TV-Dokumentationstipp für Mittwoch, 9. August 2023
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) - Die Schule für Erwachsenenbildung (SFE) in Berlin ist eine Institution des Zweiten Bildungswegs. Sie bereitet auf den mittleren Bildungsabschluss und das Abitur vor. Das Besondere ist, dass sie seit ihrer Gründung 1973 von Lehrern und Schülern selbstverwaltet wird und dass es während der Schulzeit keine Noten gibt. Allerdings müssen dann die Prüfungen extern vor einer staatlichen Prüfungskommission abgelegt werden. Außerdem hat die SFE keinen Direktor und die Entscheidungen werden basisdemokratisch abgestimmt.
Da es keine staatlichen Zuschüsse gibt, zahlten die Schüler während der Aufnahmen ein Schulgeld von 160 € im Monat und die Lehrer und die Verwaltungsmitarbeiter erhielten zur Zeit des Filmdrehs 12,50 € pro Stunde. Unter Umständen bestand für die Schüler die Möglichkeit Bafög zu bekommen.
Der Regisseur und Drehbuchautor Alexander Kleider hat einige der Schüler während ihrer Zeit an der Schule über drei Jahre bis zum Abitur begleitet. Bei den vorgestellten Schülern handelte es sich um Schulabbrecher aus verschiedenen Bundesländern, die keine Chance mehr hatten, einen Schulabschuss an einem staatlichen Gymnasium oder einer Gesamtschule nachzuholen, da sie zu alt waren. Dazu kam, dass die meisten Schüler Probleme hatten, sich in das normale Schulsystem einzugliedern oder sich in den Schulen, die sie vorher besuchten, gemobbt fühlten.
Der Regisseur hat den Schwerpunkt der Darstellung auf persönliche Probleme der Schüler gelegt und darauf, wie Lernorganisation und Umgangsformen in der SFE bei deren Bewältigung helfen.
Alexander Kleider, der im Jahr 2000 selbst sein Abitur an der Schule gemacht hat, ließ in dem Film nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer zu Wort kommen. Einige Lehrer waren bereits seit 1973 dabei. Während des Films wurden auch die aktuellen Probleme des deutschen Schulsystems angesprochen, wie z.B. Auswendiglernen versus Verstehen.
Obwohl "Berlin Rebel High School" während der gesamten Laufzeit des Films spannend bleibt und auch Lehrer und Schüler zu Hause, beim Lernen in der Gruppe - nicht nur in der Schule, sondern auch im Freien - gezeigt werden, werden doch einige wichtige Themen nicht behandelt. Es interessiert sicher, wie hoch die Abbruchquote bei den Schülern ist, denn selbstorganisiertes Lernen muss auch erst einmal bewältigt werden. Auch ist es sicher interessant zu wissen, wie sich die Schüler während der drei Jahre finanzieren und das Schulgeld und die Kosten für das sicher nicht billige Leben in Berlin aufbringen. Auch würde man gerne mehr über die Gründe erfahren, warum es einem Teil der Schüler trotz (oder gerade wegen?) des großen Spielraums nicht gelungen ist, einen Schulabschluss zu erreichen. Daneben erfährt man zwar auch Einiges über die Motivation der Lehrer, es wird aber kaum etwas über die Selbstausbeutung gesagt und die Probleme, wie man nach einem langen Lehrerleben mit 800 € Rente auskommen will. Dies mag auch der Grund sein, warum einige der Lehrer mit weit über 70 Jahren immer noch an der Schule unterrichten.
Es ist auch sicher im Film doch etwas übertrieben, wenn die SFE als einzigartig dargestellt wird, denn es gibt in vielen Bundesländern Möglichkeiten auch mit Mitte 20 und älter noch einen Schulabschuss zu erwerben, z.B. an den Kollegs des zweiten Bildungswegs oder auch an den örtlichen Volkshochschulen und zwar sowohl in Tages- als auch in Abendform. Natürlich ist der basisdemokratische Ansatz schon etwas Besonderes. Das mag auch der Grund dafür sein, warum die Schule für Erwachsenenbildung beim Deutschen Schulpreis 2016 einen der vier 2. Plätze gewonnen hat.
Insgesamt ist "Berlin Rebel High School" trotz alles Kritik eine rundum gelungene Dokumentation über eine außergewöhnliche und basisdemokratische Schule. Der Film hat zu Recht von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) die Auszeichnung "Besonders wertvoll" erhalten, denn der Zuschauer nimmt starken Anteil am Schicksal der einzelnen Schüler, dadurch freut man sich über deren Erfolge, leidet mit bei ihren Rückschlägen und fiebert mit ihnen bei den abschließenden Abiturprüfungen. Mit all seinen spannenden Fragen und Ansätzen ist die Dokumentation ein wichtiger, gesellschaftlich relevanter Film, der Diskussionen anregen kann und der zudem noch auf großartige Weise unterhält und berührt. Er erhielt auch eine Nominierung als "Bester Dokumentarfilm" für den Deutschen Filmpreis 2017, konnte aber nicht gewinnen. Im Fernsehen zu später Stunde sollte man den Film, auch wenn er bereits 2017 in die Kinos gekommen ist, keinesfalls versäumen, denn viele der Aussagen sind auch nach sechs Jahren noch genauso aktuell.
Foto 1 - 3 : Schüler und Lehrer der SFE © Neue Visionen Filmverleih
Info:
Berlin Rebel High School (Deutschland 2017)
Genre: Dokumentation, Schule für Erwachsenenbildung
Filmlänge: ca. 92 Min.
Regie und Drehbuch: Alexander Kleider
FSK: ab 6 Jahren
″Berlin Rebel High School″ wird am Mi. 09.08.2023 um 23:00 Uhr beim WDR gezeigt