polSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. August 2023, Teil 2

Redaktion

London (Weltexpresso) - 
Die Gestaltung der Kämpfe und Stunts im Film war für Regisseurin Nida Manzoor einer der vergnüglichsten Aspekte des Projekts. „Am wichtigsten war dabei die Zusammenarbeit von Stunt-Koordinator Crispin Layfield und Kampfchoreograph Rob Lock mit meiner wunderbaren Kamerafrau Ashley Connor, da wir alle Kampfszenen im Vorfeld minutiös geplant haben. Die Filmhandlung verdeutlicht, was es heißt, ein junges Mädchen zu sein und wie schmerzhaft es sich anfühlen kann, wenn man sich in der Schule oder mit seiner Schwester streitet. Da sind tiefe Emotionen im Spiel. Dem wollten wir mit unseren Kampfsequenzen Ausdruck verleihen."

Jede Sequenz besteht zu gleichen Teilen aus Stil und Substanz, treibt die Erzählung voran und bietet im selben Moment respektloses Vergnügen. „Diese Szenen enthalten alles, was man sich an Unterhaltung auf Spielfilmlänge nur wünschen kann“, fasst Tim Bevan zusammen. „Ich glaube nicht, dass jemand anderes als Nida das hätte vollbringen können, weil es auch ein sehr individueller Ansatz ist."
Manzoor und Layfield hatten zuvor bereits bei Doctor Who zusammengearbeitet. Als sie begannen, ihre Vorstellungen in Bezug auf POLITE SOCIETY zu diskutieren, wurde schnellklar, dass der Film sich zwar an den Kämpfen orientieren, aber nicht auf einen bestimmten Kampfstil festlegen würde. Diese Faktoren veranlassten Layfield, die zusätzliche Expertise von Lock einzuholen, der schwarze Gürtel in mehreren Kampfstilen innehat. „Da Ria eine Stuntfrau werden will, musste sie in verschiedenen Kampfkünsten geschult werden. An dem Punkt kam Rob ins Spiel. Wir haben viel Keysi eingesetzt, einen Nahkampfstil, und zusätzlich unter anderem Kickboxen sowie Karate."

Lock macht deutlich, dass es lange her ist, dass so viele unterschiedliche Kampfkünste, ihren Weg in eine Geschichte fanden. „Es war ein Traum, der wahr wurde, als Crispin mich mit Nida zusammenbrachte, um all diese Techniken, Bodenarbeit, Würfe und Messerkampf, in die Szenen zu integrieren", gibt Lock zu. „Es gab keine simplen Kämpfe, was ich großartig fand."

Die Kämpfe sollten sich deutlich voneinander unterscheiden, je nachdem, was in diesen Momenten bei Ria vor sich ging. Sie hoben hervor, wo sie sich gerade emotional als auch körperlich befand. Dies beeinflusste die Art und Weise, wie der jeweilige Kampf gefilmt wurde, die verwendete Perspektive und was im Bild zu sehen war. „Es gab ein konkretes Design für den Verlauf der Kämpfe. Wir legten fest, ob es sich besonders real oder emotional anfühlen, einfach nur Spaß machen oder ein bisschen beängstigend sein sollte", erklärt Connor. „Wir gestalteten die Szenen so, dass wir mit ihrer Hilfe dem Publikum etwas über Rias Reise erzählen konnten. Die Kämpfe waren nicht übertrieben raffiniert. Das Scheitern sollte immer möglich erscheinen."

Nach dem Casting der Schauspieler, rückte das Training für die Kampfchoreographie in den Vordergrund, zumal einige der Schauspieler zuvor keinerlei Berührungspunkte mit Kampfsport gehabt hatten, darunter auch Hauptdarstellerin Priya Kansara. „Ich wollte, dass Priya so viel wie möglich selbst kämpft", gibt Manzoor zu. „Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass die eigentliche Schauspielerin die Kämpfe ausführt, weil sie auf diese Art mehr Aspekte der Figur ausdrücken kann und es den Kämpfen Authentizität verleiht.“ Kansara trainierte vor dem Dreh drei Monate lang mit Layfield und Lock und konzentrierte sich dabei nicht nur auf Kampfsport, sondern auch auf Krafttraining, Gymnastik, Arbeit mit Seilen und Stretching. „Sie haben mir die ganze Choreographie beigebracht", berichtet Kansara. „Dann haben wir einen Plan geschmiedet, um herauszufinden, wie wir es hinkriegen, dass ich so viel wie möglich selbst machen kann. Ria hat eine ganze Reihe von Kampfszenen, also musste ich viel lernen. Das hat mir sehr dabei geholfen, Rias Körperlichkeit zu erschließen, weil das Kämpfen einen so großen Teil von ihr ausmacht. Rob und Crispin sind nicht nur zwei nette Kerle, die mich unterstützt haben, wo sie nur konnten, sondern auch fantastische Lehrmeister. Also wurde es eine coole Erfahrung."

