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Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. August 2023, Teil 12

Redaktion

Hollywood (Weltexpresso) - Waren Sie jemals nervös oder haben Sie gezögert, so viel von Ihrer eigenen persönlichen Geschichte und der Ihrer Familie auf die Leinwand zu bringen?


Es ist ein ständiger Kampf mit internalisierter Scham und der psychischen Gesundheit. Es ist nicht leicht für mich, jetzt hier zu sein. Es war schwer, weil ich nicht will, dass die Leute meine Mutter hassen. Trotz allem, was sie mir angetan hat, hasse ich meine Mutter nicht. Wenn ich sie nicht hasse, dürfen auch sie sie nicht hassen. Ich will nicht, dass das passiert. Ich repräsentiere nicht alle Schwarzen Frauen. Ich repräsentiere nicht das Militär. Ich vertrete meine eigenen Erfahrungen, und so gesehen bin ich wirklich stolz.

Erzählen Sie uns etwas über Kinematographie als Werkzeug zum Storytelling von THE INSPECTION. Was war Ihnen wichtig bei der Vermittlung des Aussehens und der Stimmung des Films? Inwiefern haben Ihre Bezugsfilme – Full Metal Jacket, Jarhead, Pedro Almodóvar usw. – diesen Ansatz beeinflusst, wenn überhaupt?

Der Film soll eine Art Hybrid sein zwischen dem lyrischen, handgehaltenen Stil von Claire Denis' BEAU TRAVAIL (wenn wir uns in der Perspektive von French befinden) und dem eher formalen, geometrischen Stil wie bei FULL METAL JACKET oder JARHEAD (wenn wir French im Ausbildungslager der Marine beobachten). Die Idee ist, eine visuelle Sprache zu etablieren, die den wackeligen Boden zum Ausdruck bringt, auf dem queere Militärangehörige stehen. Allem voran soll sie French‘s emotionale Reise zwischen Selbstablehnung und Akzeptanz vermitteln.

Ich bin stark von den Fotografen Philip-Lorca diCorcia, William Eggleston und Gordon Parks beeinflusst. Bei diCorcia ist es die Art, wie er junge Männer sieht. In seinen Bildern sind sie gleichzeitig schön und gefährlich. Dort besteht ein delikates Gleichgewicht zwischen Weichheit, Härte, Intimität und Distanz, was für mich den queeren militärischen Blick verkörpert. Man erwartet von uns, dass wir einander als Männer schätzen, ja sogar die Qualitäten des anderen begehren, aber dieses Begehren muss immer vor der Anziehung halt machen. Und Egglestons Landschaftsfotografie der amerikanischen Südstaaten war sehr inspirierend, insbesondere seine Wolkenfotos. Dieses Fotos waren sehr karg. Wie im Boot Camp bewegt man sich dabei durch eine begrenzte Anzahl von ähnlich aussehenden Orten. Mein Kameramann Lachlan Milne und ich konzentrierten uns auf die Landschaft und versuchten, sie für die Inszenierung zu nutzen. So fanden wir einen Weg, die Bilder einen Großteil der subtextuellen Arbeit übernehmen zu lassen, damit die Schauspieler fliegen konnten. Auf diese Weise soll die Kinematographie das Dilemma von French vermitteln und es dann zum Dilemma des Publikums machen. BEAU TRAVAIL (dt.: Der Fremdenlegionär, Claire Denis, FR 1999) war für mich ein wichtiger Maßstab bei der Konzeption von THE INSPECTION. Ich liebe es, wie die Kamera das Training in einen wunderbaren Tanz verwandelt. Ich liebe es, wie die Kamera manchmal die Figuren entlarvt, indem sie die – wenn man so will „Marionettenfäden“ – hinter den Kriegsübungen zeigt. Die Fantasien mit Inez und die Momente mit ihr sind stark von Almodóvar geprägt; er ist so großartig darin, die Geschichte von Müttern und Söhnen zu erzählen.

