiten. Fanny bewegt sich als Schauspielerin in einer Dimension, in der sich nur wenige französische Schauspielerinnen befinden. Sie hat eine Ausstrahlung, eine Disziplin und gleichzeitig die Fähigkeit, sich fallen zu lassen. Ihre Darstellungskunst hat eine ungewöhnliche Reife, ein Zustand der Gnade. Fanny hat außerdem Fantasie und viel Humor, was sie in ihre Figur einfließen ließ. Sie hat die Kraft einer Theaterschauspielerin, schätzt sich aber selbst und das Kino sehr realistisch ein. Sie will Spaß haben, und ich denke, das sieht man ihrer Schauspielerei an. In diesem Film zieht sie nicht einfach nur die dramatischen Register, die man erwartet, wenn jemand eine Frau in einem gewissen Alter spielt.
Teilen Sie Carine Tardieus Glauben an die Geschichte, die der Film erzählt?
MELVIL POUPAUD: Ja, unbedingt, besonders wenn man bedenkt, dass der Film auf einer wahren Geschichte beruht, eine Liebesgeschichte, die Sólveig Anspachs Mutter mit einem Arzt erlebt hatte. Als ich das Drehbuch las, war mir das sofort bewusst, da war nichts, was sich erfunden oder erzwungen anfühlte. Ich habe es als altmodische Liebesgeschichte begriffen, ein Hollywood-Melodram. Und ich glaubte noch mehr daran, als Fanny an Bord kam. Ich war ihr davor schon ein paarmal privat begegnet, und ich fand sie immer ungemein attraktiv. Sie hat diese verführerische Seite nie verloren, sie kleidet sich stilvoll und mit Bedacht, ohne ein Vamp zu sein. Sie hat Klasse. Zumindest mir geht es so, dass man in unserem Film den Altersunterschied zwischen uns schnell vergisst. Man sieht einfach nur zwei Menschen, die füreinander gemacht sind.
Ein Funke, der alle Unterschiede vergessen lässt – gesellschaftlich, ethnisch oder generationsbedingt.
MELVIL POUPAUD: Ich habe Fanny bei diesem Dreh wirklich entdeckt, indem ich viel Zeit mit ihr verbracht habe. Wir standen uns bald sehr nahe, und ich war wie verzaubert von ihr. Ich war natürlich schon davor von ihr verzaubert, aber jetzt entdeckte ich, dass sie noch charmanter und verführerischer ist, als ich sie mir vorgestellt hatte. Ihre Professionalität überwältigte mich. Wir wurden Freunde. Von Anfang an lief beim Dreh alles sehr gut zwischen uns. Wir verstanden, dass wir auf einer Wellenlänge liegen. Wir hatten dieselben Referenzen, wir tauschten Bücher aus… Diese reale Komplizenschaft war perfekt für den Film. Carine ließ uns beide spielen, war glücklich, dass wir gut miteinander auskamen und sie die richtigen Entscheidungen für den Film getroffen hatte. Die Beziehung zwischen Fanny und mir war entscheidend.
Mit dieser Liebe lässt Pierre seine Frau leiden, aber der Film beurteilt ihn nicht moralisch oder zeichnet ihn als Schuldigen.
MELVIL POUPAUD: Für mich hat Pierre keine Ambivalenz. Deshalb ist er liebenswert, sympathisch. Seine Frau und sein bester Freund sind zunächst etwas schockiert, akzeptieren dann aber seine Liebe zu Shauna. Sie wissen, dass Pierre nicht aus einem gemeinen Impuls heraus handelt. Ich spiele gerne komplizierte, schwierige Typen, aber diesmal war es die erklärte Absicht, einen Mann zu spielen, dessen Absichten immer transparent sind. Er ist eine ehrliche Haut, er ist das, was man sieht. Wenn ich mit Fanny spielte, ließ ich mich von ihr führen. Sie sagte immer zu mir: „Melvil, du musst mich führen!“ Aber in Wahrheit war es genau andersherum. Ich verließ mich auf Fanny und ließ mich von ihr führen.
Wie war die Arbeit mit Carine Tardieu?
MELVIL POUPAUD: Sie war immer mittendrin. Ich hatte den Eindruck, sie befand sich auf einer Mission, weil sie Sólveig gerecht werden wollte. Und das tat sie, auf eine sehr elegante, mutige, entschlossene Weise… Weil Carine so entschlossen ist, hatten wir alle den Eindruck, sie könne Berge versetzen. Sie wollte sich vor dem originalen Drehbuch verneigen, aber dennoch die Arbeit genießen. Sie umgab sich mit Sólveigs Projekt, aber brachte auch ihre eigenen Ideen mit. Als sie sich erst einmal mit der ganzen Besetzung und dem Team sicher fühlte, ließ sie sich von nichts mehr aufhalten.
Der Film verschreibt sich einer Idee von „reiner“ Liebe. Wie stehen Sie dazu?
MELVIL POUPAUD: Ich sehe das auch so. Ich glaube nicht, dass man Shauna und Pierre auf Demonstrationen finden würde, in denen um das Recht gekämpft wird, jemanden lieben zu dürfen, der älter ist. Wenn Menschen um diese oder jene Sache kämpfen wollen, ist das natürlich in Ordnung. Manche Schlachten sind es wert, ausgefochten zu werden. Aber in unserem Film geht es eher um zwei Menschen, die sich gemeinsam vom Blick der Gesellschaft freimachen und sich von ihren Gefühlen füreinander treiben lassen, ohne irgendetwas einzufordern.
Foto:
Fanny Ardant, Melvil Poupaud
©Verleih
Info:
Besetzung & Stab
Shauna Loszinsky FANNY ARDANT
Pierre Escande MELVIL POUPAUD
Jeanne Escande CÉCILE DE FRANCE
Cécilia FLORENCE LOIRET-CAILLE
Georges SHARIF ANDOURA
Rosalie Escande SARAH HENOCHSBERG
Marcel Escande MARTIN LAURENT
Adèle OLENKA ILUNGA
Dr. Aïssa Sissoko MANDA TOURÉ
Martha Flores JULIA GÓMEZ
Regie CARINE TARDIEU
Drehbuch AGNÈS DE SACY, CARINE TARDIEU, SÓLVEIG ANSPACH
TECHNISCHE DATEN
Frankreich, Belgien 2021
Lauflänge: 112 Min.
Abdruck aus dem Presseheft