Einer der schwierigsten Tricks, die Ria zu meistern versucht, ist der 540-Kick, eine Sprung- Kick-Kombination, bei der man eine 540 Graddrehung vollführt. „Das ist Rias Markenzeichen", erläutert Layfield. „Obwohl alle Kämpfe unterschiedlich sind, zieht sich diese Technik als roter Faden hindurch. Ria verbringt den ganzen Film damit, diesen ausgefallenen Spinning-Kick zu praktizieren, aber es gelingt ihr nicht immer, obwohl sie langsam besser wird. Ich wollte die Kämpfe so glaubwürdig wie möglich gestalten, und es war eine Gratwanderung zwischen ihr als Expertin und als Auszubildende. Nida wollte, dass Ria den 540-Kick am Ende des Films beherrscht. Sie sollte sich anderthalbmal um die eigene Achse drehen und dann ihr Gegenüber im Gesicht treffen. Das ist eine ziemliche Herausforderung, auch weil man es an einem Drahtseil machen muss.“

Kansaras Stunt-Double, Erin Jameson, zeigte der Schauspielerin, wie man den Kick anbringt und sie probten es immer wieder. „Als Priya schließlich drankam, hat sie es fantastisch gemeistert", schwärmt Layfield. „Sie war in der Lage, 95% der Stunts selbst auszuführen. Ich habe einen Witz darüber gemacht, dass sie doch die Schauspielerei vergessen und sich dem Stunt-Team anschließen sollte, wenn sie den Film beendet hat." Lock ergänzt: „Priya war vom ersten Tag an brillant und zu allem bereit. Wir haben sie durch eine Reihe von Kampfsystemen geschleust, um sie fit zu machen, und sie hat sich wirklich wacker geschlagen."

Es war nicht nur Kansara, die überzeugen konnte. „Die gesamte Besetzung war phänomenal", stellt Layfield fest. „Für einen Stunt-Koordinator ist es besonders befriedigend, mit Leuten zu arbeiten, die sich engagieren und die Kampfszenen wirklich selbst machen wollen. Alle Darsteller waren hoch motiviert. Das machte die Arbeit von mir und Rob zum reinsten Vergnügen.“

Ritu Arya hatte in der Vergangenheit bereits einige Stunts selbst gemacht, genoss es aber, mehr zu lernen. „Rob und Crispin waren sehr umgänglich und kooperativ", sagt sie. „Die Kämpfe sind so episch und ich habe mich besonders auf sie gefreut, als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen habe. Ich glaube nicht, dass wir jemals zuvor zwei südasiatische Mädchen so haben kämpfen sehen!"

Aufgrund ihrer lebenslangen Leidenschaft für Actionfilme wusste Regisseurin Manzoor genau, wem sie huldigen wollte, und hielt die Szenen bis ins kleinste Detail im Drehbuch fest. Doch dann ließ sie Layfield und Lock freie Hand, den Kämpfen ihren persönlichen Stempel aufzudrücken. Außerdem musste berücksichtigt werden, was die Darsteller realistischerweise würden umsetzen können. „Gleich im ersten Gespräch mit Nida, erwähnte sie Referenzen wie Matrix und Kill Bill, also ging ich im Geiste zurück und ließ diese Filme Revue passieren", erinnert sich Layfield. „Dann haben Rob und ich es in Angriff genommen, diese Ideen in die Produktion einfließen zu lassen."

Gleich die erste Sequenz in der Schulbibliothek, der Kampf Ria vs. Kovacs, stellte laut Layfield die größte Herausforderung dar. Gleichzeitig war es eine der lustigsten Szenen im ganzen Film, inspiriert von Matrix. „Der Kampf war ziemlich heftig und musste auf engstem Raum umgesetzt werden“, macht Layfield deutlich. „Sie rennt die Wand hoch, wird am Knöchel gepackt, in einen Schrank geworfen. Wir mussten Drahtseile benutzen, was die Koordination von Schauspielern und Stuntdoubles verkomplizierte. Außerdem galt es aufzupassen, dass unser Motiv, eine wunderschöne alte Bibliothek, Teil des UNESCO-Kulturerbes, nicht beschädigt wurde. Natürlich denkt das Publikum, Ria wird triumphieren, stattdessen vertrimmt Kovacs sie ordentlich. Aber Ria gibt nicht auf. Sie macht weiter und das ist es, worauf es ankommt."