Außerhalb des Militärgenres bin ich ein großer Fan von Tarell Alvin McCraney. MOONLIGHT (USA, 2016), den er zusammen mit Barry Jenkins geschrieben hat. Das ist ein wundervoller, ein wunderschöner Film, in den ich sehr verliebt bin. Ich glaube, AN OFFICER AND A GENTLEMAN (dt.: Ein Offizier und ein Gentleman, Taylor Hackford, USA, 1982) ist eine weitere Inspiration, die sich durch meinen Film zieht. Ein anderer, immerwährender Einfluss ist KILLER OF SHEEP (Schafe Töten, Charles Burnett, USA,1978). Immer wenn ich in der Klemme war, habe ich mich gefragt: Was würden Claire Denis, Almodóvar, Charles Burnett oder Roger Deakins tun? Edward Said ist jemand, der mich als Denker interessiert, ebenso wie Toni Morrison.

Es ist ein ständiger Kreislauf von Gedanken und Ideen, der dazu beiträgt, dass ein Film entsteht. Zum Glück hatte ich Lachlan, mit dem ich meine Ideen reflektieren konnte. Die Zusammenarbeit mit ihm war eine wichtige Hilfestellung für mich, denn seine Begabung ist wirklich unvergleichlich. Egal wie obskur der Bezug war: er war immer in der Lage, sich in mich hineinzuversetzen und es besser zu machen. Das Erscheinungsbild dieses Films ist ein Produkt unserer Synergie.

Sie sagten einmal, dass Sie unter „filmischer Legasthenie“ leiden und keinen großen Unterschied zwischen Dokumentar- und Spielfilm sehen. Wie manifestiert sich die Verwischung dieser filmischen Ansätze in The Inspection?

Meine ersten Filme waren Dokumentarfilme. Ich denke, Dokumentarfilme und Spielfilme sind sich in der Hinsicht ähnlich, als dass es bei beiden darum geht, eine emotionale Wahrheit zu erzeugen. Die Vorstellung, dass wir, wenn wir Beobachtungen machen, nicht die Natur der entdeckten Wahrheit beeinflussen, ist für mein Gehirn schwer nachvollziehbar. Beim Dokumentarfilm treffe ich auf eine gelebte Situation und hoffe, dass sich in diesem Moment eine Szene abspielt. Bei einem Spielfilm macht man all diese gründlichen Vorbereitungen und dann kommt es häufig so, dass es gerade die unerwarteten Dinge sind, die die Wahrheit einer Szene hervorbringen. Wissen Sie was? Wir mussten unseren Plan an die ungeplanten Dinge anpassen. An dieser Stelle verschwimmt für mich die Grenze. Sowohl kontrollierte als auch unkontrollierte Handlungen haben die Fähigkeit, unerwartete Wahrheiten hervorzubringen.

Es ist wichtig, die Welt von THE INSPECTION aus French’s Perspektive zu erleben. Bisher haben wir noch keine queere, Schwarze Figur wie diese einen großen Film tragen sehen. Auf eine Art und Weise wird dies für viele Zuschauer*innen das erste Mal sein, dass sie von einem queeren, Schwarzen Menschen in etwas hineingeführt werden.

Ein wichtiger Einfluss für meine Arbeit ist Gillo Pontecorvos Film BATTLE OF ALGIERS (Schlacht Um Algier, IT/AL,1966), der sich durch alle meine Filme zieht. Darin geht es um die Geschichte des algerischen Guerilla-Widerstands gegen die französische Kolonialherrschaft. Der Film hat den Stil eines Verité-Dokumentarfilms, wurde aber vollkommen mit Schauspieler*innen inszeniert. Der Film konfrontiert sein Publikum direkt mit dem dringenden, unmittelbar menschlichen Bedürfnis zu überleben. Der Film ist gleichermaßen dokumentarisch und inszeniert und meine gesamte Arbeit bewegt sich entlang dieser Linie. Der Schnitt ist ein wichtiges Mittel in ihrem Film, vor allem in den Trainingsszenen. Er hilft dem Publikum, das zu fühlen, was es fühlen muss und bestimmt das Gesamttempo des Films. Welche Überlegungen standen im Vordergrund, als Sie nach den Dreharbeiten alles zusammensetzten?