„Der Kampf in der Bibliothek wirkt wie eine Performance, denn er findet vor all diesen Schülerinnen statt, die zusehen, wie die beiden Schulmädchen sich beschimpfen und prügeln",
führt Manzoor aus. „Wir haben diesen Ort mit der runden Bibliothek ausfindig gemacht, der an ein griechisches Amphitheater erinnert.“ In Bezug auf die verschiedenen Drehorte ergänzt Pocock: „Wir suchten nach Gebäuden, die Hogwarts ähneln. Ria ist ein Freigeist in diesem altertümlichen Haus, das bildete einen schönen Kontrast. Mit der Wahl unserer Motive haben wir diese Wirkung weiter verstärkt.“
Der Kampf um die Bibliothek gestaltete sich gänzlich anders als der Schlafzimmerkampf zwischen Ria und Lena, den Manzoor dennoch als ‘brutal und grimmig‘ beschreibt. „So fühlt es sich an, wenn du mit deiner Schwester kämpfst. Nur jemand, der dir so nahesteht, kann dich so tief verletzen", erklärt sie. „Das musste also der heftigste Kampf sein. Die Szene sollte eine generelle Aussage treffen, über das Verhältnis der beiden Schwestern, aber gleichzeitig visuell unterhaltsam bleiben."

Manzoor brachte ihre Liebe zu bildgewaltigen, mitreißenden Sequenzen erst bei den letzten epischen Kampfszenen während der Hochzeit voll zur Entfaltung. „Der Kampf zwischen Ria und Raheela sollte sich wie ein übertriebenes Kung-Fu-Spektakel anfühlen, inspiriert von Tiger & Dragon", berichtet Manzoor. „Die zwei haben hart trainiert und ich denke, man kann dieses Niveau im Film auch sehen. Bei der Szene in der Hochzeitssuite, machte Nimra Bucha einen gewaltigen Sprung im Stil von Morpheus. Als sie wieder landete, jubelte die ganze Crew.“ Layfield ergänzt: „Ich hatte immer ein Double für Nimra vor Ort, aber sie hat es selbst durchgezogen. Das war eine starke Leistung."

Die Stuntabteilung stand vor der schwierigen Aufgabe, die Action des Hochzeitskampfes zum Leben zu erwecken, und gleichzeitig auf die spektakulären Hochzeitskleider der Gäste Rücksicht zu nehmen. „Die Kostüme stellten die größte Herausforderung dar, weil alle diese fließenden indischen Kleider trugen, die durch die Luft segeln sollten. Aber in einem Hochzeitskleid zu kämpfen, ist nicht einfach! Wir mussten lange proben, um die bestmögliche visuelle Wirkung zu erzielen.“

Rias Idol im Film ist die reale Stuntfrau Eunice Huthart, die seit drei Jahrzehnten den Weg für Frauen im Stuntbereich ebnet. Manzoor hatte sie von Anfang an im Drehbuch festgeschrieben und es ist Hutharts Stimme, die wir am Ende des Films hören. „Sie ist in England sehr bekannt", berichtet Layfield. „Es gibt nicht so viele Stunt-Koordinatorinnen und sie war eine der ersten Frauen, die Stunts bei großen Filmen koordiniert hat, einschließlich Marvel." Weil die Geschichte diesen Karriereweg so ausführlich beleuchtet, ist Layfield besonders stolz auf den Film. „Wir brauchen mehr Stuntleute, Männer wie Frauen, Europäer wie Asiaten", erläutert er. „Ich hoffe, dass unser Film einige Menschen dazu inspiriert, diesen Weg einzuschlagen. Wir suchen händeringend nach diesen Leuten.“

Nida Manzoor ihrerseits hat die Hoffnung, dass die Zuschauer, inmitten von Humor und Action auch etwas Inspiration finden. „Ich wünsche mir, dass dem Publikum die wilde Geschichte, das visuelle Spektakel und die komischen Momente des Films echten Genuss bringen. Ich hoffe auch, dass die Handlung universell genug ist und dass die Zuneigung zweier südasiatischer Schwestern für jeden etwas bereithält. So etwas bekommt man nicht oft zu sehen, vor allem nicht in diesem Genre. Das empfand ich als besonders aufregend. Da ich unter dem Druck der Erwartung der sogenannten vornehmen Gesellschaft aufgewachsen bin, empfinde ich es als zutiefst kathartisch, Filme zu drehen, die Genregrenzen sprengen und einen anarchischen, respektlosen Geist versprühen. An Regeln und Normen sollen sich andere halten. Du kannst deinen Film so gestalten wie du willst, jeder hat die Möglichkeit dazu."


Foto:
©Verleih

Info:

STAB
Regie & Drehbuch.   Nida Manzoor

BESETZUNG 

Ria.    PRIYA KANSARA
Lena.    RITU ARYA 
Clara.   SERAPHINA BEH 
Alba.   ELLA BRUCCOLERI
Kovacs.    SHONA BABAYEMI 
Raheela.   NIMRA BUCHA
Salim.      AKSHAY KHANNA 
Fatima.    SHOBU KAPOOR
Rafe.        EFF MIRZ

Abdruck aus dem Presseheft