Mein Schnittprinzip ist ziemlich simpel. Ich versuche, spät in eine Szene einzusteigen und sie so früh wie möglich wieder zu verlassen. Dies war mein erster Spielfilm. Ich habe das Gefühl, dass mir meine unglaubliche Editorin Oriana Soddu erst wirklich gezeigt hat, was Schnitt alles leisten kann. Wir haben uns sehr von der Musik unserer Komponisten vom Animal Collective inspirieren lassen. Wir wollten Rhythmen schaffen, die die Grenzen zwischen dem, was French für echt hält und dem, was tatsächlich passiert, verwischen. Damit die Fantasie-Sequenzen Frenchs innerer Entwicklung dienen konnten. Außerdem war es uns wichtig, einen Weg zu finden, durch den Inez dem Publikum während dem gesamten Film im Bewusstsein bleibt.

Im Wesentlichen wollten wir das Gefühl des aufreibenden Wahnsinns, der sich aus der Monotonie des Boot Camps ergibt, mit dem der massiven Veränderung in French gegenübersetzen. Die Musik von Animal Collective hilft perfekt dabei die Zeit je nach Gefühl zu verkürzen oder zu verlängern. Vor allem aber wollten wir immer mit French zusammen ankommen. Niemals vor ihm, niemals nach ihm. Ich bin unendlich dankbar für die Beratung und die Brillanz von Oriana.

In all Ihren Arbeiten ist eine besondere Sorgfalt spürbar. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Absicht vom Publikum erkannt wird?

Als Regisseur ist es nicht mein Stil, den Leuten meinen Willen aufzuzwingen. Vielmehr möchte ich einen gemeinsamen Nenner mit den Menschen, mit denen ich das Glück habe zusammenzuarbeiten finden, weil sie meine Vision unterstützen. Ich versuche, jeden wie einen Regisseur zu behandeln. Die Schauspieler*innen, den Kameramann, den Produktionsdesigner, den Handwerker – jeder wird wie ein Regisseur behandelt, weil jeder eine Geschichte zu erzählen hat. Und sie erzählen ihre Geschichten durch meine Geschichte. Mir ist wichtig Austausch wertzuschätzen und ihm Raum zu geben – einen emotionalen, psychischen Raum für Austausch, der uns voranbringt – damit wir alle gestärkt aus dem Projekt hervorgehen.

Während der Arbeit an MY HOUSE musste ich lernen, wie ich meine Community so präsentiere, wie sie es verdient, während ich mich zugleich mit dem dominanten korporativen „White Gaze“ (weißer Blick) konfrontiere, der sagt: „Eigentlich bist du eine Kuriosität. Du bist einer der ‚Anderen‘. Du bist etwas, das wir nachts um 22:30 Uhr zeigen.“ Die Art und Weise, wie ich meine Community ehre und schätze, steht dem gegenüber, wie diese Gemeinschaft von der (Film-)Branche gesehen wird. Es war und bleibt eine Herausforderung. Aber all das fließt in THE INSPECTION ein. Von dem Moment an, an dem ich 2011 mit PIER KIDS anfing, bis zu dem Moment, an dem THE INSPECTION grünes Licht bekam, beobachtete ich, dass viele Leute, die weder Schwarz noch queer sind, Schwarze und queere Geschichten erzählten – und das mit unglaublichem Erfolg. Ich weiß, dass ich meine Erfahrung und meine Herkunft anders betrachte als jemand, der nicht erlebt hat, was ich erlebt habe. Deswegen musste ich mir selbst eine Chance geben, und mich der Welt mitteilen und beweisen, dass ich als Künstler für diese Kunstform von Bedeutung bin. THE INSPECTION tut das.